Chapter 9 - TEMPTATION-

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Juli 2019:

Nach der ungewöhnlichen Begegnung fuhr ich sofort nach Hause. Ich musste das ganze erst verarbeiten. Wie konnte ich es soweit kommen lassen, dass er mich schon wieder so wie damals, am falschen Fuß erwischt? Auf einmal war ich wieder 21 Jahre alt. Nichts weiter als ein junges Mädchen im Landhaus meiner Eltern, welche sich Hals über Kopf in den besten Kumpel eines alten Freundes verliebt hatte. Die Gefühle schlugen Purzelbäume als er mir in die Augen sah. Ich habe mir selbst geschworen, sofern ich ihn wiedersehen würde, nicht mehr gleich auf ihn zu reagieren, doch vergebens. Ein Blick genügte.

Als ich daheim ankam, sperrte ich die Tür auf und sah zu meiner Überraschung in das Gesicht meines Mannes. Ich durfte mir nichts anmerken lassen.
,,Na alles klar, Schatz?"
Ich zwang mich zu einem Lächeln und antwortete:,, Ja alles gut. Der Stau in der Innenstadt war nur wieder unerträglich. Müsstest du nicht schon längst auf der Baustelle sein? Immerhin ist es 10:00."
,,Sie haben mir heute und morgen frei gegeben. Keine Ahnung. Joschi meinte, sofern eine weitere Person benötigt wird, wird er sich melden."
Diese Lage gefiel mir nicht. Falls ich mich morgen wirklich mit Richard treffen sollte und Jens daheim wäre, müsste ich mir eine gute Ausrede einfallen lassen. Aber wäre, dass dann nicht schon Betrug? Ich hoffe nicht.

Der restliche Tag verlief deutlich entspannter. Ich versuchte mir rund um Richard keine Gedanken zu machen. Er konnte nicht einfach nach 25 Jahren wieder auftauchen und alles erklären wollen. Nein! Ich würde ihm wieder in die Arme laufen und mich ihm so hingeben wie damals. Ich war nun erwachsen und hatte die Verantwortung einer Mutter zu tragen. Noch dazu einen Ehemann, denn ich über alles liebte. Ich durfte ihm nicht nachgeben.

Beim Abendessen wanderten meine Gedanken doch immer wieder zu ihm. Zu seinen Augen welche sich rein gar nicht verändert hatten. Ganz elegant in schwarz gekleidet, sowie die ersten 2 Knöpfe des Hemdes offen. Er raubte mir auf jeden Fall den Atem.
Das Klingeln eines Handy's rieß mich aus den Gedanken. Es war der Kunstlehrer meines Sohnes, welcher sich meldete und berichtete sie seien pünktlich angekommen und haben ihr Programm für den Tag absolviert. Sie konnten sich erst jetzt melden da ein heftiges Gewitter die Stromleitungen im Camp für eine gewisse Zeit lahmgelegt hatte. Ich bedankte mich und beendete das Gespräch.
Marlene war den ganzen Tag nicht aus ihrem Zimmer gekrochen. Ich ging zu ihr und klopfte an ihre Zimmertür. Zusammen gekauert lag sie auf dem Bett.
,,Alles klar, Schätzchen?"
Von ihr kam keine Antwort. Ihr Brustkorb hob und senkte sich nur sehr flach. Die Augen waren offen und starrten die hellblaue Wand an.
,,Falls es irgendetwas gibt, worüber du reden möchtest, kannst du es mir gerne sagen. Ich bin immer für dich da."
Kein Wort. Ich gab ihr einen Kuss auf ihre braunen Haare und schritt erneut wieder aus dem Zimmer.
Nach einer weiteren fast schlaflosen Nacht in der ich mich nur hin und er drehte, hielt ich es nicht mehr aus. Um 6:00 morgens stieg ich aus dem Bett und sofort ins Badezimmer.
Da ich wusste, dass meine beste Freundin Annika, die ich ebenfalls noch aus meiner Kindheit kannte, bereits munter war, wählte ich ihre Nummer auf meinem Handy. Ich musste mit jemanden über meine Situation reden, ansonsten würde ich wahnsinnig werden.

,,Morgen! Na wie geht's? Warum bist du schon munter? Es ist erst 6:00 morgens?"
,, Ach ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Außerdem ist gestern etwas passiert mit dem ich absolut nicht gerechnet hätte."
,,Ist alles okay?"
,,Ich habe Sammi bei der Schule abgesetzt, da er ja auf dieses Sommercamp gefahren ist. Danach bin ich noch in die Stadt und bei nem Plattenladen bin ich stehen geblieben. Als ich gerade so durch die verschiedensten Platten sah, tippte Richard von Rammstein an meine Schulter. Er möchte sich heute Abend treffen und ich habe überhaupt keine Ahnung, ob ich darauf eingehen soll."
,,Richard von Rammstein? RZK? Den Menschen, den du vor 25 Jahren eine kräftige Standpauke gehalten hast und der sich bis gestern nicht gemeldet hat? Der Typ aus Eichwalde?" – Annika machte die gesamte Situation nicht besser, indem sie immer und immer wieder seinen Namen erwähnte. Es tat weh und zauberte mir zugleich ein Lächeln auf die Lippen.
,,Ja genau der Richard."
,,Schätzchen, du musst dich mit ihm treffen. Redet miteinander und holt die übrig gebliebenen Jahre auf!"
,,Meinst du wirklich? Immerhin wurde mir ein ziemlicher Dolch ins Herz gerammt mit dieser Entscheidung."
,,Gerade deswegen solltet ihr miteinander sprechen. Lass ihn alles erklären und dann halte eben mäßigen Kontakt zu ihm." Ich warf einen fragwürdigen Blick in den Spiegel, im Bewusstsein, dass es nicht bei mäßigen Kontakt bleiben wird, wenn wir wieder anfingen.
,,Annika, du weißt wie das damals gelaufen ist. Am Anfang wollte ich ihm die Augen auskratzen und danach konnte ich nicht genug von ihm bekommen. Falls wir wirklich wieder Kontakt haben würden und dass über einen längeren Zeitraum, würde das genau so enden wie vor 25 Jahren. Außerdem habe ich Jens und die Kinder. Ich will niemanden von meiner Familie hintergehen oder enttäuschen."
,,Niemand sagt, dass du gleich morgen wieder mit ihm in die Kiste musst. Redet und dann denke die Sache weiter. Es bringt nichts, wenn du jetzt den Teufel an die Wand malst." – Ich biss mir auf meine Lippe um meine gemischten Emotionen aus Wut, Freude und Kummer zu verbergen. ,,Außerdem hast du ihn ja vermisst, oder?"
,,Ja und wie! Ich liege öfters in der Nacht wach und denke an die Zeit zurück. Es war so herrlich und traurig zugleich."
,,Gut ich muss jetzt los. Wir hören und später. Du musst mir auf jeden Fall sagen wie es gelaufen ist."
,,Werde ich machen."

Danach legte ich auf und machte mich fertig für den Tag. Meine Entscheidung stand fest. Ich musste mich mit ihm treffen, um wenigstens zu reden. Ich werde nicht einknicken, wie damals. Immerhin war ich nun 45 Jahre alt.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt