19~Tomorrow's worth the fight~

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Samu lehnte den Kopf nach hinten und kaute auf seinen Lippen rum: "That's hard ... Ich würde sagen, I feel sorry, aber ich denke du möchtest no Mitleid."
Ich nickte seufzend: "Genau das. Aber danke, ich weiß das zu schätzen."

Es herrschte etwas bedrückende Stille, der Fernseher lief im Hintergrund, war aber nur noch Nebensache.
"But both? Was it an accident? Car?", fragte Samu irgendwann und sah mich flüchtig an.
Ich stöhnte kurz auf, da ich absolut keine Lust auf Fragereien hatte; eigentlich war ich in Finnland, um damit abzuschließen, nicht um darüber zu reden.

Trotzdem beantwortete ich seine Frage: "Ja bei meinem Vater. Vor fast 15 Jahren, sehr lange her. Meine Mutter hatte Krebs. Blutkrebs."
Ich musste kurz schlucken und starrte weiter starr auf die Pixel des Fernsehers.
"Wann war das?", fragte Samu vorsichtig weiter.
Ich seufzte und nippte nochmal an meinem Wein, in der Hoffnung, dass er mir die nötige Kraft geben konnte: "Willst du das wirklich alles wissen, Samu?"
Er zögerte nur kurz und nickte dann: "Ich bin sehr neugierig, wenn das okay ist für dich, würde ich es gerne erfahren, you know ..."
Wieder seufzte ich; na gut, wenn er sich das antun wollte.

"Also ich war 13 als mein Vater den Unfall hatte. Er war auf dem Weg nach Hause, es war im September und ein kleiner Transporter ist ihm beim Wechsel auf die andere Fahrspur reingefahren. Er hat die Kontrolle verloren und ist gegen ein anderes Auto gefahren, dann gegen die Leitplanke. Als der Rettungsdienst kam, wars schon zu spät. Der Fahrer von dem anderen Auto sitzt heute vermutlich noch in der Nervenklinik", erzählte ich und legte eine kurze Pause ein, bevor ich fortfuhr, "Ich war zuhause gewesen mit Mama. Ich kenn's nur vom Bericht aber trotzdem hab ich ein genaues Bild im Kopf, wie das abgelaufen ist ...
Wir hatten zusammen gekocht an dem Tag und wollten an dem Abend noch auf ein Dorffest gehen. Haben aber plötzlich den Anruf bekommen, ich hab's damals garnicht verstanden ... Tu ich heute noch nicht ..."

Ich musste mich mehr als nur Zusammenreißen; das Ganze war eine Ewigkeit her und selten hatte ich so ausführlich darüber geredet.
Mit starren Blick auf die Wand gerichtet saß ich da und konzentrierte mich darauf, alle Gefühle und Regungen in meinem Körper abzuschalten.
"War ganz schrecklich", fügte ich noch leise dazu, während sich der Abend vor meinem inneren Auge widerspiegelte.

Peinlich berührt rutschte ich tiefer ins Sofa hinein und zog die Beine an, um mein Gesicht zu verdecken.
Die Tränen standen mir schon in den Augen, aber ich weigerte mich, sie rauszulassen.
Ich wollte das nicht mehr, nein.
Weitentfernt spürte ich, wie sich Samus Hand sanft auf meinen Rücken legte und darüber streichelte.
Ob er alles verstanden hatte, bezweifelte ich, aber das war ja egal.

Ich genoss für einen Moment das Kraulen und dachte zurück an eine Kindheit; der Moment brachte mich tatsächlich zum Lächeln. Wenn meine Eltern jetzt auf mich schauen würden, wären sie froh. Ich würde ihnen von Finnland erzählen; meinem Traum, meiner Heimat und sie würden nichts tun; außer sich für mich zu freuen.

Nachdenklich robbte ich mich zu Samu und legte meinen Kopf auf seine Brust.
Ich rutschte weiter herunter und versteckte ein Gesicht in den Falten seines Pullis. Sein Eigengeruch war einfach unfassbar einnehmend.

"Meine Mutter wurde dann vor zwei einhalb Jahren krank", unterbrach ich irgendwann die Stille wieder, da ich wusste, wie neugierig Samu war, "Es wurde recht spät erkannt und ihre Schwester hatte auch Stammzellen gespendet, da die Gewebe zusammen passten. Wir dachten, damit wäre es geschafft, aber es war nicht genug. Es wurde zwar angenommen, aber der Krebs hatte schon zu viel befallen. Milz, Leber, Lymphknoten, ..." Ich erinnerte mich an das Gespräch mit dem Arzt, in dem er die befallenen Organe genau so auflistete.

"Chemo half auch nur wenig und obwohl wir noch Hoffnung hatten, war's nur eine Frage der Zeit. Ich bin dann zu meiner Tante und meinem Onkel gezogen, hab meine Ausbildung fertig gemacht und letztes Jahr ist sie dann gestorben. Vor einem Jahr, einem Monat und 3 Wochen. Ungefähr ..."
Ich war selbst erstaunt wie sachlich ich darüber reden konnte.

Samus Antwort war nichts als ein Seufzen, worüber ich ganz froh bin.
"Hätte ich nie gedacht", bemerkte er irgendwann, nachdem seine Hand weiter meinen Rücken gegrault hatte.

"Da sieht man eine Person sofort ganz anders, was?"
Er stimmte zu, bevor ich mich dann mehr an ihn kuschelte und die Beine ausstreckte.
Meine Stimme war kaum mehr als ein Murmeln: "Aber genug von traurigen Sachen, es ist eben passiert."
Ja, das hatte ich lange eingesehen, auch wenn es schwer war. Jedenfalls konnte man nicht ewig hinterher trauern und das war auch eine sehr gute Eigenschaft von Samu, die ich wirklich bewunderte. Er tat dann nicht auf Mitleid, sondern akzeptierte es. Seine Haltung gegenüber der Person änderte er trotzdem nicht und das war einfach toll.

"Et kütt wie et kütt und et hätt noch immer jot jejange", zitierte ich das kölsches Sprichwort grinsend. Samu sah mich verwirrt an, natürlich verstand er kein Wort.
"Sowas wie 'Irgendwie werd ich's überleben'", erklärte ich kurz, wenn auch nicht gerade sinngemäß.

"Bleib heut wirklich hier, Ailina", forderte Samu irgendwann. Ich lag mittlerweile mit dem Hinterkopf auf seinem Schoß und trank irgendwie von dem Bier in meiner Hand, während Samu mich ausgiebig musterte.

Ich musste kurz lachen, stoppte es aber sofort, als ich merkte, dass er es ernst meinte: "Warum, was hast du vor?" Grinsend sah ich ihn an und zog die Augenbrauen spielerisch in die Höhe. Du bist nicht du, wenn du angetrunken bist ...
Es war tatsächlich schon die dritte Bierflasche nach ein paar Gläsern Wein.

Samu konnte nur schmunzeln und musterte mich weiter prüfend: "Nein nein, aber du kannst nicht mehr fahren. Und ich auch nicht." Er lachte kurz auf, scheinbar machte sich auch bei ihm langsam der Alkohol bemerkbar, "Außerdem es ist schön."
Da musste ich ihm tatsächlich zustimmen.
Trotz all den ernsten Themen war es unglaublich angenehm und auch befreiend bei Samu.

"Ok, jetzt gibt es kein zurück, ich bleibe", stimmte ich freudig zu warum auch Samu sofort anfing zu strahlen.

Den Rest des Abends, beziehungsweise auch der Nacht, verbrachten wir mit einem Trinkspiel zu dem Film 'Findet Nemo', wobei wir natürlich immer trinken mussten, wenn Nemo gerufen würde.
Und verdammt, ich hatte da ja noch nie drauf geachtet aber das war mehr als nur oft.

Jedoch wurde das irgendwann doch ziemlich hart, weshalb wir auch auf Wasser und Orangensaft umstiegen.

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Hier ein weiterer Einblick ins nächste Kapitel:
"Kuka tämä on (Wer ist das)?", hörte ich den Mann leise tuscheln. Obwohl sich immernoch alles drehte, erkannte ich das Gesicht.

'cause my life belongs to the other sideWo Geschichten leben. Entdecke jetzt