Wir trafen uns alle im Monument Valley. Hier, in der Weite zwischen den riesigen Felsen, war der beste Ort für die Zeremonie, die Zhéi die Kraft geben sollte, sein Schicksal zu meistern.
Nachdem er sich in der Schwitzhütte gereinigt und mit dem Rauch des Salbeis umhüllt hatte, führte ihn einer der älteren Männer zu seinem Sitzplatz im Schatten eines einsamen Felsens. Unterdessen nahmen die Menschen Aufstellung, ich war die erste. Ich nahm seine Hände in die meinigen, ließ ihn dann mein Gesicht berühren, damit er wusste, wer ich war, und strich ihm dann über die Nase.
Ich bin deine Frau Langschläfer, und ich gebe dir all meine Kraft, die ich habe, weil ich dich liebe.
Jeder der Gäste versuchte nun Zhéi klar zu machen, wer er war, und warum sie ihm Kraft abgeben wollten. Es wurde Abend doch die Schlange der Menschen brach nicht ab. Zhéi hatte so viele Freunde, Familie, Bekannte - ich hatte das Gefühl, die halbe Navajo Nation war erschienen, um ihm zu helfen. Ich stand an seiner Seite, versorgte ihn mit Getränken und Essen und half, wenn sich jemand nicht befriedigend mit ihm verständigen konnte.
Unterdessen hatte man ein Lager aufgebaut: mehrere große Zelte, Tische, Bänke, zwei Kochstellen und einen Grill. Rundherum standen alle möglichen Autos, Wohnmobile, Trucks und Motorräder. Man hatte Wohnzelte aufgestellt und einige Familien bauten sich Unterstände aus Planen oder Sonnensegeln.
Die Trommler hatten sich zusammengefunden und schlugen im Takt eines lautlosen Liedes. Fingerfood nickte mir zu und ich begann mit dem Tanz, der meine Energie und Kraft auf Zhéi übertragen sollte.
Ich blieb nicht lange allein, immer mehr Menschen schlossen sich mir an und gaben, was sie geben wollten. Mit geschlossenen Augen stampfte ich vor mich hin. Im Gegensatz zu all den anderen kannte ich die Bedeutung der Schritte nur oberflächlich, doch der Sinn war mir klar: ich opferte meine Kraft einem Freund in der Hoffnung, dass er sie empfangen und nutzen konnte.
Die Nacht war lang und nach Stunden des Tanzens brach ich einfach zusammen. Als Sarah mir aufhelfen wollte, schob ich sie beiseite und rappelte mich wieder auf. Ich wollte Zhéi alles geben, was ich hatte, meine Hoffnung, meine Zuversicht, am liebsten auch mein Augenlicht und mein Hörvermögen.
Als die Sonne aufging, verließen alle übrigen Tänzer den Platz und ließen mich allein. Schon längst war ich über den Punkt hinaus, an dem ich von alleine hätte aufhören können. Mein Hirn war leer und mein Körper voller Endorphine, die mir das Gefühl gaben, zu schweben. Das ich zu Boden ging merkte ich nicht einmal. Erst als man mir etwas Wasser ins Gesicht träufelte wurde ich wieder Herr meiner Sinne.
Sarah stand bei mir und schüttelte den Kopf.
„Du bist unglaublich, Langschläfer! Es wäre jetzt gut, wenn du ein wenig vom warmen Wasser trinken könntest."
Sie reichte mir einen Becher den ich in kleinen Schlucken leerte. Mein Körper glühte und die Bewegungen fielen mir schwer. Ich war kaum in der Lage, den Becher zu halten und meine Arme zitterten ob der Anstrengung. Der Morgen war noch jung, und im Kranz der aufgehenden Sonne sah ich Zhéi in einiger Entfernung etwas unschlüssig herumstehen. Ich kämpfte mich auf die Beine und humpelte auf ihn zu. Um ihm zu zeigen, dass ich da war, zupfte ich an seinem Haar.
Lass uns zum Camper gehen.
Er tastete nach meiner Hand und ließ sich führen. Im Camper drückte er mich auf die Bank und setzte sich mir gegenüber. Er wirkte angespannt und suchte auf dem Tisch nach den Zigaretten. Normal rauchten wir nicht im Wohncontainer, aber heute musste es wohl mal sein. Ich griff nach der Schachtel, entnahm zwei Zigaretten und zündete sie nacheinander an. Zhéi roch den Rauch und streckte seine Hand aus. Wir rauchten schweigend. Zhéis Hände blieben still und auch ich hatte kein Bedürfnis, ein Gespräch zu beginnen. Jeder Muskel tat mir weh und die Müdigkeit lauerte in jeder Faser meines Körpers. Endlich drückten wir die Kippen aus. Zhéi schmunzelte jetzt.
Unsere Alten wussten um die wohltuende Wirkung des Rauchens. Man bekommt Zeit, seine Gedanken und Gefühle zu sortieren. Höre mir bitte nur zu, ich möchte keine Antwort.
Mir wurde plötzlich angst und bange. Es war etwas in seinen Bewegungen, was mich aufhorchen ließ. Trotzdem nahm ich seine Hand und drückte sie für mein Einverständnis.
Wir sind hier zusammengekommen, weil ich seelische Heilung benötige. Sarah hat mir erzählt, wie sehr du gegeben hast. Ich glaube, du gibst unter den falschen Voraussetzungen. Es geht für mich darum, mein inneres Gleichgewicht zu erlangen. Du gibst, damit ich mein Schicksal annehme und damit zu leben lerne. Es fällt mir schwer, dir das jetzt zu sagen. Es geht nicht um Akzeptanz. Es geht auch nicht um Hoffnung. Es geht darum, dass ich in mich selbst ruhe. Es geht darum, den richtigen Weg zu gehen. Du hilfst mir nicht mit deinem Tun, du hinderst mich. Wie kann ich mein Gleichgewicht finden, wenn du in eine Richtung ziehst? Wie kann ich loslassen, wenn du dich festklammerst? Wie kann ich annehmen, wenn du eigennützig gibst?
Wovon, zum Teufel, redete er da? Ich würde mein Leben für ihn geben! Schon holte ich Luft um ihn zu unterbrechen, da hob er die Hand:
Halt! Nichts sagen, mich ausreden lassen! Du gibst uneigennützig und doch hoffst du darauf, dass es mir gut gehen wird, weil du mich liebst. Alle anderen hier geben mir von ihrer Kraft damit ich das richtige für mich tue. Du willst mir Kraft geben damit ich überlebe. Du störst mein Gleichgewicht, weil du eine Erwartung an mich hast. Ich liebe dich. Es ist mir wichtig, wie es dir geht. Ich werde zur Schule gehen, weil du das möchtest. Ich werde Braille lernen, um eine neue Seite des Lebens kennenzulernen. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich diese Seite akzeptieren werde. Du wirst von der Zeremonie ausgeschlossen. Aber ich gebe dir Sarah, die dich vielleicht noch am besten versteht. Und jetzt komm zu mir, lehn dich an mich und weine.
Ich war zu erschöpft, um noch richtig denken zu können. Ich wusste nur eins:
Ich hatte versagt. Ich wurde bestraft und durfte nicht mehr teilnehmen.
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Wenn die Seele zerbricht
RomanceFortsetzung der Geschichte: Wenn die Seele heimkommt Zhéí und Karen, die sich jetzt Kara nennt, werden von einem Unwetter überrascht. Während sich Kara mit letzter Kraft aus einem Flussbett retten kann treibt der taubstumme Zhéí in seinem Auto gefa...