Teil22

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Zhéi übte täglich und konnte bald die App selbst über seine Tastatur bedienen. Schon am zweiten Tag hatte er das Gefühl, verschiedene Vogelstimmen zu erkennen und am dritten Tag trug er ständig ein Grinsen auf den Lippen. Da er mit mir nicht über seine Übungen reden wollte und das Smartphone nur noch auf Lautlos stellte wusste ich nicht genau, was er alles übte und hörte, doch nach einer Woche winkte er mich zu sich.

Sag etwas.

„Mein Mann lächelt. Ich glaube, er kann hören!"

Es ist tatsächlich so, ich verstehe dich, ich höre deine Stimme! Es rauscht und rappelt in meinem Kopf, aber ich kann etwas hören!!

Tränen standen in seinen Augen.

Du bist das erste Geräusch, welches ich nicht per Smartphone höre. Es ist - Überwältigend!

Jetzt weinte er wirklich und es schüttelte ihn am ganzen Körper. Er tastete nach mir und ich nahm ihn in den Arm, so, wie man ein Kind hält. Er klammerte sich an mich und presste seinen Kopf an meine Brust. Immer wieder wollte er sich lösen um mir etwas mitzuteilen, doch der Heulkrampf hielt ihn davon ab. Nach einer kleinen Ewigkeit ebbte das Weinen ab und er schaffte es, sich so hinzusetzen, dass er die Hände frei hatte.

Sag was, Geliebte.

„Zhéi, ich bin so glücklich. Ich hatte große Angst, dass es nicht funktioniert. Ich...", jetzt brach meine Stimme und wandelte sich in ein Schluchzen.

Ich höre dich nicht mehr, es rauscht nur noch seltsam. So wie am Anfang.

„Es...es ist gut, ich musste auch mal kurz weinen."

In den nächsten Tagen wurde die App zweitrangig. Zhéi setzte sich vor den Hogan und lauschte auf die Geräusche der Natur. Er konnte noch lange nicht so hören wie ich doch für ihn war es schon die Erfüllung nur zu erahnen welche Geräusche ihn umgaben. Da das Implantat nur auf der linken Seite funktionierte, konnte er nicht unterscheiden, ob die Laute von vorne, hinten oder seitwärts kamen, doch dies störte ihn nicht. Wieherte eins der Pferde lächelte er, summte eine Biene grinste er und wenn ich um die Ecke kam und ihn ansprach, traten immer wieder Tränen in seine blinden Augen.

Er konnte viele der Geräusche, die in seinem Kopf klangen noch nicht einordnen, manchmal half es ihm, wenn ich ihm erklärte, was es war, manchmal nahm er es einfach hin. Das Rauschen wurde weniger, das Verstehen besser. Er traute sich wieder mehr zu und bat mich, mit ihm über den Berg zu laufen. Auf der Bergkuppe blieb er stehen und löste sich von meiner helfenden Hand. Er streckte die Nase in die Luft und schien mit dem ganzen Körper zu hören. Langsam drehte er sich, erspürte den Wind und lauschte der Natur. Tief, tief atmete er ein, hielt eine Weile die Luft an und atmete dann befreiend aus. Er spitzte den Mund und pfiff ein Liedchen. Dann winkte er mich zu sich, fasste mich an den Hüften und wirbelte mich im Kreis. Er drückte mich an sich und küsste meinen Hals, ließ mich wieder los und lauschte. Mein Mann war glücklich und ich war es auch.

Wir machten kleine Ausritte auf unseren Pferden Schlafmütze und Donner und genossen die Zweisamkeit. Nach ein paar Wochen musste Zhéi noch einmal nach Phoenix um das Hörgerät weiter justieren zu lassen. Auf der Hinfahrt bat er mich, mit ihm zu reden und ihn zu Unterhalten. Einen kurzen Moment machte ich auch das Radio an und fand einen Sender mit ruhiger Musik. Während Zhéi im Hospital mit dem Hörakustiker beschäftigt war, tätigte ich ein paar Einkäufe und wartete dann auf seinen Anruf. Mein Mann grinste über alle vier Backen als er aus dem Gebäude trat.

Der Mann versteht mich! Das Hörgerät ist jetzt so eingestellt, dass ich der Natur noch mehr lauschen kann, es Stimmen oder anderen Krach weniger intensiv überträgt und ich sogar selbst ein paar Parameter einstellen kann. In ein paar Wochen prüfen wir erneut, ob alles so ist, wie es mir guttut. Allerdings rät er, wieder persönlichen Kontakt mit Menschen aufzunehmen. Ich glaube, er hat Recht, ich bin soweit.

„Das ist so schön, dass du wieder am Leben anderer teilnehmen möchtest!"

Ich drückte seine Hand und freute mich auf die Zukunft.

Kannst du mir dein Lieblingslied vorspielen? Ich habe es noch nie gehört.

Erstaunt schaute ich auf. Stimmt, als Iron Maiden ihr "Run to the Hills" in den USA herausbrachten, war er schon taub gewesen. Ich koppelte das Handy mit dem Radio und suchte den Song heraus. Zhéi hörte entspannt zu und ließ es sich noch einmal vorspielen.

Ein Text der tatsächlich schon in den 1980ern gespielt wurde?

„Ja."

Ich mag ihn. Du hast einen guten Musik Geschmack.

Er tätschelte mein Bein und grinste. Dann nahm er seine Tastatur zur Hand und legte das Handy bereit. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie er die Geräte handhabte. Er tippte und die Sprachausgabe des Handys wiederholte den Befehl:

„Öffne den Messenger - schreibe an ff - Ich möchte Besuch. Z." „Schreibe an az - Donnerstag wäre gut." So ging es weiter. Es waren bestimmt ein Dutzend Nachrichten, die er verschickte. Bei manchen gab er Zeitpunkte an, bei anderen nicht. Da er seine Kontakte nur mit zwei oder drei Buchstaben gespeichert hatte wusste ich nicht, wem er alles Bescheid gegeben hatte, aber die letzte Nachricht war klar. „Schreibe an K: Ich liebe dich. Ich freue mich, wenn ich dich in den Arm nehmen kann." Kurz darauf gab mein Handy ein niesen von sich, das Signal, dass ich eine Nachricht von Zhéi erhalten hatte.

„Du bist der Knaller! Wie schnell du alles gelernt hast. Ich bin gespannt, wer wann bei uns auftaucht. Ich liebe dich auch und wenn wir zu Hause sind, darfst du mich sehr gerne in den Arm nehmen."

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt