Teil3

7 2 2
                                    


Stimmen weckten mich und als ich die Augen aufschlug, sah ich die Sonne hoch am Himmel stehen. Ich selbst lag im Schatten eines Felsens und sah undeutlich eine Gestalt sich über mich beugend.

„Zhéi?", krächzte ich heiser und blinzelte.

Es war nicht mein Mann, der auf mich niederblickte, sondern zwei mir unbekannte Navajos. Als ich versuchte mich aufzurappeln, fassten sie mich an den Armen und half mir auf die Beine. Die Sonne hatte das Land schon wieder getrocknet und nichts erinnerte mehr an den heftigen Regen.

„Bist du in das Unwetter geraten?", fragte mich der jüngere und ich nickte. Mit knappen Worten berichtete ich was geschehen war und bat die beiden um Hilfe bei der Suche nach meinem Mann.

Der ältere nickte bedächtig.

„Wir laufen das Ufer ab und halten nach Hilfesuchenden Ausschau. Dein Auto steht drei Meilen flussabwärts, es ist leer."

„Habt ihr Zhéi gefunden?"

Die Männer schüttelten den Kopf.

Schon wollte ich vorwärts stürzen als ich festgehalten wurde, zu meinem Glück, denn die Beine versagten erneut und ich wäre wieder im Staub gelandet, hätte mich niemand gehalten.

„Trinke etwas, dann komm mit mir. Arlondo wird weiter den Fluss entlang gehen."

Der ältere hielt mir eine Wasserflasche hin während der jüngere, Arlondo, sich wieder dem Flusslauf zuwendete und ihm folgte.

Drei Meilen können ein langer Weg sein, wenn man am Fluss entlangläuft und nach einem Lebenszeichen des Mannes sucht, den man mehr liebt als das eigene Leben.

Der Wasserpegel war längst wieder gesunken und wir schauten in ein Flussbett, das nun nicht mehr aus festgefahrenem Sand und Fels, sondern Schlamm und Unrat bestand.

Tom, wie mein Begleiter hieß, hatte einen abgebrochenen Ast gefunden und stocherte nun damit im Schlamm herum während ich die Büsche am Ufer absuchte. Angst wechselte sich mit Hoffnung ab. War es gut oder schlecht, dass wir nichts fanden, was ich Zhéi zuordnen konnte?

Immer wieder stießen wir auf Kleidungsstücke, Haushaltsgegenstände oder Kadaver von Kleintieren.

Als Tom mit dem Stock an einer seichten Stelle auf einen weichen Gegenstand traf, blieb mir das Herz stehen.

Die Angst ließ mich schwindeln und kurz wurde mir schwarz vor Augen bis ich Tom rufen hörte.

„Ein Schaf!"

Erleichterung machte sich in mir breit, ich seufzte auf und öffnete die Augen, die ich in Erwartung des Schrecklichen fest zusammengepresst hatte.

Wir gingen weiter, Zentimeter um Zentimeter das Ufer und den fast versiegten Wasserstrom nach einem Zeichen des Vermissten absuchend.

Endlich sah ich von weitem unseren Jeep. Er lag auf der Seite in der Mitte des Flussbettes, von Schlamm überzogen und halb im Sand versunken.

„Wir haben ihn schon untersucht, er ist leer. Geh hin und schau nach, ob du etwas findest, was uns weiterhelfen kann."

Tom winkte mir zu und schickte mich voraus.

Mich vorsichtig vorwärtstastend näherte ich mich unserem Fahrzeug. Mit einem Blick zurück versicherte ich mich, dass Tom mir folgte.

Wollte ich wirklich den Blick in unser Auto wagen? Würde ich Blut finden? Tom und sein Freund hatten den Wagen schon untersucht und nichts gefunden, was ihnen hätte weiterhelfen können. Es gab also keine Leiche, trotzdem schauerte es mich, als ich durch das offene Fahrerfenster blickte.

Auch hier war alles voller Sand, Dreck und Wasser. Ich versuchte die Tür zu öffnen doch sie war verklemmt und ich beugte mich durch das Fenster. Mein Handy steckte noch in der Halterung, leere Coladosen schwammen im Fußraum und mein Rucksack mit der Cam lugte zwischen aufgequollenem Schaumstoff aus dem Kofferraum.

