Teil2

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Scheiße, ich musste so schnell wie möglich aus diesem vermaledeiten Flussbett bevor die Wassermasse zu heftig wurde. Das Ufer war an dieser Stelle zu steil um es einfach so zu erklimmen und ich stolperte vorwärts. Der Regen wurde noch heftiger und Hagelkörner prasselten auf mich herab. Es wurde fast nachtdunkel und ich verlor die Orientierung. Mich seitwärts zum Wasserlauf haltend versuchte ich die Uferböschung zu erreichen und arbeitete mich mit ausgestreckten Händen Schrittchen für Schrittchen voran. Meine Haare hingen mir nass ins Gesicht und erschwerten mir zusätzlich die Sicht. Hastig strich ich sie zurück und wäre beinahe aus dem Gleichgewicht geraten, als das Flusswasser einer Springflut gleich über mich hinwegraste. Einen Moment lang krampften sich meine Muskeln zusammen, Tränen vermischten sich mit dem Regenwasser und ich schrie so laut ich konnte:

„Hilfe, verdammt, hört mich denn keiner? Ich will nicht in diesem elenden Wasserloch sterben! Mama, Hilfe, Zhéi, Scheiße!!!!!"

Ein Blitz erhellte die Umgebung und noch bevor es wieder Dunkel wurde ertönte ein Donner, so laut und zornig, dass ich vor Angst zusammenzuckte und mir die Hände vors Gesicht schlug. Trotzdem hatte das Licht mir ein Bild in die Netzhaut eingebrannt: keine zwei Schritte vor mir begann das Steilufer dessen Kante mannshoch über mir lag.

Das gab mir wieder Auftrieb. Ich kämpfte mich weiter vorwärts, meine Hand ertastete eine Wurzel und ich krallte mich daran fest.

Sehen konnte ich nicht viel, noch immer regnete es in Strömen und Blitz und Donner zogen über mich hinweg, doch der Hagelschauer war zum Glück vorbei. Die Angst gab mir Kraft und ich tastete mich am Felsen entlang bis ich etwas fand, an dem ich mich hinaufziehen konnte. Immer wieder glitten meine Füße vom nassen Stein ab und meine zitternden Arme konnten mich kaum noch halten. Zentimeter um Zentimeter kämpfte ich mich dem Ufer hinauf bis ich endlich meinen Oberkörper über die Kante ziehen konnte.

Ausruhen, nur einen Moment ausruhen, und dann die Beine nachziehen, dachte ich mir und atmete tief durch.

Etwas berührte meine Füße und erschrocken zog ich mich noch etwas mehr auf das rettende Ufer. Unter großer Kraftanstrengung schaffte ich es, einige Meter vorwärts zu kriechen, dann setzte ich mich auf und schaute zurück.

Der Regen hatte etwas nachgelassen und langsam wurde es wieder heller. Entsetzt erkannte ich, dass das Wasser jetzt fast bis zur Uferkante stand und einen wilden Strom bildete. Das Unwetter hatte keine zehn Minuten gedauert und doch hatte es meine Welt verändert. Mich fröstelte und ich schlang die Arme um mein Knie. Mir war elend zumute. Als ich die Augen für einen kurzen Moment schloss sah ich noch einmal Zhéis verzweifelten Gesichtszüge, als er sich über mich beugte.

Ich schüttelte mich, bekam einen Heulkrampf und schlug vor Verzweiflung mit der Faust auf den Boden.

Ich muss meinen Mann finden! Ich muss auf die Beine und dem Fluss folgen, dachte ich und stemmte mich mühsam hoch.

*

Ich kroch jetzt schon eine Ewigkeit an diesem Fluss entlang und schaute immer wieder auf das Wasser, dessen Spiegel langsam wieder zu sinken schien. Ich guckte unter Überhänge und suchte das gegenüberliegende Ufer nach Anzeichen von Leben ab. Dem Himmel sah man nicht mehr an, welch Unwetter noch vor kurzem geherrscht hatte. Lediglich der Felsboden dampfte und ließ mich an Nebel denken.

Verdammt, Zhéi, wo warst du? Was hast du gemacht, nachdem du mich aus dem Auto geschoben hast? Konntest auch du dich befreien und an Land gehen?

Meine Beine schmerzten, der Kopf dröhnte und der Angstschweiß lief mir über den Rücken.

Weiter, Kara, das schaffst du!, sprach ich mir selbst Mut zu, musste mir aber eingestehen, dass sich mein Körper dem Willen nicht mehr unterwarf.

Nur einen Moment ausruhen, wünschte ich mir und streckte mich auf dem nackten Felsen aus. Die nun untergehende Sonne hatten meine Kleidung getrocknet und wärmte meine nackten Schultern.

Als ich erwachte blitzen über mir tausende von Sternen am klaren Nachthimmel. Verwirrt tastete ich um mich.

Zhéi?

Ein Coyote heulte in der Ferne und der Ruf jagte mir einen kalten Schauer über den Rücken.

Ganz langsam kam die Erinnerung zurück, das Flussbett, der Regen, die Wassermassen, die den Jeep vielleicht überholt und mit sich gerissen hatten.

Ich fuhr auf und hielt mir erschrocken den Kopf, als sich die Welt um mich zu drehen begann. Schwallartig erbrach ich auf meine Oberschenkel und würgte vor Ekel darüber noch einmal.

Ich versuchte mich zu beruhigen und konzentrierte mich darauf, die Spucke, die sich im Mund sammelte, hinunterzuschlucken.

Noch zweimal kotzte ich auf den Felsen, dann war es gut.

Langsam erhob ich mich und schaute mich um. Der helle Mond tauchte das Land in sein unwirkliches Licht und wies mir den Weg zum Fluss.

Mein Knie schmerzte, der Rücken tat weh und das Gesicht brannte, egal, ich musste nachschauen, was aus Zhéi und dem Jeep geworden war. Hoffentlich hatte er sich aus dem Auto befreien können!

Fuck, warum hatte ich nur immer darauf bestanden, dass er sich anschnallte? Das tat niemand hier in der Rez und nur mein deutsches Pflichtbewusstsein hatte mich ihn zwingen lassen den Gurt zu benutzen, wenn er mit mir unterwegs war.

Als ich das Ufer erreichte wurde mir das Ausmaß der Katastrophe erst richtig bewusst.

Das Wasser schoss noch immer durch die Rinne, Äste und andere Dinge mit sich führend.

Ich erblickte einen leblosen Körper und erkannte ein Lamm. Noch bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, war der Kadaver an mir vorbei und weitere Äste und Baumstämme folgten ihm.

Scheiße, ich musste Zhéi finden! Hoffentlich hatte auch er den Wagen verlassen und an ein rettendes Ufer flüchten können.

Ich folgte erneut dem Flusslauf und schaute immer wieder in alle Richtungen, um auch nichts zu übersehen. Rufen war zwecklos und mein Handy war zusammen mit dem Jeep im Nirwana verschwunden. Die Schatten der Nacht täuschten mich immer wieder, ich sah überall Körper liegen die sich bei genauer Betrachtung als Steine oder kleine Hügel entpuppten.

Durchhalten, Kara, einfach durchhalten!, sagte ich mir wie ein Mantra, während die Tränen der Angst unaufhaltsam über meine Wangen flossen.

Jeder Schritt schmerzte und bald war es nur noch ein Stolpern, was mich langsam vorwärtsbrachte.

Meine Gedanken fuhren Karussell. Wo war Zhéi? Lebte er noch? War er in Sicherheit?

Meine Beine versagten den Dienst und ich fiel ins Bodenlose.

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt