Teil9

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Ich hielt es ganze zwei Tage alleine aus, dann musste ich mich einfach auf den Weg machen, um nach Zhéi zu gucken. Da der Jeep immer noch auf irgendeinem fremden Hof stand kletterte ich über den Berg bis zur Sandpiste wo der Pickup mit dem Wohncontainer unter ein paar kümmerlichen Bäumchen stand.

Ich fuhr zuerst in die Stadt, erledigte ein paar Einkäufe, füllte die Wasserkanister und besuchte den Waschsalon. Dann machte ich mich auf den Weg zu Fingerfood in der Hoffnung, man würde mich nicht abweisen.

Ganz nach Navajo-Art blieb ich im Auto sitzen, hupte einmal kurz und beobachtete dann das Treiben auf der Ranch. Vielleicht konnte ich irgendwo meinen Mann entdecken, doch schon erschien Emma an der Haustür und winkte mir zu.

Ein paar Minuten später saßen wir zusammen am Küchentisch und ich wartete ungeduldig, dass Emma das Gespräch begann.

„Langschläfer du weißt gar nicht was Zhéi alles für dich aufgegeben hat", sagte sie endlich.

Überrascht schaute ich zu ihr hinüber.

„Woher soll ich das wissen? Mir sagt ja keiner was! Wahrscheinlich ist das alles für euch Navajos normal, aber ich habe keine Ahnung! Kannst du mir sagen, was er aufgegeben hat? Kannst du es mir erklären?"

Emma senkte den Kopf.

„Er muss es dir erklären. Es steht mir nicht zu, darüber zu sprechen."

„Na prima! Vielen Dank für Nichts."

Gegen alle Etikette stand ich wortlos auf, drehte mich um und ging davon. Tränen des Zorns und der Enttäuschung brannten in meinen Augen und meine geballte Faust in der Hosentasche zeigte den Mittelfinger. In mir tobte der Weltschmerz! Verdammt, musste denn alles so kompliziert sein? Jeder wusste was, niemand sagte etwas und ich hing in der Luft und durfte raten, was in den Köpfen der Leute vor sich ging. Eigentlich war ich ein empathischer Mensch der schnell herausfand, wie mein Gegenüber fühlte, doch bei der so andersartigen Kultur stieß ich immer noch schnell an meine Grenzen.

Ich fühlte mich allein und ausgegrenzt. Klar, Zhéi würde niemals über sein Denken diskutieren und mich nur vor vollendete Tatsachen stellen, aber seine - unsere Freunde wussten doch, dass ich in der Beziehung hilflos war. Dass ich Erklärungen brauchte! Die Einzige, die mir wenigstens ansatzweise eine Antwort gab, war Sarah, und die war im Moment nicht da.

Sarah Singing Bird hatte zwei Jahre in Boston studiert bevor die Liebe sie zurück ins Reservat geholt hatte. Sie kannte sich ein wenig mit der Mentalität der Weißen aus und war eher als die anderen bereit, mir etwas zu erklären.

Vom weiten sah ich Zhéi bei den Pferden stehen. Er hatte sich ein Tier aus der Herde geholt und bürstete es mit ruhigen strichen ab. Wie friedlich, wie normal das aussah! Jetzt legte er den Striegel beiseite und fuhr mit der gesunden Hand über den Pferderücken. Der Mustang streckte den Kopf zu ihm und legte ihn schwer auf seine Schulter. Zhéi lächelte. Beide verharrten eine Weile in dieser Stellung und ich näherte mich ihnen langsam. Das Pferd spitze die Ohren und Zhéi drehte sich um. Er zog die Stirn kraus und sog die Luft ein.

Kara??

Ich trat noch näher und zupfte an seinem Haar.

Ja. Ich bins Kara.

Er entließ das Pferd mit einem Klaps auf den Hals und der Mustang trabte zurück zu seiner Herde.

Ich komme mit dir nach Hause.

Warum?

Das war im Moment die einzige Frage, die ich ihm wortlos stellen konnte, in dem ich meine Hand auf seine rechte Brust legte.

Ich habe einen Weg für mich gesucht. Hier habe ich keinen gefunden. Vielleicht gelingt es mir bei dir.

Dann strich er mir über die Nase.

Ich liebe dich.

Er streckte die Hand nach mir aus und ließ sich zum Haus führen. Dort bat er mich draußen zu warten und kurze Zeit später kam er mit seinem Bündel an der Hand wieder hinaus.

Bring mich nach Hause

Am Briefkasten hielt ich an und schrieb Sarah eine Nachricht. Sie antwortete sofort:

Bin in drei Tagen zurück, dann kommst du vorbei.

Zhéi interessierte sich nicht dafür, was ich da machte und ich beeilte mich, um schnell weiterfahren zu können. Gut zwanzig Meter vor dem Ziel parkte ich. Mit dem Camper kam ich nicht über die steile Bergpiste sodass wir das letzte Stück zu Fuß gehen mussten. Zhéi ließ sich kommentarlos von mir führen bis wir die Tür vom Hogan erreicht hatten. Erst da ließ er meine Hand los und trat ein. Sofort wendete er sich nach links und tappte mit dem Fuß nach seiner Decke.

Fuck! Die hatte ich Anfang der Woche weggeräumt nachdem er mit Fingerfood davon gefahren war. Zhéi runzelte die Stirn und tastete sich zum Bett vor. Bedächtig fuhr er mit der Hand über die Matratze bis er eine Decke fand und diese auf seinen Platz auf den Boden legte. Langsam ließ er sich darauf nieder und schloss die Augen.

Ich hockte mich ihm gegenüber und streckte meine Hände zu ihm aus.

Lass, ich brauche Zeit für mich.

Tränen unterdrückend wendete ich mich ab. Scheiße! Was sollte ich denn noch machen? Warum war er zurückgekehrt um mich dann zu ignorieren?

„Du bescheuerter Indianer! Ich wünschte, ich wäre dir nie begegnet!", rief ich verzweifelt. Ich verließ den Hogan und setzte mich draußen auf die Bank. Dort lagen immer eine Schachtel Zigaretten, Feuer und ein Aschenbecher und ich bediente mich. Normal half mir das Rauchen um etwas zur Ruhe zu kommen doch diesmal hatte es nicht die Wirkung. Ich wippte sinnlos mit den Beinen und fühlte mich einfach nur beschissen. Als ich ein Geräusch von der Tür her hörte sah ich verblüfft auf. Zhéi stand dort, eine Dose Cola in der Hand und tastete sich in meine Richtung.

Können wir tauschen?

Ich reichte ihm die Zigarette und bekam dafür die Cola. Vorsichtig ließ er sich neben mir nieder. Nach bestimmt zehn Minuten seufzte er lautlos.

Kara, ich kann es nicht erklären. Ich kann dich nur darum bitten, mir Zeit zu lassen.

Zeit lassen konnte für einen Navajo ein paar Minuten oder Jahre dauern, aber hatte ich eine Wahl? Ich griff nach seinem Unterarm.

Es ist gut!

Danke.

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt