Eines Abends fragte er mich:
Ich würde gerne wieder herumreisen. Was sagst du dazu?
„Was ich dazu sage? Das wäre wunderbar! Wegen mir können wir sofort packen!"
Zhéi lächelte und klopfte neben sich auf die Bank. Diese Aufforderung ließ ich mir nicht zweimal zeigen. Wie der Blitz sprang ich auf seinen Schoß, wuschelte durch sein Haar und lehnte meine Stirn an die seine. Zhéi rieb seine Nase an der meinigen und mir wurde heiß vor Glück. Unser erstes Ziel war der Lake Powell und dort unser geheimer Stellplatz, an dem wir uns vor einigen Jahren nähergekommen waren. Während der Fahrt erzählte ich Zhéi, was ich sah. Manchmal stellte er Fragen und einmal bat er mich, anzuhalten.
Es war mitten im Nichts, umgeben von rotem Staub und entfernten Bergen. Es war brütend heiß und außer uns gab es weit und breit kein Leben. Trotzdem stieg Zhéi aus und streckte die Nase in die Luft. Auch ich hatte den Wagen verlassen und trat nun hinter ihn. Er hatte mich gehört, griff nach mir, zog mich an sich und legte meine Arme um seine Hüften. So standen wir eine ganze Zeitlang und ich bohrte meine Nase in seinen Rücken. Ich hatte keine Ahnung, was er da tat, woran er dachte, ob er betete oder ihm einfach nur warm war. Es war egal, es fühlte sich für mich gut an, er war entspannt und wirkte zufrieden. Nach einer Weile drehte er sich um.
Danke
„Gerne. Magst du noch bleiben oder fahren wir weiter?"
Weiter! Ich möchte den See hören
Wir brauchten nicht mehr lange bis zu unserem Stellplatz. Gemeinsam setzten wir uns an das felsige Ufer und während ich mir eine Zigarette anzündete lauschte mein Mann den vorhandenen Geräuschen. Es war für mich wie ein Wunder, dass Zhéi alles was er hörte mit etwas in Zusammenhang bringen konnte.
Es sind Enten auf dem See? Eine taucht nach Nahrung, eine andere putzt sich?
„Ja."
Über uns kreist ein Falke?
„Ich weiß nicht, ob es ein Falke oder ein anderer Raubvogel ist."
Es ist ein Falke!
Hörst du das leise plätschern? Es müssen Fische im Wasser sein.
Ich hörte gar nichts und stand auf um einen Blick in den See zu werfen. Tatsächlich, einige größere Fische zogen davon als mein Schatten auf das Wasser fiel. „Wie kannst du sie hören? Sie sind völlig lautlos!" Verblüfft schaute ich auf. Zhéi lächelte, dann lachte er, so sehr, dass ihm Tränen über die Wangen flossen. Er wollte mir etwas mitteilen, doch seine Hände gehorchten ihm nicht. Erst als ich zu ihm trat, beruhigte er sich langsam, streckte seine Hand nach mir aus und erfasste meinen Arm. Er kniff mich und formte dann seine Worte mit den Händen:
Im Wasser sind IMMER Fische. Es war ein Versuch wert!
Liebevoll strich ich ihm über die Nase und setzte mich wieder zu ihm. Es tat so gut, dass er seinen Humor nicht verloren hatte.
Es ist eine friedliche Gegend. Heute Abend werde ich auf dem Camper liegen und die Tiere der Nacht erlauschen.
„Glaubst du, wir können die Matratze aufs Dach hieven? Dann komme ich mit."
Das kriegen wir hin!
Am Abend bereiteten wir unsere Schlafstätte auf dem Camper vor und als es dunkel wurde, machten wir es uns dort oben bequem. War es früher schon ein Erlebnis für mich, die Tiere von oben aus zu beobachten, bekam es in dieser Nacht noch eine besondere Note: Zhéi konnte fast jedes Tier anhand seiner Stimme identifizieren und erklärte mir geduldig, was er darüber wusste. Zuerst aber war alles still. Nur im Wasser plätscherten noch ein paar Vögel. Dann bat Zhéi mich:
Heul mal wie ein Coyote.
Ich brachte die Hände zum Mund und legte los. Es verging keine Minute, da gab es von irgendwo her eine Antwort, die über den See schallte. Kurz darauf erklang aus einer anderen Richtung ein weiteres, unheimliches Geheul. Plötzlich schien die Nacht voller Laute. Zhéi hatte sich aufgesetzt und genoss das Lied der Coyoten. Nach einer Zeit kehrte wieder Ruhe ein. Ich kuschelte mich an meinen Mann und liebkoste seine Brust. Sanft strich er über meinen Rücken und beugte sich zu mir, als ein schauriger Laut ertönte. Ich zuckte zusammen und Zhéis Körper begann zu beben - er lachte.
Eine Eule
„Phu, das klingt wie der Ruf eines Geistes!"
Als Zhéi mich weckte stand die Sonne schon hoch am Himmel und ich war nassgeschwitzt. Wir waren die halbe Nacht wach gewesen und ich hatte somit den Sonnenaufgang verschlafen. Immer noch müde stieg ich vom Dach, wartete bis Zhéi die Matratze wieder in den Camper verstaut hatte und legte mich noch einmal hin.
Am nächsten Tag fuhren wir mit Zhéis Freund aus Page und dessen Boot über den Lake Powell bis hin zur Rainbow Bridge und die Männer übernachteten unter derselben während ich mich mal wieder auf den Weg legte.
Die nächsten Tage waren mit schönen Erlebnissen ausgefüllt: wir badeten im See, besuchten ein paar Freunde und schipperten mit dem Boot verschiedene Felsen an. Nach ein paar Tagen bat Zhéi mich:
Können wir morgen Richtung Yellowstone fahren?
„Klar, warum nicht. An was hast du gedacht?"
Bären, Büffel, Elche.
„Also nicht an die Geysire, sondern in den Wald?"
Genau
Zhéi hob den Daumen. An diesem Abend gingen wir zeitig zu Bett, wir wollten gemeinsam früh aufstehen, Zhéi brauchte meine Augen um den Sonnenaufgang zu erleben. Mittlerweile war ich recht geübt darin, unsere Umgebung so zu beschreiben, dass mein Mann eine Vorstellung davon bekam. Nach einem kleinen Frühstück packten wir gemeinsam alles zusammen und ich fuhr unserem nächsten Ziel entgegen.
Es machte so viel Spaß, Zhéi beim Hören zuzusehen. Er hatte das Fenster geöffnet, hielt die Hand nach draußen und ahmte dem Wind nach. Dabei versuchte er zu pfeifen und lachte, wenn die Töne nicht so kamen, wie er wollte. Einmal mussten wir anhalten, weil eine Herde Bisons den Weg versperrte. Zhéi holte ein Hundespielzeug aus seiner Tasche und ließ es quietschen. Sofort hoben ein paar Muttertiere den Kopf und gaben einen Lockruf von sich. Zhéi wollte noch einmal zudrücken doch ich hielt ihn davon ab. „Nicht, sie kommen sonst auf und zu."
Hast du Angst sie nehmen uns mit?
„Nein, ich habe Mitleid. Sie suchen jetzt nach Babys und finden keine."
Wieder lachte er und die Fältchen um seine Augen wurden zu Falten. Wenigstens auf der linken Seite, die Haut auf der rechten Seite war ledrigsteif durch die Verbrennungen, die er einst erlitten hatte.
Es war so wunder wunderschön mit Zhéi wieder durch das Land zu fahren. Für ihn schien es ein Abenteuer ganz besonderer Art zu sein, die Dinge zu hören, auch wenn er sie nicht mehr sehen konnte. Er war fröhlich und entspannt und genoss meine Nähe sehr. Immer wieder kam er zu mir, ließ sich leiten und fragte mich was ich sah. Die Nächte verbrachten wir zusammen als hätten wir uns gerade erst kennengelernt und nur selten schliefen wir vor Mitternacht ein. Am Ende unserer Reise nahmen wir uns in Flagstaff ein Zimmer, duschten ausgiebig und suchten dann wieder unseren Hogan auf.
Fingerfood, in dessen Obhut wir die Pferde gelassen hatten besuchte uns am nächsten Tag um uns die Tiere zurück zu bringen. Die beiden Freunde saßen den Abend beieinander und unterhielten sich lebhaft. Ich hatte mich mit einem Buch zurückgezogen.
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Wenn die Seele zerbricht
RomanceFortsetzung der Geschichte: Wenn die Seele heimkommt Zhéí und Karen, die sich jetzt Kara nennt, werden von einem Unwetter überrascht. Während sich Kara mit letzter Kraft aus einem Flussbett retten kann treibt der taubstumme Zhéí in seinem Auto gefa...