Chapter 16 - Giftig -

118 5 1
                                    

Juli 1994:

Langsam, aber sicher erwachte ich aus einem traumlosen Schlaf. Das Sonnenlicht schien in unser gemeinsames Zimmer. Durchflutete den Raum bis in die letzte Ecke. Ich versuchte mich zu regen, um aufzustehen, doch erfolglos. Ich wurde von einer Hand um meine Hüften herum festgehalten. Ich spürte die Wärme eines weiteren Körpers an meinen Rücken und wusste sofort, um wen es sich handelte.

Sein Atem war langsam, ruhig und stetig. Nachdem ich mich auf meinen Rücken gedreht hatte, beugte ich meinen Kopf auf die linke Seite. Ich sah Richard schlafend. Komplett entspannt, seinen Arm immer noch fest um meine Hüften geschlungen. An diesen Anblick konnte ich mich glatt gewöhnen. Sein 3-Tage-Bart wurde mehr und es gefiel mir. Ich wollte ihn berühren aber auch nicht aufwecken. Schlussendlich entschied ich mich doch dafür und berührte sein Gesicht ganz sachte mit meinen Fingerspitzen. Zog Konturen und andere Kanten nach. Er regte sich weiterhin nicht. Seine Lippen leicht rosa gefärbt, saßen wie kleine Farbtupfer im wunderschönen Gesicht. Dann öffnete er langsam seine hellen Augen.

Ohne sich zu bewegen sagte er:,, Guten Morgen Amelie!"
,,Morgen. Habe ich dich aufgeweckt?"
,,Nein! Ich war schon früher munter. Deine Berührungen waren so angenehm und entspannend, ich konnte mich nicht regen."
Mein Herz schlug erneut gegen meinen Brustkorb, mein Atem ging schnell, wohlbemerkt, dass der Mann, der diese Amplituden verursachte, nicht mal 1 cm von mir entfernt lag.

,,Welche Berührungen meinst du denn?", fragte ich frech. Er nahm meine rechte Hand und führte sie erneut zu seinem Gesicht. Die Konturen waren nun straffer, fester und angespannter als davor. Ich wiederholte meine Bewegungen und fand mich schließlich in seinem Nacken hinter seinem Ohr wieder. Meine Hand verblieb dort. Wieder bohrten sich seine Augen in meine. Er zog ebenfalls mit der Hand meine Konturen nach und verharrte genau in der selben Position wie ich.
Ich schloss die Augen und genoss die sanften Berührungen.

Augenblicke später fühlte ich seine Lippen auf meine. Völlig unvorbereitet breitete sich eine Emotionswelle in meinem Brustkorb aus, welcher gepaart mit Adrenalin und den Elefanten in meiner Magengegend einen wilden Mix ergab. Ich küsste ihn zurück. Die Küsse begannen sanft, zärtlich und wie Federn flogen sie darüber. In mir pochte alles. Jeder einzelner Muskel war angespannt. Der Geschmack, welcher auf seinen Lippen lag, war toxisch. Ich wusste, dass ich davon nie genug bekommen konnte und auch nicht wollte. Kurzzeitig lösten wir uns von einander und sahen uns in die Augen. Ein kurzer Blick, ehe sich unsere Lippen wieder verbanden.
Unsere Küsse wurden forscher und schneller. Je tiefer er mich küsste, desto mehr wollte ich ihn. Meine Hände waren mittlerweile von seiner Burst, zu seinem dunkelblonden Haar gewandert und vergruben sich darin, als wäre er mein letzter Halt im Leben. Als er mit seinem Daumen sanft meine Wange streichelte und sich nach einem weiteren sehr zärtlichen Kuss von mir löste, war der Moment vorbei.


Stirn an Stirn lagen wir da und versuchten den intimen Moment zu verarbeiten. Es war mein erster Kuss und schöner hätte ich ihn mir nicht erträumen können.
,,Tut mir Leid! Ich hab keine Ahnung was mich da überkommen ist."
,,Es muss dir nicht leidtun. Es hat sich wunderbar angefühlt. Danke!"
Ein paar Minuten blieben wir noch Arm in Arm liegen. Richard küsste ab und zu meinen Kopf oder strich sanft über meine Schultern.
,,Wir sollten langsam aufstehen, nicht dass deine Bandkollegen hier reinstürmen und uns den schönen Moment versauen."
,,Ja hast Recht! Geh du schon mal vor, ich komm dann gleich nach."
Ich antwortete mit einem kurzen Okay, und entfernte mich von ihm. Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung warum er noch liegen bleiben wollte. Später war ich klüger.

...

Unten angekommen duftete es herrlich süß nach Pfannkuchen. Als ich in die Küche trat, stand Paul mit Kopfhörern und kurzer Hose am Herd und backte das Frühstück. Der Anblick war genial. Er tanzte und sang zur Rockmusik, welche so laut war, dass ich sie auch hören konnte. Komplett in einem Element und bemerkte mich nicht mal.

Irgendwann drehte er sich um und kippte halb aus den Reebok Schuhen.
,,Oh mein Gott! Amelie! Scheiße! Jetzt haste mich aber mal erschreckt! Wie lange stizte eigentlich schon da?"
,,Noch nicht lange! Vielleicht ein, zwei Minuten, aber ich wollte mir die Show ansehen. Die war zum Schreien komisch.", gab ich ihm lachend als Antwort.
,,Ik seh schon. Wo is Scholle?"
,,Noch kurz oben. Sollte aber gleich runter kommen."
,,Ja dad is echt merkwürdich. Normalerweise pennt er immer auf der Couch, aber als ich letzte Nacht mal kurz am stillen Örtchen war, lag da nur Ollie, wie ein Embryo. Ganz zusammengekauert."
,,Ich dachte ihm gehört, das Zimmer oben?" – Ich war verwirrt.
,,Ne eigentlich schlafen wir immer, wo wir möchten. Mal Till, mal Flake und die anderen und manchmal eben auch Scholle aber nur sehr selten weil er hasst dieses Bett eigentlich. Viel zu weich meint er immer. Bis jetzt hat er nur ein Mal drinne geschlafen. Oh Scheiße, die Pfannkuchen!"

Meine Gedanken rasten. Wenn Richard das Bett nicht gefiel, warum hatte er dann darauf plädiert, darin zu schlafen? Neben mir? Er wollte auch gestern nicht mehr zu den anderen hinunter, obwohl es noch nicht mal spät war. Ich wurde nicht schlau aus ihm.
Paul riss mich wieder aus den Gedanken, als er die große Portion Pfannkuchen auf den Küchentisch stellte.
,,So gerade noch gerettet. Mensch, dad hätt echt ins Auge gehen könne. Jungs!! Essen fassen!!!", schrie er durch das Haus. Keine Sekunde später traten die Rammsteine ein und stritten sich wie Kinder um das Essen. Ich war noch immer in meiner Gedankenwelt gefangen und starrte einen Punkt an.

,,Geht's dir gut?", fragte Schneider.
,,Ja ich...ähm.....Hab nur nachgedacht."
,,Wegen?"
,,Ahhh da is ja unsre Scholle!", rief Till. Na toll, wenn man vom Teufel spricht.
,,Ja tut mir Leid. Hab heute länger gebraucht um wach zu werden. Boah Paul, haste Frühstück gemacht?"
,,Ja, aber ded is nicht für dich allein. Ded is für uns alle. Inklusive Amelie!"

Richard sah mich an, während er die Pfannkuchen aß. Sein Lächeln wurde immer breiter. Er wusste meine Gedanken. Er wusste, dass ich immer noch über unser Herumgeknutschte wenige Minuten zuvor nachdachte. Und ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich hing daran und wollte, dass es wieder passierte. Langsam, aber sicher lächelte ich zurück und wurde rot bei dem Gedanken daran.

Wir schenkten den anderen im Raum traurigerweise, gar keine Aufmerksamkeit, wenn wir nicht direkt angesprochen wurden und hatten nur Augen für den jeweils anderen.
Wenn das Liebe war, dann wollte ich, dass diese Momente für immer bleiben würden. Doch da wusste ich noch nicht welcher emotionaler Hammerschlag mit doppelter Geschwindigkeit auf mich zukam.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt