Chapter 18 - Wilder Wein -

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August 1994:

Der gestrige Tag verging wie im Flug. Sie spielten weitere Lieder ein und ich sah dabei zu oder vergnügte mich mit Lady, der Hündin. Mittlerweile hatte sie sich an mich und ich mich auch an sie gewöhnt. Sie bellte mich nicht mehr an, sondern wedelte mit dem Schwanz, sobald sie mich sah. Ich jagte mit ihr über den kleinen Garten, welcher sich hinter dem alten Landhaus befand. In den Pausen zwischen den Aufnahmen, entspannten wir im Garten oder aßen zwischendurch mal eine Wassermelone. Durch die vielen Obstbäume gab es viel Schatten, indem wir uns immer mal wieder zurückzogen. Wir lachten und redeten viel. Ich unterhielt mich mehr mit Christoph und Flake. Versuchte meine engere Bindung zu Richard so gut als möglich zu verstecken, doch immer wieder erwischte ich ihn dabei, wie er mich anlächelte. Gerade als ich im Gespräch mit Till, über sein früheres Leben als Vize-Olympia Meister im Schwimmen war, schrie Richard vom Kellerabgang nach mir:

,,Heyy Liebchen! Kommste mal?"

Till, mit dem rechten Arm auf der Sessellehne gestützt und einem leicht genervten Gesichtsausdruck, starrte ins Leere, ehe er mich ansah.

,,Geh rüber zu ihm!"

Ich entschuldigte mich kurz mit einem mitfühlenden Blick und gesellte mich dann zur Scholle.

,,Brauchst du etwas?"

,,Nein, aber ich wollte mir bloß etwas abholen."- Unvorbereitet küsste er mich. Ich hätte es wissen müssen! Es war mir weder peinlich noch freute ich mich darüber, doch ich entspannte mich. Mein gesamter Körper wurde schwach. Ohne seinen Halt um meine Hüften wäre ich höchstwahrscheinlich zu Boden gesunken. Seine Wirkung auf mich war unbeschreiblich. Als ich auch noch seine Zunge, sanft in meinem Mund fühlte, wurde mir schwummrig. Seine Küsse schmeckten wie der Himmel. Die Zähne glitten langsam über meine Lippen und hinterließen eine unglaubliche Ladung an Emotionen und Gefühlen. Nach einem weitern, tiefen Zungenkuss löste er sich auch wieder von mir. Zwinkerte mir zu und verschwand mit einem verschmitzen Lächeln wieder im Keller. Immer noch mit weichen Knien, sah ich ihm hinterher.

,,Ich hab doch gesagt, dass es nicht lange dauert bis ihr beiden in der Kiste liegt.", kam von Bassisten, welche ich nicht mal bemerkt hatte. Wie lange er schon neben uns stand und uns beobachtete war mir nicht klar. Peinlich berührt und ohne ein weiteres Wort, drehte ich mich weg und setzte mich wieder neben Till. Von ihm hörte ich nur ein leises Gelächter.

Der restliche Tag verlief wie im Flug. Erst als die Mücken in der Abenddämmerung gefühlt im Sturzflug auf uns runterregneten, zogen wir uns wieder ins Haus zurück. Während Schneider und Ollie noch ein wenig am Song:,, Das alte Leid" mixten, begab ich mich aufs Ohr.

....

Am nächsten Tag, wurden wir früh geweckt und fuhren mit 2 Autos und den gesamten Musikequipment ins Tonstudio, Berlin Prenzlauer Berg. Als wir alles aufgebaut hatten, verschwand Till sofort mit Schneider hinter dem Mischpult und Ollie, gemeinsam mit Paul in einen anderen Raum. Flake probierte sich vor der Aufnahme nochmals am Keyboard und Richard, machte es sich gerade in einem Drehsessel, mir gegenüber gemütlich. Als die Band jeweils eine Tasse Kaffee hatte, gesellte sich der Sänger und der 2. Gitarrist zu mir. Der Bassist verweilte immer noch in einem anderen Raum.

,,Ja aber Flake, dad is doch halbes Tempo, Ded passt ja nich!"

,,Ne, dass stimmt so." – kam von Richard.

,,Is falsch, glaub's mir."

,,Ne das passt schon." – kam nun auch von Till, welcher sich neben Paul stellte und mir eine Tasse frischen Kaffee in die Hand drückte. Ohne ein Wort verstanden wir uns.

,,Achso? Na dann mach mal richtiges Tempo!"- verlang Paul. Die Melodie klang nun schneller durch den Raum. Während die anderen Männer die Melodie nach sangen, tanze Richard in seinem Drehstuhl und der Zigarette in der linken Hand hin und her. Der Anblick war verdammt süß.

Mit einem Ruck entfernte sich Paul und holte seine Gitarre. Er versuchte mit Flakes Tempo mitzuhalten, was ihm natürlich nicht auf Anhieb gelang. Nach der kurzen Session klatschten wir alle und brachen in einem wilden Gelächter aus.

,,Gut könn wa anfangen?", fragte der Texter.

,,Jop! Ich stell euch alles ein. Paul? Hilfste mir mal schnell?"

Till begab sich in den kleinen Aufnahmeraum, welcher sich hinter einem Fenster und dem Mischpult befand. Innen waren die Wände mit einer dicken Schicht Schaumstoff schallisoliert verkleidet. Das Mikro stand in der Mitte und an der Wand klebte der Text. Ich hatte noch nie einen Aufnahmeraum, geschweige denn ein Tonstudio, von innen gesehen.

,,Gut dann machen wa jetzt Wilder Wein.", wies Paul den Sänger an, welcher sich gerade die großen Kopfhörer auf die Ohren setzte. Eine schnelle Musik schallte durch den Raum und Till meldete sich augenblicklich.

,,Paul? Paul? Paul? Welche Stimme hör ich denn?"

,,Warte..."

,,Beide?"

,,Ja....Ja jetzt kommt's! Merkste?"

,, Paul ich hab ähhh die...die alte Stimme."

,,Mehr die alte?"

,,Mhm, und ähm.. kannste die andere auch dazu geben?"

Mein bester Freund drehte am Mischpult vor ihm hoch und runter. Ich sah den beiden gespannt zu. Es faszinierte mich, wie die Sounds mit jeder weiteren kleinen Handbewegung wechselten. Verschiedenste Drehknöpfe waren auf dem Tisch zu sehen. Ich wollte helfen, doch hatte Angst, dass ich irgendwas falsch machen würde, somit blieb ich still dahinter sitzen, während Paul die richtige Tonlage und die richtige Geschwindigkeit für den Sänger einstellte. Als meine Tasse leer war, setzte sich Richard neben mich auf die Couch. Er wirkte müde und verschlafen. Neben ihm saß Flake, welcher ebenfalls konzentriert zu sah.

Till startete den Song und seine Stimme klang tief, rau und sogar nicht nach ihm selbst durch die Lautsprecher. Ich kannte das Lied nicht, wiederrum wusste ich worum es in diesem Song ging, doch ich mochte es. Es war eher langsam im Vergleich zu dem Rest, welchen ich schon gehört hatte.

Der Klang und die Melodie, gepaart mit dem Text erinnerte mich an meine Kindheit, welche sich halb in der Stadt und halb auf dem Land abspielte. Es keimte ein nostalgisches Gefühl in mir auf und ich schloss die Augen. Genoss den Song und wippte sanft im Rhythmus mit. Wenig später fühlte ich Richard's Arm um meine Schultern. Ich kuschelte mich an ihn und hielt weiterhin die Augen geschlossen. Solche Momente sollten für immer bleiben.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt