Teil 1

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„Nein, verlasse mich nicht!

Du bist keine Last und ohne

dich will auch ich nicht mehr leben!"

Zhéi starrte mich aus leeren Augen an. Hatte er mich verstanden?

Ich zupfte an seinem Haar, ließ meine Finger über sein Gesicht gleiten und lehnte meine Stirn gegen die seine.

Tränen rannen über meine Wangen und tropften auf seinen Hals.

Zhéi, spürst du nicht meine Verzweiflung?

Ich fühlte, wie sein Brustkorb sich im Takt der Atmung hob und senkte, empfand seine Qual als die meinige und fing haltlos an zu weinen.

*

Wir hatten eine Einladung zum Powwow Zhéis Familie auf der Red Mesa bekommen und da sich der Pickup in Reparatur befand, waren wir mit dem Jeep unterwegs. Zhéi hatte den Stauraum mit Schaumstoff ausgepolstert und uns somit eine bequeme, wenn auch kleine Schlafstätte errichtet.

Diesmal saß ich hinter dem Steuer, Zhéi litt unter Kopfschmerzen und war auf dem Beifahrersitz eingenickt. Unser Weg führte durch ein ausgetrocknetes Flussbett und in Erinnerung an meine erste Fahrt durch unwegsam erscheinendes Gelände ließ mich lächeln.

Damals war ich Tourist und Zhéi mein Guide. Genau wie heute saß er seinerzeit neben mir, jagte mich über Stock und Stein, bergauf und bergab und eben auch durch einen Arroyo, wie die Spanier das Trockental nannten.

Es war früher Nachmittag, die Sonne schien hoch am Himmel und mein Shirt war schweißdurchtränkt. Es war fürchterlich stickig und heiß, selbst der Fahrtwind der durch die offenen Fenster drang, brachte keine Erleichterung und ich begann schläfrig zu werden. Ob ich wohl eine Pause einlegen sollte?

Ich blickte in den Himmel. Von links näherten sich einige Schäfchenwolken und ließen auf etwas Abkühlung hoffen. Ich seufzte auf und schrak zusammen, als ein Kaninchen auftauchte. Einen Moment hoppelte es vor dem Wagen her, schlug dann einen Haken und entkam dem Flussbett.

Kopfschüttelnd versuchte ich die Müdigkeit abzuschütteln und mich wieder zu konzentrieren.

Ich schaute erneut in den Himmel als ein Schatten auf die Landschaft vor mir fiel. Die Wattewolken hatten sich zusammengeschlossen und bildeten nun eine Wand, die sich vor die Sonne schob. Vielleicht würde es etwas regnen, die trockene Erde lechzte nach Feuchtigkeit. In der Ferne schien der Himmel schon dunkelgrau, die Luft wurde eisig und Zhéi erwachte aus dem Halbschlaf.

Ein Blick auf den Himmel ließ ihn erstarren.

Schnell hier weg!

Entsetzt fuchtelte er mit den Händen und griff mir ins Steuer.

He, was soll das?

Ich schob meinen Mann zur Seite und brachte den Jeep wieder in die Spur. Zhéi hatte wohl geträumt, anders konnte ich mir sein Verhalten nicht erklären.

Wieder griff er ins Steuer und schob jetzt sogar seinen Fuß über meinen und trat aufs Gas.

Der Jeep sprang widerspenstig von rechts nach links, nach oben und unten und schlingerte in einem Höllentempo vorwärts.

Unterdessen hatte uns die nunmehr schwarze Wolkenwand eingeholt und Regen prasselte auf unser nieder. Die Windschutzscheibe beschlug und der hastig eingeschaltete Scheibenwischer kam nicht gegen die Wassermassen an. Schlagartig wurde es Duster und ich hatte keine Ahnung, ob wir uns noch immer auf einer Fahrspur befanden.

Zhéi versuchte verzweifelt den Wagen zu steuern und ich begriff langsam, dass wir uns in einer gefährlichen Situation befanden.

„Wohin?????", brüllte ich und trat nun freiwillig aufs Gas.

Eben noch lagen die Ufer des Flussbettes weit auseinander und stiegen sanft an, jetzt kamen sie eng auf uns zu und waren so steil, dass ich mir wie in einer Mausefalle vorkam.

Schweiß rann über Zhéis Gesicht und tropfte auf meine Hände, als er sich noch weiter über mich beugte und die Tür öffnete.

Mit einem Griff löste er meinen Gurt und schubste mich aus dem Wagen.

Ich landete unsanft im Flussbett, welches sich langsam mit Wasser füllte.

„He, du Arsch, was soll das?", brüllte ich erschrocken und drohte mit der Faust dem Jeep hinterher. Was, zum Teufel, hatte sich Mr. ‚Ich schaffe alles alleine' dabei gedacht, mich aus dem Auto zu stoßen?

Während der Jeep davon raste rappelte ich mich auf, nur um von einem auf dem Wasser treibenden Ast wieder umgestoßen zu werden. Ich landete bäuchlings im Schlamm, bekam einen Schwall Wasser in den Mund und rang um Luft. Panikartig strampelte ich mit den Beinen bis ich wieder festen Boden unter mir spürte. In Sekundenschnelle hatte sich das Rinnsal erst in einen Bach und dann in einen Fluss verwandelt. Eben noch waren lediglich meine Knöchel bedeckt, jetzt stand mir das Wasser schon bis zum Knie und stieg weiter an. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich auf die davontanzenden Rücklichter unseres Wagens und erkannte schlagartig, dass das Auto zur Falle geworden war, eine Falle, in der Zhéi nun ganz alleine hockte.

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt