Chapter 11 - Seemann -

102 6 2
                                    

Juli 1994:

Unten im Keller war es dunkel und nur wenig Licht schien durch die kleinen Fenster. Mit verschiedenen flauschigen Decken an den Wänden, versuchten sie den Schall der Musikinstrumente zu dämmen. Das Drummkit von Christoph nahm fast die gesamte linke Seite der Wand ein, wo auch der Durchgang lag. Um ihn herum aufgereit standen Ollie, Richard und Paul saß auf einer Bierkiste.

Christoph fing an und gemeinsam spielten sie das Lied. Die Mikrofone und Aufnahmegeräte waren in den Ecken und neben den kleinen Fenstern versteckt. Der Raum an sich war weiß gestrichen, was ihn auch ein wenig fröhlicher wirken ließ. Ich versuchte meine Aufmerksamkeit natürlich auf die Musik und die anderen Musiker zu richten, doch Richard hatte mich in seinem Bann. Es war eine komplett neue Facette, die ich von ihm sah. Komplett in der Musik vertieft, den Kopf immer und immer wieder nach unten bewegend und sein Blick starr auf den Boden gerichtet.

Als Weißes Fleisch zu Ende war, hob Richard den Kopf und legte ihn in seinen Nacken. Der Schweiß stand auf seiner Stirn und auch auf dem Rest seines Körpers. Die Luft war unerträglich. Ebenso waren die anderen 3 Musiker oberkörperfrei.
,,Ja perfekt. Super! Gefällt mir sehr gut. Ik versuch vielleicht beim nächsten Mal ein bisschen mehr zu geben. Dad war noch nich alles was ich rausgeholt habe.", sagte Schneider selbstkritisch zu den anderen.
Ollie nickte. ,,Vielleicht machst du auch zu viel. Bedenke, dass ist nicht das einzige Lied, welches wir aufnehmen wollen."

Wow! Der Bassist meldete sich auch mal wieder zu Wort. Ich war immer noch verwundert über diese Stimmfarbe. Leicht, klar und doch männlich. Schneider legte den Kopf schräg und versuchte sich erneut am Beat und eine richtige Lautstärke zu finden.
,,Ich muss kurz hoch, Leude. Hier drinne is es unerträglich heiß.", meinte Richard und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Keine Sekunde danach, verließ er den Raum. Paul sah mich an und deutete mit seinen Zeigefingern nach oben, um mir zu symbolisieren, dass ich ihm folgen sollte. Mit einem Augendrehen nickte ich und ging ebenfalls nach oben.

Da saß er also. Inmitten vom Garten. Auf einem grünen Plastiksessel, mit der E-Gitarre um die Schultern und einer Zigarette in der Hand. Die Sonne schien in sein Gesicht. Die Augen waren geschlossen. Den Kopf streckte er gen Himmel. Ein unfassbar schöner Anblick.
,,Pass ja auf, dass de nich zu Stein wirst, Amelie."
Der Moment war vorbei. Paul schlich sich neben mir vorbei und setzte sich neben Richard. Nahm eine Zigarette aus seiner Packung und zündete sich ebenfalls eine an. Ein schelmisches Grinsen von beiden Gitarristen folgte.

,,Wann hattet ihr denn Lust an den See zu gehen?", erklang Till's Stimme von der Haustür. Er trug eine beige knielange Hose und ein blaues Kurzarmhemd.
,,Naja nach dem Mittagessen."
,,Ihr wolltet an den See? Wenn ihr möchtet, meine Eltern haben einen Seezugang, welchen man auch von außen begehen kann. Das wäre kein Problem."
Alle sahen mich fragend an. ,, Bestimmt nicht?"
Ich schüttelte den Kopf.
Till klaschte in die Hände. ,,Na gut, dann is es abgemacht. Geht ihr nur wieder nach unten und nehmt nochmal ne Version von Weißes Fleisch auf. Schneider möchte den Song heute Nachmittags noch mixen wenn's möglich ist. Damit wir morgen vielleicht schon mit dem nächsten Lied weitermachen könne."
Mit wenig Begeisterung erhoben sich die jungen Männer, dämpften ihre Zigaretten aus und begaben sich, samt Instrument wieder hinunter in den Keller.
Ich hatte Bedenken.
Paul kannte ich ja noch von früher. Meine Eltern hätten sicher nichts dagegen, dass er unseren Seezugang benützt, doch bei den Anderen war ich mir nicht sicher. Immerhin kannte ich sie gerade mal einen Tag. Aber ich hatte doch gesagt, ich würde ihnen alles erklären, wenn ich heute Abend heimkam, oder?

...

Als die Nachmittagssonne hoch am Himmel stand, Schneider den nächsten Song mit viel technischen Können und Geschick auf einem hochmodernen Computer gemixt hatte, begaben wir uns zu meinem Elternhaus. Sechs Männer und ich als einzige Frau überquerten die Straße. Dieses Bild würde mir für eine lange Zeit noch in den Gedanken bleiben.
Alle waren sehr vorsichtig und höflich. Niemand sprang sofort ins kühle Nass oder stellte Dummheiten an. Wie im Traum zogen sich die Musiker die Hosen aus und präsentierten ihre Schwimmuniform. Der Einzige der keine Anzeichen machte, ins Wasser zu gehen war Flake. Selbst ich versteckte mich hinter einem Baum, und zog mich in meinen schönsten Badeanzug um. Ein wenig Scham überkam mich als ich von oben selbst betrachtete. Ich hatte mich vorher noch nie so freizügig vor jemanden gezeigt, den ich kannte. Nicht mal vor Paul. Wir waren zwar oft schwimmen als Kinder, doch da dachte ich nicht nach. Vieles verändert sich eben, wenn man erwachsen wird.

Die Scholle, Till und Paul waren bereits im Wasser, während sich Schneider gerade zu Ihnen begab. Ollie rauchte noch in Ruhe seine Zigarette zu Ende. Sobald ich hinter der großen Tanne hervor trat, waren alle Augen auf mich gerichtet. Schneider wisperte etwas zu Richard, der mich einfach nur ansah. Seine hellen Augen waren wachsam und ein kleiner Funken an Bewunderung lag in ihnen. Folgend schwamm ich zu den Männern, bis zu dem Punkt an dem ich gerade noch stehen konnte.
,,Ach komm Flake! Sei kein Weichei und komm auch ins Wasser! Es is echt erfrischend!", schrie Christoph vom See aus.
,,Macht ihr ruhig mal. Ich bleib am Land. Werd von euch Idioten nur wieder unter getaucht, obwohl ihr genau wisst, dad ich dad nich leiden kann. Außerdem möchte ich noch mein Brot fertig essen."
,,Spielverderber!", erwiderte Till.
Ich ließ mich einstweilen auf den Rücken im See treiben und genoss die Sonne auf meinem Gesicht.
Die Libellen flogen umher und außer den jungen Männern im Wasser, gab es kein Geräusch. Alles war perfekt.

Bis unter mir Blasen auf der Oberfläche auftauchten und ich dachte ein riesiger Fisch hat mich gleich zwischen seinen Kiemen. Ich schrie. Doch zum Glück war es nur Richard, der sich nun vor Lachen bog.
,,Ist das dein Ernst! Alter ich hab mich tierisch erschreckt."
,,Du hättest mal dein Gesicht sehen sollen. Das war gerade zum Schreien komisch!"
,,Na warte! Dir zeig ich's Kruspe!"
Darauf folgte eine kurze Rangelei im Wasser, welche ich natürlich verlor. Circa eine Minute lang sahen wir uns einfach nur in die Augen. Wieder studierten wir die Gesichtszüge des jeweils anderen, so wie gestern Abend bei der Verabschiedung.
,,Welche Augenfarbe hast du eigentlich?"
,,Blau. Wobei ich mir manchmal selbst nicht sicher bin, ob sie grau sind. In meinem Pass steht blau."
,,Ich finde sie wunderschön."
Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. ,,Ich finde dich wunderschön."
Mir verschlug es die Sprache bei diesem Satz. Peinlich berührt drehte ich den Kopf von ihm weg, doch seine Hand war schneller. Er hob mein Kinn leicht an.
,,Deine Augen sind ebenfalls wunderschön, wollte ich sagen." – Obwohl ich mich im kühlen Nass befand, war mir unglaublich warm. Das Adrenalin, welches durch meinen Körper floss, verstummte nicht. Wie die harten und schroffen Klänge seiner Gitarre rauschte es durch meine Venen und ließ mein Herz gegen meinen Brustkorb hämmern. Es war wie ein Rausch. Und ich wusste, dass ich davon unbedingt mehr brauche. Mehr wollte, als dieses Gefühl. Ich wollte ihn für mich alleine. Unsere Lippen trennten nur wenige Zentimeter. Sein heißer Atem brannte auf meiner Stirn.

,,Na ihr zwei Turteltäubchen. Kommt ihr dann auch mal aus dem Wasser?", fragte eine Stimme vom Ufer aus. Es war Till, der unseren gemeinsamen und wunderschönen Moment unterbrach.
Gemeinsam schwammen wir wieder zum Ufer und begaben uns zu den andern. Wir ratschten den ganzen Nachmittag über, ehe die Sonne am Horizont wieder unterging und sich der Tag dem Ende neigte. Wir packten die Sachen zusammen und machten uns wieder auf zum Landhaus der Band.
,,Morgen werden wir noch aufnehmen, aber übermorgen sind wir in der Stadt und nehmen Till's Stimme dazu auf. Nur zur Information.", erklärte mir Paul, als Ollie die Haustür aufsperrte.
,, Geht klar. Danke! Na gut, dann schätze ich wir sehen uns morgen?", antwortete ich ihm.

Alle bis auf Richard verabschiedeten sich mit einem Winken oder einem Wort. Er jedoch, kam nah zu mir.
,,Danke für den schönen Tag. Und ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich dich heute Morgen so doof angestarrt habe, als du mit Flake und Paul in der Küche warst. Es hat mich ein wenig überrascht."
,,Kein Problem. Es war ein ziemlich niedlicher Anblick, um ehrlich zu sein."
,,Na toll. Ich wünsche dir einen wunderschönen Abend und eine gute Nacht."
,,Gleichfalls Richard."
In seinen Augen flackerte Mut auf. Kaum davon ergriffen, nahm er mein Gesicht in die Hand und küsste sanft meine Stirn.
,,Mach's gut." Danach entfernte er sich ins Hausinnere und ließ mich im Garten stehen. Ich warf den Kopf in den Nacken und sah hinauf zum Mond. Nahm tief Luft und flüsterte:,, Danke!"

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt