Epilog - Unser Hawaii.

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┊  ┊  ┊          ★ ISABELL

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„Im nächsten Leben finde ich dich früher."

Das hatte ich einst zu Harry gesagt. Komischerweise hatte ich das längst vergessen. Doch als er mir an einem Abend erneut aus Harry Potter und die Kammer des Schreckens vorlas, da sprach er: „Du hast mich zu genau der Zeit gefunden, als ich dich brauchte."

So ganz verstand ich das damals nicht. Und auch heute war ich nicht schlauer.

Ich wusste nur eins.

Es war gut, wie es war.

Uns pfiff eine eisige Kälte um die Ohren und obwohl wir dick angezogen waren, so sehnte ich mich nach einem kuscheligen und gemütlichen Bett. Das Hotelzimmer, das Harry für uns im Four Seasons Hotel George V gebucht hatte, war natürlich wie immer eine ziemlich große Kiste, aber Bett blieb Bett.

Und Paris blieb Paris.

Als er uns gestern Abend zum Flughafen brachte und erklärte, er habe bereits alles geregelt, fühlte ich mich total überrumpelt. Zumindest so lange, bis ich verstand, dass unser Flug nach Paris ging.

In die Stadt, in der ich eine wunderbare Zeit mit Harry gehabt hatte. Die Stadt, die es irgendwie wert war unser eigenes kleines Hawaii zu werden.

Nach wenig Schlaf und viel Aufregung, liefen wir über die Seine. Ich zog mir die Mütze tiefer ins Gesicht und bibberte innerlich. Meine Hand lag in Harrys und durch den lustigen Handwärmer war zumindest seine Pfote nicht kalt. 

Er schob sich immer wieder mit dem Zeigefinger die schwarze Nerdbrille auf die Nase zurück. Alles in einem würde ich ihn selbst auf den ersten Blick nicht erkennen. Die dicke Winterkleidung verschluckte ihn fast.

„Unser Weihnachtsessen findet übrigens im Moulin Rouge statt", erklärte mir Harry und gebärdete gleichzeitig. „Ich hoffe, das ist in Ordnung." Es beflügelte mich, dass er immer wieder die Hände zum sprechen nutzte.

„Du Irrer!", kreischte ich und er lachte. Es war ein freies, absolut glückliches Lachen und es wärmte mir das Herz. Das hier war Harry, wenn er nicht kurz davorstand, innerlich auszubrennen und von alles und jedem hin und hergerissen zu werden.

Jetzt war er... echt.

Normal.

Ganz er selbst.

Ich liebte es.

„Übrigens", sprach ich, „gelten die Regeln in unserem Vertrag noch? Du weißt schon, jedes Hotelzimmer, in dem wir übernachten, muss auf Bumsibums geprüft werden."

„Klar, ich bestehe sogar darauf!", antwortete er und wir spazierten weiter. Es kam mir immer noch so unwirklich vor, dass wir wahrhaftig in Paris waren.

„Eigentlich wollte ich mit dir ins Kino unter den Katakomben, aber es ist so arschkalt, dass wir erfroren wären. Also möchte ich mit dir ins Printemps-Kaufhaus, nicht jetzt sofort, aber die nächsten Tage", erzählte Harry und ich verzog das Gesicht: „Können wir nicht lieber ins Petit trésor?" 

Ich sah an seinen Augen, dass er ganz genau wusste, dass es sich um den Vintageladen handelte, in dem wir das letzte Mal waren.

„Abgemacht! Aber ich darf dir so viele Klamotten kaufen, wie ich will!"

„Ich könnte ein paar neue Strumpfhosen gebrauchen", frotzelte ich und wackelte mit den Augenbrauen. Harry lachte und sorgte dafür, dass ich eine Pirouette unter seinem Arm hindurch machte.

Heute Morgen hatte ich mit meiner Mutter geschrieben und sie war zu meiner Überraschung nicht böse darüber, dass wir Weihnachten nicht kamen. Stattdessen sollte ich ihr einige Fotos aus Paris schicken.

Ich war so verdammt glücklich, dass es mir Angst machte. Paris, so weihnachtlich geschmückt, mit Harry, der komplett ausgeglichen war, fühlte sich an, wie ein wohliger Traum, der jeden Moment vorbei sein würde.

Natürlich war mir klar, dass es nicht für immer so blieb, aber so lange Harry und ich wollten, würden wir immer wieder zu diesem Glück zurückkehren. 

Zusammen.

Ich folgte Harry heute blind, denn er hatte die Planung übernommen. Zuerst war ich ziemlich ratlos darüber, wo genau er eigentlich hinwollte. Immer wieder blickte er sich suchend um und schließlich verstand ich.

„Ah, der Louvre", sprach ich und er nickte: „Ich war nur einmal drin, aber ich konnte die Kunst nicht genießen, weil ich mit meinen damaligen Personenschützer nur dreißig Minuten hatte."

„Du brauchst auch eher dreißig Stunden, um dir alles in Ruhe angesehen zu haben", meinte ich und war überrascht, dass er nicht die Schlange anpeilte, sondern direkt nach vorne ging. Mein Freund hatte das alles gut geplant und bereits Tickets online gekauft. So sparten wir uns die Wartezeit.

Automatisch machte mein Herz einen Hüpfer, denn ich dachte an das Weihnachtsgeschenk, das sich in meiner Reisetasche für ihn befand.

„Hast du eine fachliche Führung gebucht?", wollte ich nervös wissen und er schüttelte den Kopf: „Nein, die will ich gar nicht. Es gibt nur einen Ort, wo ich hinwill."

Wir hatten Glück, denn der Louvre war nicht total überlaufen. Wie beim ersten Mal erschlug mich die Schönheit der klaren Architektur. 

Eindrucksvolle Skulpturen kreuzten unseren Weg, aber Harry hatte keinen Blick für die Göttin Nike von Samothrake oder der Aphrodite, bekannt als Venus von Milo. Ich dagegen ließ den Blick über den Geflügelten Stier und die große Sphinx von Tanis wandern.

Harry dagegen sah immer wieder auf sein Handy und wirkte, als würde er etwas suchen.

„Für die Mona Lisa müssen wir dort lang", sprach ich, doch er schüttelte den Kopf: „Die interessiert mich nicht."

Beinahe hätte ich gelacht, denn ich hatte sie bei meinem ersten Besuch hier auch ignoriert. Jetzt schritten wir an große Gemälde vorbei und irgendwann setzte Harry sich auf eine der zahlreichen rotbezogenen Bänke, die sich hier im Museum befanden. 

„So, wir sind da."

„Wie meinst du-", ich hielt inne und meine Augen wurden groß, denn wir befanden uns direkt vor dem großen Bild von Jacques-Louis David. Es zeigte Napoleons Körnung in Notre Dame.

Harry wirkte erleichtert, dass ich es erkannte und sprach: „Als deine Eltern bei uns waren, hat mir dein Vater davon erzählt, was er beruflich macht. Irgendwie sind wir auf Paris gekommen und dem Louvre. Dabei habe ich mich erinnert, dass ich dich das letzte Mal nicht begleiten konnte und du darüber ziemlich enttäuscht warst."

„Ja, ein wenig", gab ich zu. „Aber ich habe dir das nicht übelgenommen."

„Nein, das hast du nicht, doch ich habe etwas Wichtiges verpasst", meinte er. „Dein Vater sagte, das Bild wäre irgendwie wichtig und wenn ich die Story dazu hören wollte, dann müsste ich hier mit dir hin." Nun klopfte Harry mit der flachen Hand auf den Platz neben sich. „Ich bin ganz Ohr."

Tief musste ich durchatmen und sah zuerst auf dieses beeindruckende alte Bild. Schließlich musterte ich Harry und das Lächeln auf meinen Lippen wurde eine Spur großer. 

Langsam ließ ich mich neben ihm nieder und erklärte: „Hier haben sich meine Eltern vor über dreißig Jahren kennengelernt."

Ich hatte mir das Bild mit Harry beim letzten Mal zusammen ansehen wollen und jetzt war es tatsächlich so weit gekommen. Mir kam es vor, als würden sich ein starker roter Faden zwischen uns befinden, der uns noch mehr miteinander verband.

Wir brauchten unser Hawaii nicht um wegzulaufen.

Wir brauchten nur unser Paris um glücklich zu sein.

Und unser Paris war überall.


ENDE

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