Ich befreite die Tasche und nahm mein Handy aus der Halterung. Dabei bemerkte ich, dass der Sicherheitsgurt auf der Beifahrerseite zerschnitten war.

Zhéi trug immer ein Messer bei sich und hatte sich so befreien können, hoffte ich wenigstens.

Tom stand jetzt hinter mir.

„Siehst du etwas, was wir vielleicht übersehen haben?", fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf. Nein, im Wagen war nichts, was nicht hätte sein sollen, kein Blut, keine abgetrennten Körperteile und kein Zhéi.

Tom begleitete mich wieder ans Ufer und ich ließ mich im Gras nieder.

Ich war so fertig! Mit bebenden Händen wühlte ich im Rucksack, fand eine Cola und ein neues Päckchen Zigaretten. Zitternd öffnete ich beides. Tom reichte mir Feuer, als ich mit schlammverkrusteten Fingern eine noch trockene Zigarette aus der Packung fischte.

„Ahéheeʼ, danke!"

Ich war erschöpft, voller Angst und mein Körper schmerzte. Trotzdem kämpfte ich mich nach kurzer Zeit wieder auf die Beine um weiterzusuchen.

Tom hielt mich zurück.

„Ich habe hier in der Nähe meinen Wagen stehen. Arlondo und ich suchten nach unseren Pferden als wir den Jeep im Fluss fanden. Als wir bemerkten, dass niemand darin gefangen war, machten wir uns auf den Weg, das Ufer abzusuchen. Ich fahre dich jetzt in unser Dorf und du kannst die Familie anrufen. Ich werde eine Suchmannschaft zusammenrufen und wir werden hier noch einmal alles genau absuchen, auch das gegenüberliegende Ufer."

Familie anrufen - mein Handy war von Schmutzwasser durchdrungen und die Speicherkarte unbrauchbar, ich kannte keine der Nummern auswendig und wusste von vielen noch nicht mal den richtigen Namen!

Tom fuhr mich zu sich nach Hause und gab mich in die Obhut seiner Tochter Shayla, die mir einen kräftigen Tee braute.

So saß ich nun am Küchentisch der gastfreundlichen Familie und überlegte, wen ich wohl anrufen konnte. Sarah Singing Bird fiel mir ein. Die Nummer der Touristeninformation, in der sie arbeitete, war bestimmt im Internet zu finden. Shayla half mir, die Nummer herauszufinden und lieh mir ihr Telefon. Meine Hände zitterten und ich vertippte mich öfter. Erst beim dritten Anlauf meldete sich das Büro in Window Rock und man verband mich mit Sarah.

„Sarah, Langschläfer hier. Zhéi ist verschwunden...", ich brach in Tränen aus und war nicht mehr in der Lage, auch nur ein vernünftiges Wort zu äußern. Shayla nahm mir das Smartphone ab und sprach nun ihrerseits mit Sarah. Von dem Gespräch bekam ich nicht viel mit, es wurde auf Navajo geführt und ich verstand nur einige wenige Worte. Zudem wurde ich zusehends müder, in meinem Kopf dröhnte es und die Augen brannten.

„Langschläfer?" Shayla legte ihr Telefon zur Seite und sprach mich mit meinem Navajo-Namen an. „Sarah wird alles organisieren. Sie informiert die Familie. Sie werden herkommen, die Suche fortführen und sich um dich kümmern. Sie wird auch in den Krankenstationen hier in der Rez anrufen und sich umhören. Glaub mir, wir finden deinen Mann!"

„Shayla, er ist taubstumm, er wird nicht um Hilfe rufen oder ein Telefon benutzen können!"

Meine Stimme klang verwaschen und ich hatte Mühe, mich zu konzentrieren. „Was ist das für ein Tee?"

„Er ist aus Kräutern gebraut, die beruhigen. Du solltest dich eine Weile hinlegen."

„Nein, ich muss ihn suchen, was soll das?" Ich versuchte aufzustehen doch meine Beine gaben nach.

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt