Chapter 26 - Tier -

98 4 26
                                    

A/N: Entschuldigt mich bitte, falls die Daten zu Richards Vergangenheit nicht zu 100% korrekt sind. Es war ohnehin schon schwer das alles in ein Kapitel zu packen
Ly Selina 🫶🏻

August 1994:

Wir waren nun seit satten zwei Wochen auf Tour. Kein Abend glich dem anderen. Jede Show war anders. Jede Location war anders. Größer wurden die Clubs bis dato noch nicht, aber der Erfolg würde kommen. Sofern die erste Platte in weniger als einem Monat erscheint, würde es soweit kommen. Ich wusste es und die jungen Männer, die ich nun meine Freunde nennen durfte, wussten es ebenfalls. Meine Eltern hatte ich zwei volle Wochen nicht mehr gesehen. Seit dem Tag, an dem sie mir quasi den Kontakt zu Richard und den Anderen verboten hatten, hatte ich sie nicht mehr gesehen. Schuldgefühle hatte ich immer noch keine.

Die Band hantierte mittlerweile mit mehr Pyrotechnik und blickfänglicheren Handlungen. Es wurde zum Ritual, dass ich bei den beiden Liedern Rammstein und Weißes Fleisch auf die Bühne mitkam und kurz ins Mikro schrie, oder sogar beim Refrain leise mitsang. Till gemeinsam mit Paul, hatte mich dazu überredet. Am Anfang war ich überrascht und ängstlich zugleich, doch irgendwann wurde es zum großen Spaß. Ich blieb stets an der Seite von Scholle, den ich mittlerweile auch meinen Freund der ganz speziellen Art nennen durfte. Jeder in der Band wusste, dass etwas zwischen uns lief. Spätestens nach dem ersten Konzert in Rostock. Der Ort war vielleicht nicht der Beste um mein erstes Mal mit ihm und überhaupt zu erleben, doch es hatte etwas Echtes und total absurdes an sich, dem ich einfach nicht widerstehen konnte.

Richard selbst, war die ganze Zeit über ein Goldschatz. Er ließ mich oft an der Musik teilhaben, oder spielte mir neue, unmögliche Riffs auf seiner Gitarre vor. Beim heutigen, vorerst letzten Konzert, wollten sie noch einen drauflegen und ein neues Lied performen, welches den Titel Tier trug. Wir waren wieder zu Hause angelangt und schrieben den 20. August 1994. Der Tag war gerade erst angebrochen und somit nutzten wir die letzten freien Stunden und wanderten in Berlin rum, um uns die Zeit zu vertreiben. Wir kamen ebenfalls bei einem Plattenladen im Zentrum vorbei, welchen wir auch zu zweit besuchten. Die Luft war staubtrocken und nicht mal ein Lüftchen wehte. Während sich die anderen mittlerweile mit der Location vertraut machten, wanderten ich und Richard später eine Allee, neben der Spree entlang und ließen uns auf einer Parkbank nieder. Gekleidet in einem weinroten Hemd, die Haare frisch nach hinten gekämmt und mit einer Sonnenbrille auf der Nase, sah er unglaublich gut aus. Die Ärmel waren bis zu den Ellbögen hochgekrempelt, die ersten zwei Knöpfe trug er offen. Feine Strähnen, seiner, mittlerweile längeren, braunen Haare hingen ihm ins Gesicht, während er sich eine Zigarette anzündete.

,,Können solche Momente nicht für immer bleiben?"
,,Ich dachte du liebst die Bühne?"
,,Klar, aber Ruhe ist auch schön. Davon gab's in meinem Leben noch nicht viel."
Verwundert sah ich zu ihm.
,,Wie meinst du das?"
,,Naja meine Kindheit war eben nicht die beste und meine Jugend...tja. Bin immer herum gereist. War selten zu Hause. Das weiteste war die Tschechoslowakei, wo ich mir meine erste Gitarre gekauft habe. Ich war damals in ein Mädchen verliebt und wollte sie beeindrucken."
,,Wie alt warst du, wenn ich fragen darf?"
,,15. Danach hatte sie kein Wort mehr mit mir gesprochen, aber die Gitarre und ich wurden Freunde fürs Leben. Also hatte es auch etwas Positives."
,,Krass! Meine Eltern hätten mich mit 15 nicht allein ins Ausland gehen lassen."
,,Naja meine Mutter hat meinem Bruder immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt als mir. Sie hat ihn ganz klar bevorzugt. Für mich war mein Vater eine sehr wichtige Person, doch als er abhaute und mein Stiefvater in der Familie kam.......wurde mein Leben einfach nur zur Hölle."
,,Wieso?"
,,Ich habe bis heute das Gefühl, dass er mich gehasst hat. Die schlimmste Erinnerung, die ich habe ist, dass er mein Kiss Poster in einem Wutanfall auseinander gerissen hat. Er hat es einfach in tausend Teile zerfetzt. Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade einmal 14 Jahre alt." Er stoppte kurz, nahm die Sonnenbrille vom Gesicht und sprach dann mit gebrochener Stimme und verengten Augen weiter.
,,Ich bin die ganze Nacht wie ein Irrer gesessen und hab dieses Poster wieder zusammengeklebt. Um halb 6 Uhr Morgens war ich fertig und das Poster klebte wieder an der Wand. Ich erntete dadurch zwar sehr viel Schläge von meinem Stiefvater, aber ich hab meinen Willen durchgebracht. Öfters bin ich des Nächstens ausgehungert auf Bushaltestellen oder in Parks herumgelegen, weil ich einfach nicht nach Hause konnte oder nicht wollte. Kaum ein Auge hab ich zugemacht. Ich war damals schon ehrgeizig und das bin ich heute immer noch. Ist ja mit der Musik nicht anders. Ich hab ein wenig Erfahrung und Geduld. Dadurch kann ein Mensch sehr viel erreichen."

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt