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Es war fast wieder wie früher, ich konnte mich mit Zhéi unterhalten und er schien sich mit seiner Situation abgefunden zu haben. Er war sogar damit einverstanden, dass zwei Pferde bei uns einzogen und mit Hilfe von Fingerfood und seiner Mannschaft bauten wir einen Unterstand mit Paddock und zäunten großzügig das Gebiet um den Hogan herum ein. Fingerfood hatte auch unseren Jeep wieder instantsetzen lassen und Zhéi und er übten mit mir, über den letzten Hügel zu fahren.

Zhéi hatte sich draußen einen Schreibplatz eingerichtet. Saß er früher gerne im Haus fühlte er sich jetzt draußen wohler. Dort konnte er die Sonne und den Wind spüren, die Pferde kamen manchmal vorbei und beschnupperten ihn und er schien dies alles zu genießen. Er arbeitete fleißig an seiner Familiengeschichte, die er jetzt aus dem Gedächtnis heraus aufschreiben musste und bat mich manchmal, ihm zu helfen. Viel konnte ich nicht tun, seine Notizen waren in Dine geschrieben, aber es gab genug Kopien von Schriftstücken, die ich lesen und abtippen konnte. Ich druckte diese und gab sie ihm zum Lesen zurück. Ab und zu kam Fingerfood vorbei und half ihm.

Nachts lagen wir eng beisammen, liebten uns oder genossen einfach nur die Nähe des anderen. Es schien, als sei uns ein bescheiden ruhiger Lebensabend gegönnt.

Ich fuhr täglich mit dem Jeep über den Berg bis zum Briefkasten an der Straße. Dort hatte ich Telefon und Internet-Empfang, nahm also nicht nur die Post aus dem Kasten, sondern verband mich mit den Medien und schaute nach Mails, Messenger-Nachrichten und aktualisierte meine Apps. Bei den Mails war eine aus meiner alten Heimat Deutschland. Eine meiner Großnichten heiratete und lud uns zur Feier ein. Als ich Zhéi später davon erzählte, winkte er ab.

Du kannst gerne deine Familie besuchen, ich bleibe hier.

Ich versuchte erst gar nicht, ihn zu überreden, doch mitzukommen. Ich konnte mir sehr gut vorstellen, dass diese Reise eher eine Qual als etwas Schönes für ihn war. Ich buchte eine Woche Deutschland, informierte unsere Freunde, da ich Zhéi nicht die ganze Zeit allein lassen wollte, und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich war lange nicht mehr in meiner kleinen Wohnung im Hochsauerland gewesen, doch Martin, der Besitzer meines ehemaligen Hauses hatte sich gut um alles gekümmert. Meine Räume waren noch genauso, wie ich sie verlassen hatte und ich fühlte mich sofort wieder heimisch.

Meine Familie, die aus meiner Schwester, meinen zwei Brüdern, sieben Nichten und Neffen mit ihren Partnern und 15 Großnichten und Neffen bestand, kam schon einen Tag vor der Hochzeit zusammen und es wurde ein schöner Abend mit vielen Geschichten und Erinnerungen. Ich hatte viel nachzuholen und musste noch das ein oder andere Familienmitglied kennenlernen, welches im Laufe der Jahre neu dazugekommen war. Chris, der Freund einer Großnichte, interessierte mich besonders. Er war noch keine 18 Jahre alt und trug ein auffälliges Hörgerät. Wir hatten nur wenig Gelegenheit uns darüber zu unterhalten, verabredeten uns aber für ein Gespräch bei einem netten Abendessen.

Als ich nach Arizona zurückkehrte, hatte ich einen Rucksack voller Neuigkeiten und Ideen dabei. Ein wenig mulmig war mir schon, als ich in die Sandpiste zum Hogan einbog. Mein Hochgefühl hatte sich verflüchtigt und mir kamen Zweifel, ob ich Zhéi mit meiner neuen Idee wirklich etwas Gutes tun würde. Ich würde mich wieder über ihn stülpen und sein Leben manipulieren. Und das hasste er wie die Pest. Auch, wenn er es nur selten zugab. Ich beschloss, mich diesmal ganz Navajo zu verhalten.

Mit dem Jeep nahm ich die letzte Hürde über den Berg jetzt schon richtig routiniert und beim Parken vor dem Hogan wirbelte ich absichtlich mächtig Staub auf, um Zhéi mitzuteilen, dass Besuch gekommen war. Wirklich, da saß er auf seinem Schreibplatz und hob den Kopf, als er den Sand herumwirbeln spürte. Ich verließ den Jeep, blieb aber in angemessener Entfernung stehen und beobachtete meinen Mann, der eine ganze Zeitlang still vor sich hinstarrte. Dann gab er das Zeichen, dass ich nähertreten durfte.

Wer bist du?

Ich zupfte an seinem Zopf und ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Mit geübtem Griff zog er mich auf seinen Schoß und tauchte seine Nase in mein Haar.

Ich habe dich vermisst.

Meine Hand fand den Weg unter sein Shirt, suchte die Herzgegend und verweilte dort.

Ich bin froh, wieder hier zu sein.

Eine Weile unterhielten wir uns in unserer ganz eigenen Körpersprache, sagten uns, wie lieb wir uns hatten und dass wir zusammengehörten. Dann befreite sich Zhéi aus der Umarmung und schob mir den kleinen Drucker zu, der neben ihm auf dem Tisch stand.

Ich möchte mit dir reden.

Gerne.

Du wirkst aufgeregt. Hast du in Deutschland etwas Besonderes erlebt? Möchtest du erzählen?

Es war sehr schön, meine Familie wiederzusehen. Alle sind gesund und munter und vermehren sich wie die Kaninchen.

Da ist noch etwas.

Ich weiß nicht, ob ich es dir erzählen soll.

Was sind deine Bedenken?

Dass du mich wieder für übergriffig hältst.

Ich werde darüber hinwegsehen.

Ich habe jemanden kennengelernt, der taub ist, aber durch moderne Technik hören kann.

Erzähle mir davon.

Es gibt eine Möglichkeit, mit Hilfe eines Implantates dem Gehörlosen zum Hören zu verhelfen.

Weiter. Erkläre es mir.

Ich strich Zhéi über die Nase, nahm sein Gesicht in beide Hände und küsste seine Stirn. Dann setzte ich mich wieder an den Laptop und tippte eine ganze Weile, bevor ich den Text drucken ließ.

Es nennt sich Cochlea Implantat. Zuerst wird geprüft, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind, es werden körperliche Untersuchungen gemacht. Wenn da alles ok ist, bekommt man einen Chip in das Innenohr eingepflanzt, nicht ins Gehirn, sondern im Ohr. Nach dieser OP muss erst alles heilen. Ein paar Wochen später wird ein Hörgerät auf die Ohrmuschel gesetzt. Man kann dann nicht sofort alles hören, man muss das dann einstellen, das dauert wieder ein paar Wochen. Und dann hört man alles, fast so wie jeder gesunde Mensch auch.

Zhéi las diesen Text immer wieder. Endlich hob er die Hände.

Hast du noch mehr Informationen?

Ja.

Ich suchte in meinem Handy die Infoblätter zusammen und ließ sie drucken. Zhéi nahm die Blätter und bat mich, ihn allein zu lassen. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er mich wieder herbeiwinkte.

Vertraust du der Methode?

Ja, ich habe mich mit Chris ausgiebig darüber unterhalten. Ich weiß, es ist eine Methode der Weißen. Diese Art Hörgerät gibt es schon seit sehr vielen Jahren, hat man dich nie darauf getestet?

Kara, ich bin ein armer Navajo, wir leben hier in der Rez! Hier hat man sich mit dem, was ist, abzufinden.

Ich habe keine Ahnung, ob du bereit bist, dich darauf einzulassen. Du musst in ein Krankenhaus. Man pflanzt etwas in deinen Kopf.

Ich vertraue dir. Die Klinik ist in Phoenix. Lass uns einen Termin machen.

Ich starrte Zhéi an. Hatte ich richtig gesehen? Er war nach nur kurzer Überlegung bereit, sich darauf einzulassen? Ich hatte mit mehr Widerstand und mehr Fragen gerechnet.

Ich fahre morgen in die Stadt und werde alles veranlassen. 

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt