Am nächsten Nachmittag kamen Zhéis Poker Freunde. Ich kannte Squirrel und seine Freunde flüchtig und begrüßte sie freundlich. Sie hatten ein Kartenspiel mit Blindenschrift mitgebracht und setzten sich sofort zu meinem Mann und begannen zu spielen. Dabei unterhielten sie sich lebhaft und hatten jede Menge Spaß. Ich stand am Eingang des Hogans und beobachtete die Männer.
Zhéi sprach mit den Händen, tastete nach den Karten und bekam von seinen Freunden gesagt, welche Karten sie jeweils aufgedeckt hatten. Dabei schienen sie sich die ganze Zeit zu necken oder Witze zu erzählen. Verstehen konnte ich nur Zhéis Gesten, die anderen sprachen Diné, welches ich nur ansatzweise verstand.
Ich versorgte die Kartenspieler mit Getränken und Zhéi machte mir klar, dass sie später etwas zu essen haben wollten. Ich zog mich zurück und durchsuchte meine Vorräte. Viel hatte ich nicht mehr in den Regalen. Ich räumte Gurkengläser zur Seite und schaute in die hintersten Ecken. Dann stieß ich auf ein Päckchen Erbsen, die ich vor längerer Zeit in Phoenix gekauft hatte. Eine Dose mit Möhren, getrocknete Zwiebeln, Sellerie, Rindswurst und ein paar frische Kartoffeln lagen noch in der Lebensmittel Kiste, den Rest würde ich improvisieren. Zum Glück waren die Erbsen geschält und mussten nicht eingeweicht werden. Ich schälte die Kartoffeln, packte alle anderen Zutaten zusammen und warf sie in das kochende Wasser. Dies würde eine gute Erbsensuppe a la Kara werden! Fröhlich pfeifend suchte ich noch ein paar Gewürze zusammen und ließ das Ganze auf dem Herd köcheln. Zum Schluss kippte ich noch etwas Essig in die Suppe. Hmmmmm, mir schmeckte sie gut! Brot hatte ich keins und zum Backen fehlte mir die Zeit, da musste mein letztes Päckchen Knäcke herhalten.
Als von draußen Gegröle erklang war das für mich das Zeichen, hinauszugehen.
„Hey Langschläfer, dein Mann hat das Spielen nicht verlernt! Er hat tatsächlich wieder gewonnen!" Squirrel lachte und die anderen stimmten mit ein.
„Dann kann ich euch ja jetzt was zu essen bringen", schmunzelte ich und holte den Topf mit der Suppe. Die Männer warfen sich verstohlene Blicke zu während Zhéi schnupperte.
Was ist das?
„Erbsensuppe."
Kann man das essen?
„Mir schmeckt sie!"
Trotzig guckte ich in die Runde und scheppte den Männern die Teller voll. Dazu stellte ich den Korb mit dem Knäckebrot auf den Tisch. Squirrel sagte etwas auf Diné und die anderen lachten. Dann begann er vorsichtig zu löffeln. Zhéi rührte unschlüssig in seiner Suppe. Ich hatte mich neben ihn gesetzt und stupste ihn jetzt an. „Iss!"
Ich warte lieber, ob einer von den anderen tot umfällt
Randy kicherte: „Gewöhnungsbedürftig aber nicht tödlich." Squirrel hob seinen Löffel und schlürfte laut. „Und dazu dieses einzigartige Brot. Du musst Marcia unbedingt das Rezept geben." Ich zeigte unter dem Tisch den Stinkefinger und begann zu essen. Zhéi kniff mich in die Seite (Humor) und probierte nun seinerseits die Suppe. Niemand fiel tot um und keiner verzog sich stundenlang im Klohäuschen. Der Topf war leer und das Knäcke aufgegessen. Die Männer rauchten noch eine zusammen, dann machten sich die Gäste wieder auf den Weg nach Hause.
„Erwartest du morgen wieder Besuch?" Zhéi und ich saßen noch draußen auf der Bank und spülten die Teller mit etwas kaltem Wasser ab.
Es kommt ein Teil der Familie. Ich weiß nicht genau, wieviel es sind. Es wäre gut, wenn du morgen einkaufen fährst.
„Ich muss etwas mit dem Geld haushalten, glaubst du, sie sind mit Nudeln zufrieden?"
Kein Geld für Lammbraten?
„Ich schau, was ich kriegen kann. Willst du nicht mitkommen?"
Nein, du machst das gut. Die Suppe war lecker, doch das würde hier niemand zugeben.
„Hihi, ich hoffe, wir müssen nicht zu viel pupsen."
Wir sind Hülsenfrüchte gewohnt. Mach dir keine Sorgen. Nimm morgen mein Handy mit, damit sich die Apps aktualisieren. Ich habe auch ein paar Nachrichten geschrieben, die dann gesendet werden können.
Als ich am nächsten Tag vom Einkauf zurückkam standen vor dem letzten Berg einige Autos; die Familie war gekommen. Nicht jeder hatte einen geländetauglichen Wagen oder getraute sich, die Buckelpiste zum Hogan zu nehmen und ging lieber zu Fuß. Ich kam mittlerweile ganz gut über den Berg und parkte vor unserer Hütte.
Zhéi hatte zusätzlich zu Bank und Tisch, die aus dicken Holzbalken bestanden, die Sitzgarnitur vom Camper geholt an der jetzt einige Frauen saßen. Auf dem hinteren Platz spielten ein paar Kinder mit einem Ball, drei Jugendliche lümmelten bei den Pferden herum und die Männer standen zusammen am Hogan und betrachteten den dort stehenden Heimtrainer, mit dem Zhéi ab und zu für mehr Strom sorgte.
„Hallo Langschläfer!", wurde ich freundlich begrüßt und Wendy, eine von Zhéis Nichten - oder Kindern, wie die Navajo Bezeichnung lautete - kam zu mir und half, die Getränke in den Hogan zu tragen. Auf dem Herd köchelte Suppe in einem mir fremden Topf und im Ofen schien etwas zu backen. Wendy bemerkte mein Stirnrunzeln und lachte: „Wir haben von deinen Kochkünsten gehört und unser Essen lieber von zu Hause mitgebracht." „Danke", seufzte ich erleichtert. „Meine Rente ist noch nicht gekommen und ich habe schon für die Getränke anschreiben lassen."
„Langschläfer, wir alle werden euch unterstützen. Du hättest dich schon vorher an die Familie wenden können. Wir alle hätten gesammelt damit Zhéi wieder hören kann."
„Danke. Ihr habt doch selbst alle nichts. Ich wollte euch nicht zur Last fallen."
„Du hast keine Ahnung was Familie bedeutet? Wir halten alle zusammen, das Glück des anderen ist wichtig, manchmal wichtiger, als das eigene. Als heute Morgen die Nachricht von Zhei kam, er habe kein Essen im Haus, war es für uns selbstverständlich, euch zu versorgen. Wir haben auch ein paar Vorräte mitgebracht. Ihr könnt nicht nur von - Erbsensuppe und Knäckebrot leben!" Wendy lachte fröhlich. Anscheinend hatten sich meine Kochkünste schon herumgesprochen.
„Wie hast du das alles finanziert? Die Operation war bestimmt nicht billig?"
„Ich hatte ein wenig gespart und für den Rest einen kleinen Kredit aufgenommen, der ist in drei Monaten abbezahlt da ich hohe Raten zurückzahle."
„Wieviel?"
„Jetzt noch knapp 6.000 Dollar."
„Du kannst 2.000 im Monat zurückzahlen?"
„So gerade eben. Wir haben keine großen Ansprüche."
Wendy nickte und wir begaben uns wieder nach draußen zu den anderen.
Es wurde ein angenehmer Nachmittag und am Abend verabschiedeten sich die Gäste gutgelaunt.
„Wie war das heute? Du hast vielen Leuten gleichzeitig zuhören müssen", fragte ich Zhéi als wir für eine letzte Zigarette nach draußen gingen.
Es hat mir nichts ausgemacht. Das Hörgerät ist wirklich sehr gut.
Zhéi machte enorme Fortschritte, das Rauschen im Kopf nahm ab und die Geräusche wurden immer differenzierter und deutlicher.
Jeden Abend saßen wir kurz zusammen und sprachen über den Tag. Er erzählte mir von seinen Hörerlebnissen und ließ mich an seinen Gedanken teilhaben, was mich unglaublich glücklich machte.
Ich vergaß Tag X und ließ mich treiben.
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Wenn die Seele zerbricht
RomanceFortsetzung der Geschichte: Wenn die Seele heimkommt Zhéí und Karen, die sich jetzt Kara nennt, werden von einem Unwetter überrascht. Während sich Kara mit letzter Kraft aus einem Flussbett retten kann treibt der taubstumme Zhéí in seinem Auto gefa...