Teil8

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Zwei Tage später wurde Zhéi entlassen. Die Untersuchungen hatten nichts weiter ergeben und niemand konnte mehr etwas für ihn tun.

Es war eine schweigsame und unangenehme Rückfahrt zum Hogan. Vor dem unwirtlichen Berg parkte ich den Camper und wir gingen das letzte Stück zu Fuß.

Ich reichte Zhéi meine Hand um ihn über den Hügel zu führen, doch er schüttelte sie ab.

Ich muss es alleine schaffen!

Seine Hände drückten Zorn und Verzweiflung aus. Mit festen Schritten ging er durch die Spurrinne, stolperte aber nach wenigen Metern über eine Unebenheit und konnte noch gerade eben sein Gleichgewicht halten. Er ballte die Faust und setzte dann den rechten Fuß vorsichtig nach vorn.

Es tat weh, ihn so hilflos zu sehen und ich überlegte, wie ich ihm möglichst unauffällig helfen konnte.

Unterdessen war er erneut gestolpert und hatte dadurch den Pfad verloren. Langsam drehte er sich im Kreis und versuchte mit den Füßen den Weg zu ertasten - vergeblich.

Nun kniete er sich hin und griff mit den Händen um sich. Als er glaubte, die richtige Richtung erfasst zu haben, krabbelte er vorwärts. Langsam erklomm er so den Hügel, rutschte plötzlich mit den Füßen ab und kam ins Schlittern.

Zhéi versuchte es noch dreimal, dann gab er auf und hockte sich hin. Ich sah wie er erneut die Faust ballte, die Augenlider zusammenkniff und die Stirn in Falten legte. Seine Arme zitterten unter der Anstrengung die Frustration niederzukämpfen und erst nach ein paar Minuten gelang es ihm ruhiger zu werden. Langsam streckte er die Hand nach mir aus und ich ergriff sie. Gemeinsam begaben wir uns über den Hügel.

Als wir den Hogan betraten, löste er sich von mir und suchte sich tastend ein paar Decken zusammen, breitete diese auf dem Boden aus und ließ sich darauf nieder.

Ich möchte Mutter Erde nahe sein

erklärte er mir mit knappen Bewegungen und senkte den Kopf. Unschlüssig stand ich daneben und wusste mir keinen Rat.

Zhéi versank ganz in sich selbst, verließ den Platz nur für seine Notdurft und reagierte widerwillig auf meine Versuche mich mit ihm zu verständigen.

Unsere Gespräche waren zum Ratespiel geworden und Zhéi fing niemals von sich aus an, sich zu äußern.

Soll ich die Familie informieren? Möchtest du einen Gesang oder eine Heilungszeremonie?

Ich hatte mich ihm gegenüber gehockt, seine Hände in die meinen genommen und die Bewegungen der Wörter ausgeführt.

Nein

Hast du mich verstanden?

Ich möchte keine Zeremonie. Meine Gebrechen sind nicht heilbar.

Es hilft dir aber vielleicht dabei, besser damit umzugehen.

Ich bin müde. Lass mich allein.

Nach zwei Tagen teilte er mir plötzlich mit:

Ich werde eine Weile bei Fingerfood wohnen.

Warum?

Es ist eine Navajo - Sache.

Ich war völlig von den Socken, als Zhéi mir mitteilte, dass er für eine Weile ausziehen wollte. War ich ihm nicht mehr gut genug? Hatte ich was falsch gemacht? Ich hasste es, dieses Navajo - Ding, das mir niemand richtig erklären konnte. Was wollte er bloß bei seinem Freund? Mit dem konnte er sich doch noch weniger unterhalten als mit mir.

Hilflos sah ich zu wie mein Mann ein paar Sachen zusammen packte. Im Hogan wusste er natürlich ganz genau, wo was lag und wie er gehen musste. Warum wollte er da in eine fremde Umgebung?

Als ich das Auto des Freundes vorfahren sah, zupfte ich Zhéi am Ärmel und versuchte ihm zu erklären, dass Fingerfood gekommen war. Der korpulente Navajo blieb eine angemessene Zeit in seinem Rover sitzen und kam dann bis an unsere Tür.

„Yáʼátʼééh, Freund ", begrüßte ich ihn und beobachte fasziniert, wie er sich mit Zhéi verständigte. Er berührte verschiedene seiner Körperteile und Zhéi reagierte sofort.

Ich bin fertig, wir können fahren.

Fingerfood nickte mir zu und führte Zhéi zum Auto. Ich verstand das alles nicht und rannte hinter den beiden her.

„He, Fingerfood, kannst du mir bitte erklären, was das alles soll? Warum will Zhéi plötzlich bei dir wohnen? Und wie hast du davon erfahren??"

„Langschläfer, hat er es dir nicht erklärt? Dann steht es auch mir nicht zu mit dir darüber zu reden."

„Wie habt ihr euch überhaupt darüber verständigt?"

„Wir haben schon im Krankenhaus darüber gesprochen."

Verwirrt schaute ich hinter dem Auto her, welches geschickt über den Berg gelenkt wurde.

Oh man, was sollte ich denn jetzt machen? Die Männer würden nicht mehr mit mir darüber reden und jemand anderes wollte ich nicht fragen. Vielleicht hielt man im kleinen Kreis eine Zeremonie ab oder es war ein Tabu, länger als drei Tage blind und taub bei seiner Frau zu bleiben.

Frustriert räumte ich den Hogan auf und beschloss, erst einmal an die Straße zu fahren. Dort stand nicht nur unser Briefkasten, sondern bekam auch mein Handy einen Empfang und ich konnte Mails und Nachrichten lesen. Zu Fuß begab ich mich über den Hügel und setzte mich an das Steuer des Pickups.

Während der Fahrt fuhr mein Hirn mal wieder Karussell und die Tränen flossen in Strömen. Ich switchte zwischen irrationalen Selbstvorwürfen und Hoffnung auf Heilung für Zhéi hin und her und machte mich systematisch fertig, so dass ich erstmal tief Luft holen und mich selbst beruhigen musste, bevor ich ausstieg um nach der Post zu gucken.

Unschlüssig schaute ich auf mein Handy und fühlte mich plötzlich schrecklich allein. Sarah war ein paar Tage zu ihrer Familie nach Chinle gefahren und eine andere Freundin hatte ich nicht. Müßig scrollte ich durch mein Telefonbuch.

Emma!

Emma war Fingerfoods Frau und mir gegenüber immer sehr freundlich gewesen. Ich beschloss, sie anzurufen und tippte auf die Kurzwahl.

„Emma hier."

„Hallo Emma, hier ist Langschläfer. Entschuldige, dass ich dich anrufe. Kann ich zu dir kommen und mit dir sprechen?"

„Ich glaube, dass ist im Moment nicht so gut. Zhéi ist hier."

„Ja, ich weiß. Ich möchte gerne wissen, warum das so ist."

Emma zögerte einen Moment und drückte mich dann auf stumm. Kurz darauf meldete sie sich wieder:

„Langschläfer? Ich glaube, es ist besser, wenn du erst in ein paar Tagen vorbei kommst."

Kopfschüttelnd beendete ich das Gespräch. Konnte denn niemand mit mir Klartext reden? Wie lang waren „ein paar Tage"? Frustriert zündete ich mir eine Zigarette an und lehnte mich an den Wagen. 

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt