Chapter 22 - EMIGRATE -

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Juli 2019:

Ich starrte auf die dunkle Decke über mir. Es war still im Raum. Richard war nach draußen gegangen um eine Zigarette zu rauchen und ich lag alleine mit meinen Gedanken im Bett. Was hatte ich getan? Ein tiefes Bedauern und Reue überkam meinen Körper und überschwemmte meine Seele. Nach 15 Jahren Ehe habe ich meinen Mann betrogen mit einer alten Liebe, den ich dachte nie wieder zu begegnen. Es ging mir nicht um seinen Wohlstand oder seinen Bekanntheitsgrad. Es ging mir rein um die Person, die ich aufgehört habe vor 25 Jahren zu lieben. Aber hatte ich damit je aufgehört? Ich brach meine oberste Regel! Nie wieder zu jemanden zurückzulaufen, der mich tief emotional verletzt hat und doch hatte ich es getan. Es hat genau 3 Tage gedauert. Ich hatte nicht nur ihn betrogen, sondern auch mich selbst. Wie konnte ich mich so schnell wieder auf ihn einlassen? Es war nicht richtig.

Während ich weiters in Gedanken und Selbstzweifel versunken, Löcher in die Decke seines Schlafzimmers schlug, betrat er den Raum wieder, knipste die Lampe am Beistelltisch an und setzte sich auf die Bettkante neben mich.
,,Heyy! Alles klar?" Sein Lachen im Gesicht war breiter, als ich es jemals gesehen hatte. Ich lächelte müde zurück, obwohl mir eigentlich überhaupt nicht danach war. Warum musste er mich in so ein Gefühlschaos bringen?
,,Ja alles gut! Das war nur gerade ziemlich heftig. Ich weiß gerade gar nicht wie ich mit der Situation umgehen soll.", antwortete ich wahrheitsgetreu.
,,Das vergeht wieder. Mach dir keine Sorgen, und falls nicht.......könnte ich deine Gedanken mit Musik vielleicht ein wenig aufheitern." Seine linke Augenbaue hob sich. Am liebsten würde ich ihm die Wahrheit sagen. Ihm sagen was mir auf der Seele lag und einfach ehrlich zu ihm sein, doch ich konnte es nicht. Nicht weil ich ihm nicht vertraute, sondern weil ich Angst vor seiner Reaktion hatte. 25 weitere Jahre ohne ihn in meinem Leben würde ich nicht nochmals verkraften können. Ich hatte eigentlich schon klein bei gegeben, als ich mich im kleinen Kaffee mit ihm getroffen hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er mich bereits wieder in der Hand, wie Satan den Teufel persönlich. Ruhig und gelassen wartete er meine Antwort ab.
,,Ich würde gerne etwas von deiner Arbeit sehen." – Innerlich ohrfeigte ich mich erneut. Nachdem ich mir meine Kleidung wieder vollends anzog, folgte ich ihm wie ein Schoßhündchen, die Stufen hinauf ins erste Stockwerk.

Oben angekommen war es ein wenig wärmer als gerade zuvor. Die gesamte obere Etage glich der unteren, obwohl die Räume anders verteilt waren. Als er sagte, er baute ein Haus über einem Haus, hatte er nicht gelogen. Das Studio nahm jeden kleinsten Winkel ein. Wir schritten gemeinsam den selben Flur hinunter, wie zuvor, als wir uns in sein Wohnzimmer begaben. Als er das Licht anknipste, kam ich aus dem Staunen nicht mehr hinaus.
Auf der linken Seite des Raumes waren Mischpulte aufgestellt, welche die gesamte Längsseite des Raumes einnahmen, darauf lagen verschiedenste Pedale in allen möglichen Farben und Größen. Der Raum war weiß gestrichen und Schallplattencover zierten die Verbindung zwischen dem Pult und der Wand dahinter. Sie reichten von Pink Floyd über die Sex Pilstols, bis hin zu Kiss und anderen Bands die ich jedoch nicht kannte. Beim großen Fenster an der Breitseite stand ein Arbeitstisch mit einem Computer und einem Sessel. Dahinter seine berühmten Gitarren, welche er bei jeder Rammsteinshow spielte. Neben dem Eingang türmten sich die Verstärker, verschiedenster Marken, die mir ebenfalls, bis auf ein paar wenige, völlig unbekannt waren. Ich hatte keine Ahnung, wo ich zuerst hinsehen sollte. Schlagartig wurde mir klar, dass der Kerl vor mir, nur mehr wenig mit dem dunkelblonden jungen Mann aus dem Landhaus von Paul's Großmutter gemeinsam hatte.

,,Wow! Na da hast du dir aber einiges aufgebaut! Das sieht ja mega aus!"
,,Danke! Ja hat auch einige Jahre gedauert, bis ich es so hatte, wie ich es wollte und auch brauchte."
Bei den Pedalen auf dem Pult blieb ich stehen und ließ meinen Blick darüber schweifen. ,,Hast du mit jedem einzelnen dieser Pedale gespielt?"
,,Ja, In der Tat! Mit einigen mehr als mit anderen, aber die eigentliche Entdeckung für mich, war hier dieses Gerät.", sagte er und schob sich rechts an mir vorbei. In der Hand hielt er nun ein eher kleineres Pedal, im Vergleich zu den anderen herumliegenden. Unter den Knöpfen stand in einer dünnen weißen Schrift ,,Plasma Pedal" darauf. Die Verzierung um den Hauptknopf herum, glich einer Sonne.
,,Wahnsinn! Super cool!"
,,Is es auch. Das war eigentlich mal ein Geburtstagsgeschenk von 'nem Freund. Echt gutes Gerät. Es macht auch echt viel Spaß damit zu spielen."
Ich nickte, während ich meinen Blick weiter im Raum herumschweifen lies und sich Richard lässig auf die Ledercouch, links neben dem Pult setzte. Ich machte es mir neben ihm bequem.

...

,,Wann hast du eigentlich mit Emigrate angefangen?"
,,2006 hab ich die Band gegründet, aber der Gedanke an die eigene Musik war schon viel früher da. Ich war zwar glücklich, aber es fehlte immer das gewisse Etwas. Dieser kleine Funken an Selbstentfaltung. Ich hab die meisten Lieder in dieser Zeit geschrieben. Viele die bis heute unter dem anderen Bandnamen noch nicht mal veröffentlicht sind. Ich wollte mich einfach nicht mehr anpassen müssen. Es war weniger der Druck etwas Eigenes zu schaffen, dass die Menschen mögen, sondern mehr die Freude über die Freiheit in der Musik selbst. 2007 kam dann das erste Album mit dem gleichnamigen Bandnamen auf den Markt."
,, Du warst immer schon ein sehr kreativer Mensch. Allein schon in den 90ern, als du uns deine neuen Riffs immer vorgespielt hast. Für mich waren die Griffe und verschiedensten Techniken immer unmöglich nachzuvollziehen. Bei Paul war's ja eigentlich genau dasselbe, obwohl er nur die 2. Gitarre spielte. Glaubst du, dass du den Sound von Emigrate auch schon früher im Blut hattest?"
,,Nein! Der hat sich erst nach und nach entwickelt. Vor allem nach der Zeit in New York, wo ich viele gute Kollegen und Musiker kennengelernt habe. Das war die härteste Aufgabe, vor die ich mich je stellen musste, nachdem wir dich nicht mehr bei uns hatten. Wir spielten in ausverkauften, kleinen Clubs in einem Land, indem ich kein Wort verstand. Ollie und Till konnten ein wenig Englisch und haben mir quasi immer alles übersetzt. Ich konnte die Sprache überhaupt nicht. Hab sie mir erst durch das viele Zuhören und Lesen selbst beigebracht."
,,Und jetzt schreibst du englische Songs. Da siehste mal wie schnell sich ein Mensch anpassen kann, wenn er muss."
Er nickte und sah durch die Balkontür nach draußen. Ich sah in die gleiche Richtung. Ohne das Gesicht wieder auf mich zu lenken, sprach er leise weiter.

,,Zwischen 2001 und 2005 war es am aller Schlimmsten. Ich hatte das Gefühl nur etwas wert zu sein, wenn ich auf der Bühne stand. Gab's mal eine Woche ohne, dass ich ein Lied geschrieben hatte, wollte ich mich erschießen. Ich pfiff mir jeden Tag die härtesten Drogen hinein, nur um auf meinen kurzen Trip ein wenig Ruhe von meinen Gedanken zu bekommen. Der Rausch auf der Bühne zu stehen, bejubelt zu werden von tausenden von Menschen, gab mir ein Gefühl von Geborgenheit und Wärme, die ich so seit dir nie wieder gespürt hatte. Sie liebten uns und tun es Gott sei Dank immer noch. Mittlerweile bin ich dieser seelischen Spirale entflohen, die mich nach einem zweistündigen Trip an den harten Boden der Realität zurück warf. Das Publikum bejubelt nicht dich als Mensch, wenn du dort oben stehst. Nein, sie bejubeln, dass Bild des Musikers, welches sie von dir haben. Es kann nie echt sein. Sobald du dort rauf geht, schlüpftst du in ne Rolle. Am Anfang machte es Spaß und ich genoss es. Dann irgendwann wurde es zur Sucht.

Ich hing an seinen Lippen und versuchte seinen Schmerz nachzuempfinden. Ich wusste zwar, dass sie über die Jahre immer berühmter geworden waren, doch damit hatte ich nicht gerechnet.
,,Nach der Therapie wurde es besser. Seitdem nehme ich auch keine Bewusstseins erweitertenden Substanzen mehr zu mir. Ich brauch's nicht mehr. Es kostet nur Geld und Nerven. Was einzig und allein geblieben ist, war die Musik.
,,Das war sicher keine einfache Zeit für dich. Du hättest dich melden können. Jederzeit! Sofern ich gewusst hätte, wie es um dich steht, hätte ich alles stehen und liegen gelassen und wäre zu dir gekommen, selbst wenn ich immer noch enttäuscht und angefressen war! Mensch, Richard!"
In seinen Augen lag ein glasiger Schimmer. Noch nie zuvor hatte ich ihn weinen sehen und das wollte ich auch nicht. Gleichzeitig wurden auch meine Augen ein wenig feucht.
,,Ich weiß, Amelie! Ich weiß es und ich wusste es auch damals. Doch mit meiner Entscheidung, hab ich dich damals so tief verletzt, dass ich mir sicher war, dass du nichts mehr von mir hören möchtest. Ich konnte Paul nicht fragen und ehrlich gesagt, konnte mir gar niemand helfen. Und dann seh ich dich 25 Jahre später wieder in diesem Gott verdammten Plattenladen, während du dir meine CD a die Stirn hälst und etwas murmelst. Dieses Bild hat sich in mein Gehirn gebrannt. Ich dachte ich würde träumen.
,,Wie konntest du mich überhaupt nach all den Jahren erkennen? Ich habe mich doch auch verändert."
,,Glaubst du wirklich, dass ich dich nur durch dein Alter und deine Style-Veränderung nicht wieder erkannt hätte? Deine grünen Augen sind in meinem Hirn, wie das Amen in der Kirche. Ich würde dich selbst unter Tausenden wieder erkennen, weil du die einzige Frau bist, die ich jemals wirklich geliebt habe und immer lieben werde. Egal was kommt."

Meine Tränen liefen die Wangen hinunter wie ein Wasserfall. Zuerst nur vereinzelnd und nach dem Geständnis wie ein aufgebrochener Staudamm. Auch, wenn mir Richard schon einige Male seine Liebe zu mir gestanden hatte, wirkte nichts davor jemals so echt und ehrlich wie gerade eben. Langsam rückte ich näher an ihn heran und umklammerte seinen Körper. Wie damals legte er seinen Hand auf meinen Rücken und striff darüber, während mein Gefühlchaos in meiner Seele mir keine Ruhe schenken wollte.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt