Chapter 27 - GIVING UP -

96 3 13
                                    

Juli 2019:

Nach der gemeinsamen Mittagszeit mit meiner Tochter, in der mein Ehemann immer noch nicht zurück gekehrt ist, rief ich Annika an, um ihr zu berichten was vorgefallen war. Ich erzählte ihr jedes kleinste Detail unseres Streites. Nachdem ich fertig war, folgte eine lange, unangenehme Pause.

,,Und er ist seitdem nicht mehr zurück gekommen?"
,,Nein. Marlene ist wieder in ihrem Zimmer verschwunden. Sie hat den Streit vom Stiegenabgang sicher mitbekommen. Ach Gott, was bin ich nur für eine schlechte Mutter!", antwortete ich, während ich mein Gesicht hinter meiner rechten Hand verbarg.
,,Ach Amelie...du bist zu hart zu dir selbst. Du bist keine schlechte Mutter! Auf gar keinen Fall! Glaub mir das! Marlene und Sammi können sich glücklich schätzen eine Mutter wie dich zu haben."
,,Was meinst du denn? Eine Mutter, die den Vater ihrer Kinder betrügt, mit einem Typen, den sie im Grunde nicht mal kennt? Der Mann, den ich vor 25 Jahren geliebt habe, ist nicht mehr der Selbe. Er hat sich verändert."
,,Alles ändert sich! Das Einzige, was bleibt ist die Liebe."
,,Wenn ich Jens so etwas antue.....habe ich ihn dann je wirklich geliebt?" Die Frage vor meiner besten Freundin laut auszusprechen tat weh. Mehr als ich dachte. Ich stellte die Frage ohne darüber nachzudenken und hatte nun Angst vor der bitteren Wahrheit.
,,Das kann ich dir leider nicht beantworten, aber ich kann dir einen gut gemeinten Rat geben. Rede mit Jens nochmal, wenn er nach Hause kommt. Redet darüber und zieht beide keine voreiligen Schlüsse, die ihr nicht mehr rückgängig machen könnt. Die Kinder brauchen euch."
Ich nickte kurz, bedankte mich dann und beendete das Gespräch.

Annika hatte mal wieder Recht. Wir sollten nicht gleich alles hinschmeißen, aufgrund eines einzigen Fehlers. Wir sind schließlich Menschen und keine Maschinen. Mir kam eine zündende Idee, welche mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Dem Einzigen, den ich neben Annika gleich viel anvertraute, war der Mann der Richard besser kannte als jeder anderer Mensch. Paul Landers.
Mit zitternden Händen wählte ich Paul's Nummer und kaute nervös an meinen Fingernägeln herum, da ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt die gleiche Telefonnummer hatte. Schlußendlich baute sich doch eine Verbindung auf.

,,Hallo! Landers!"
Ein tiefes Gefühl von Geborgenheit und freundschaftlicher Liebe machte sich in meiner Seele breit, als ich seine Stimme hörte.
,,Paul! Ein Glück, dass du abhebst. Amelie Menges spricht. Ich hoffe du kennst mich noch!"
,,Amelie! Wie könnte ich dich jemals vergessen! Wad'n los, Mensch? Eyy wie ham ja ewich nichts mehr von einander gehört, nh? Wad tut sich?"
,,Hättest du Zeit heute Nachmittag kurz vorbeizukommen? Die Geschichte ist nämliche echt lang und ehrlich gesagt würde ich's dir gerne persönlich erklären."
,,Du hast Glück! Heute gegen vier hab ich nichts vor! Schickste mir deine Adresse rüber, oder willste in die Stadt?"
,,Ne das is zu viel Aufmerksamkeit. Bist ja inzwischen berühmt. Wenn's dich nicht stört können wir gerne bei mir zu Hause reden. Sagen wa mal so gegen halb 5?"
,,Perfekt! Ik bin da! Freu mich! Bis später, Amelie.
,,Jooo bis dann!"

Entspannt legte ich mein Handy neben mich auf die Couch. Ich wusste mit Paul darüber zu reden würde meinen emotional aufbrausenden Kopf zwar nicht beruhigen, aber ich konnte wenigstens mit jemanden drüber reden, der abseits von Annika mal einen Blick drauf warf. Er war ja quasi damals mitten in die Situation verwickelt und hautnah dabei. Paul wusste am Ende immer was zu tun war und wenn er mal nicht weiter wusste, war es noch nicht das Ende.

.......

Pünktlich auf die Minute stand Paul vor der Haustür und klingelte. Als Marlene sie aufmachte, starrte sie ihn verdutzt an. Sie hatte ihn davor noch nie gesehen und doch wusste sie wer er war. Sie führte ihn ins Wohnzimmer, wo ich bereits einen Krug mit Wasser und zwei Gläsern bereit gestellt hatte. Danach verzog sie sich wieder in ihr Zimmer.
Nach einer kurzen Begrüßung umarmten wir uns. In den 5 Jahren in denen wir uns nicht gesehen hatten, hatte er sich kaum verändert. Er trug immer noch einen kleinen metallenen Ring in seinem rechten Ohr, die Haare waren kurz und gaben die große breite Stirn frei. Auf dem Kinn wuchs ein kurz gehaltener Bart, welcher sich mittlerweile grau verfärbte. Deutlich sichtbare Falten zeichneten sich bei den Augenwinkeln ab. Ich vergaß, dass er mittlerweile 54 Jahre alt war. Wir setzten uns und begannen unser Gespräch, aus dem ich hoffte Antworten zu finden.
,,Nette Bude."
,,Danke! Ja, da hab ich mir schon einiges aufgebaut."
,,Deine Tochter is echt niedlich. Sieht genauso aus wie du."
,,Dann müsstest du mal Sammi sehen, meinen Sohn. Er is zwar erst 6 Jahre alt, aber ist Jens wie aus dem Gesicht geschnitten. Übern Sommer ist er in einem Fußballcamp von der Schule aus."
,,Dad glaub ich gern. Also wad tut sich bei dir. Wad konntest du mir nicht am Telefon sagen?"

Ich holte tief Luft und erklärte danach wie Richard, einer seiner besten Freunde, wieder in mein Leben zurückgekehrt ist. Es wurde alles bis ins kleinste Detail besprochen. Bis auf die heißen Einzelheiten von letzter Nacht ließ ich nichts aus. Als ich fertig war, sah er mich mit ausdrucklosen Augen an.
,,Puhh...schwierige Situation. Wirklich ganz schwierig. Ik hab ehrlich gesagt mit all möglichen Dingen gerechnet, aber dad Scholle echt noch den Arsch hoch bekommen hat und dich am Schluss, wenn auch nur durch Zufall, gefunden hat......Da wess ik echt nich, wad ik dazu sagen soll."
,,Ich sag dir, dass es kein Zufall war. Er war ja bewusst in dem Plattenladen. Er meinte, dass es der einzige Laden war, der ihm noch fehlte.
,,Dann muss ed eben Schicksal gewesen sein, dass ihr wieder zu einander gefunden habt. Tut mir Leid Amelie, aber ik bin sprachlos."
,,Hat er irgendwas erzählt?"
,,Ne. Wir haben uns die letzten Monate nach der Veröffentlichung auch nicht mehr gesehen. Diese Woche werden wir noch ein paar Dinge für die Stadion Tour besprechen, aber geschrieben hat er mir nich. Wad ja auch völlig okay is. Er hat ja auch ein Privatleben, auch wenn wa beste Freunde sind."
,,Paul, ich bin echt verzweifelt. Ich weiß nicht was ich machen soll und vorallem wie soll ich, dass den Kindern beibringen, sofern Jens nicht wieder zurück kommt?"
,,Jetzt mal ma nicht den Teufel an die Wand! Ed wird alles wieder jut. Lass Dinge doch auch ma passieren."
Ich sah ihn mit einem schiefen Blick an, während er sein Glas Wasser leerte.
,,Du weißt ganz genau, wenn nicht sogar besser als ich wie, dass das letzte Mal geendet ist. Durch diese Hölle will ich nicht nochmal gehen."
,,Ik glaub, dass der Rat von deiner besten Freundin nich mal schlecht war. Rede mit deinen Mann und erkläre ihm deine Gefühle und deine Gedanken. Klar ded is keine Rechtfertigung, aber ded is ehrlich und wenn er ded nicht nach einer gewissen Zeit versteht, dann is er nicht der Richtige. Menschen machen nun mal Fehler. Vorallem, wenn se verliebt sind und Mädschen....Scholle hat dich mega erwischt. Damals wie heute. Is ganz gleich.

Ich nickte leicht und raufte mir durch die Haare. Warum musste ich jede einzelne Situation so sehr überdenken? Warum konnte es mir nicht einfach egal sein? Ich konnte nicht beide gleichzeitig und genau gleich lieben. Dies war mir bewusst und doch verstand ich es nicht.
,,Nun gut, danke Paul. Hat gut getan mit jemanden Außenstehenden darüber zu sprechen.
,,Immer wieder gern! Außerdem is ed echt schön dich mal wieder zu Gesicht bekommen. Wir gehen bald auf Tour. Große Stadien werden gefüllt sein. Hättest du dir ded vor 25 Jahren ma gedacht? Stell's dir ma vor! Ded Olympiastadion is über alle Ränge, randvoll gefüllt mit Menschen die deine Musik feiern. In den 90ern hätte ich mich totgelacht bei den Gedanken dran, aber irgendwie is ed schön."'
,,Du weißt, dass ich schon immer an euch geglaubt habe. Selbst damals schon. Ich wusste es, dass ihr es mal bis ganz nach oben schafft."
Wir lachten einander an und da blitzte kurz der Enkel von Heidemarie Hiersche durch. Mein bester Freund, der eigentlich den Namen Heiko
trug.

Das Klingeln meines Handys riss mich aus den Gedanken, bevor diese wieder in den Sommer 1994 zurückkehren konnten. Es war der Campleiter und Kunstlehrer meines Sohnes. Ich entschuldigte mich kurz bei Paul und verschwand in der Küche.
,,Hallo, spreche ich mit Amelie Menges, der Mutter von Samuel Menges?" Seine Stimme war aufgebracht und er klang nervös.
,,Ja die bin ich. Was gibt's denn?", fragte ich besorgt.
,,Frau Menges, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass wir Ihren Sohn nicht finden können. Er ist einfach spurlos verschwunden."
,,Wie er ist verschwunden?" Urplötzlich zerriss es mein Herz und ich musste mich an der Arbeitsplatte festhalten.
,,Wir haben überall im Camp nach ihm gesucht. Seine Tasche ist weg und seine Klamotten ebenfalls. Die Polizei haben wir bereits informiert, welche auch jede Sekunde eintreffen sollte. Wir werden unser Bestes geben, um ihn zu finden."
,,Wie konnte er einfach so am helllichten Tag verschwinden? Wie ist so etwas überhaupt möglich?" Meine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Im Augenwinkel nahm ich Paul wahr, der im Türrahmen gelehnt die Situation beobachtete. Ein Glück, dass er gerade anwesend war.
,,Wir wissen es leider nicht, aber wir werden nicht ruhen, ehe wir ihn gefunden haben!"
,,Er ist erst sechs Jahre alt und es ist erst 5 Uhr Nachmittags. Wie konnten sie Ihre Autorität so verletzen?", schrie ich in den Höhrer.
,,Frau Menges! Bitte! Es tut mir leid! Wie gesagt, wir geben unser Bestes und informieren Sie, sobald es Neuigkeiten gibt. Am besten ist wahrscheinlich sie kommen so schnell als möglich ins Camp? Können Sie das einrichten?"
,,Na klar! Ich mach mich sofort auf den Weg. Danke!"
Als ich das Gespräch beendete und mit beiden Händen auf der Arbeitsfläche gestützt nach draußen sah, schritt Paul neben mich.
,,Is alles in Ordnung?", fragte er besorgt.
Mit tränennassen Augen sah ich ihn an.
,,Sammi wird vermisst!"

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt