Teil17

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Am Freitagabend holte ich Zhéi vom Institut ab. Er kam mir schon am Eingang entgegen und mein Herz krampfte sich bei seinem Anblick zusammen. Mein stolzer Krieger sah elend aus. Er trug die gelbe Armbinde mit der Aufschrift > Visual Disability < und eine Sonnenbrille und tastete sich mit seinem weißen Blindenstock vorwärts. Schnell lief ich auf ihn zu und zupfte an seinem Haar, welches er zu einem einfachen Zopf zusammengebunden hatte.

Ich bins, Kara

Nimm!

Er hielt mir den Stock hin, damit er beide Hände zum Reden frei hatte.

Führe mich, ich mag den Stock nicht.

Ich hakte mich unter und ging mit ihm langsam zum Camper. Nachdem er eingestiegen war, riss er sich die Binde vom Arm und schleuderte die Sonnenbrille in den Fußraum.

Das tut gut. Ich will das alles nicht und bei dir brauche ich es auch nicht. Wir reden, wenn wir auf deinem Parkplatz angekommen sind. Dann kannst du mir deine Worte ausdrucken.

Ich klopfte ihm einmal kurz auf den Handrücken.

OK, so machen wir es.

Die Fahrt dauerte nicht lange, mein Parkplatz im Stadtteil Garfield war gerade mal zehn Meilen entfernt und schnell zu erreichen.

Zhéi stieg selbstständig aus und tastete sich zur Ladefläche des Pickups worauf der Campcontainer stand. Er kletterte die Leiter zum Eingang hinauf und griff auf das Dach um unsere Bank herunterzuholen. Fasziniert schaute ich dabei zu, wie er selbstsicher nach dem Möbelstück griff und es zu sich herunterzog. Er bewegte sich, als könne er sehen oder sei schon sein Leben lang blind. Routiniert stellte er die Bank auf und reckte sich nach dem Tisch. Dieser lag etwas locker, rutschte ihm aus der Hand und krachte auf den Boden. Zhéi bückte sich und tastete sich vorwärts. In aller Gemütsruhe hob er den Tisch auf, klappte dessen Beine herunter und suchte mit den Füßen nach einem geeigneten Stellplatz. Als alles zu seiner Zufriedenheit aufgebaut war, hob er die Hand und zeigte meinen Namen.

Kara?

Hier.

Ich stand hinter ihm und zupfte an seinem Haar. Er drehte sich um und lächelte mir zu.

Lass uns so lange wie möglich draußen sitzen. In der Schule bin ich ständig eingesperrt. Besteht die Möglichkeit, den Drucker hier aufzustellen? 

Ich strich ihm zweimal über die Nase:

Ich gehe, komme aber wieder.

Dann holte ich meine neuste Errungenschaft hervor: Einen tragbaren handlichen Drucker der meinen Text auf ein Papier brachte, welches nicht viel breiter als eine Luftschlange war.

Die Idee dazu war mir an einer Supermarktkasse gekommen. Es musste doch einen Drucker geben, der ähnlich wie der für den Kassenzettel, auch für die Braille Schrift geeignet war. Es hatte mich einiges an Recherche und Telefonate mit verschiedenen Firmen gekostet, bis ich einen kleinen Betrieb gefunden hatte, der bereit war, einen Drucker nach meinen Wünschen zu bauen. Die Größe richtete sich nach der breite der Papierrolle, die es handelsüblich zu kaufen gab und für das Stanzen der Zeichen geeignet war. Alles andere war einfache Technik. Ich tippte meinen Text am Handy oder Laptop in die App, diese wandelte ihn in Braille um und sendete ihn per Bluetooth an das handliche Gerät. Einem Telegrammstreifen gleich kam der Text dann aus dem Drucker und Zhéi konnte es lesen. Mein Mann wartete geduldig. Als er spürte, dass ich wieder bei ihm war fragte er:

Sind wir unbeobachtet?

Die Sonne ist untergegangen und wir haben kein Licht an. Ja, ich glaube, wir sind unbeobachtet.

Wenn die Seele zerbrichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt