Chapter 17 - HIDE & SEEK -

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Juli 2019:

Als ich die Haustür aufschloss war es gerade einmal 21:30. Ich war nicht sehr lange weg. Das Licht brannte im Stiegenaufgang und aus der Wohn-Essküche war die Stimme meines Mannes zu hören. Ein Fußballspiel lief. Wie immer.

In Gedanken versunken zog ich mir meine Schuhe aus und stellte die Tasche samt den Autoschlüsseln auf die Kommode. Außer dem Fernseher und Jens war nichts zu hören. Das Treffen hing mir immer noch im Kopf, wie dicke Gewitterwolken am Himmel. Er machte einen interessierten Eindruck, wie damals und war doch ein wenig kühl und rau. Die Themen wurden abgehandelt wie auf einer To-Do-Liste. Karriere, Familie, Kinder, Ehe, Lebenssituation, Gefühle. Das war's! Mehr nicht!? Mehr sollte ich aus dem Gespräch nicht erfahren? Nun gut er suchte mich für 5 Jahren und war traurig als ich später in den 90ern nie wieder in das Haus meiner Eltern zurückkehrte, doch dies konnte nicht der Grund für seine Art sein. Die Antwort lag hinter seinen Augen. Sie hatten ihn schon früher sehr oft verraten, wenn er sich in sich selbst zurückzog.
Ich brauchte mehr Antworten.

Kurzer Hand nahm ich mein Handy aus der Handtasche und wählte die Nummer von Annika, nachdem ich Jens mit einem kurzen Wangenkuss begrüßt hatte. Er war viel zu sehr auf das Spiel konzentriert, um mit mir ein ernsthaftes Gespräch zu führen.
Während die Verbindung aufgebaut wurde, sah ich noch kurz im Zimmer meiner Tochter nach. Die Vorhänge waren geschlossen und sie schlief tief und fest. Dann nahm Annika den Anruf entgegen.

,,Hey Süße! Na wie ist dein Date mit dem Ex-Lover gelaufen?" – Ich hatte sie natürlich darüber per SMS informiert. Sie war jedoch die Einzige. Jens wusste von nichts.
,,Naja Ex-Lover ist gut gesagt. Es war eigentlich ganz entspannt. Wir waren im kleinen Kaffee in der Stadtmitte, in einem kleinen Raum, indem wir ungestört reden konnten. Richard hat bereits auf mich gewartet als ich ankam."
,,Ein Gentleman, ich seh schon! Hat er sich verändert?"
,,Von den Gesichtszügen her nicht, aber vom Style. Schwarze, wilde Haare und keinen Bart. Er trug ein rotes Hemd mit einer schwarzen Weste und....warte mal. Er ist berühmt? Sein Gesicht hängt ungefähr überall im Internet und in der Stadt, da sie ja erst im Mai das neue Album herausgebracht haben. Annika, du weißt ganz genau wie er sich verändert hat!"
,,Glaubst du ich hab ihn jemals gegoogelt? Schätzchen...Er ist deine Jugendliebe und nicht irgendein daher gelaufener Typ aus Berlin Kreutzberg. Außerdem wollte ich wissen, wie du ihn beschreibst."

Ich griff mir an die Stirn, während ich ins dunkle Schlafzimmer schritt. Meine Stirn glühte regelrecht. Von den Wangen ganz zu schweigen. Mein gesamter Körper glich einem fieberkranken Menschen und das nur weil ich an ihn dachte. Mir wurde leicht schummrig. Er hatte mich wieder erwischt. So wie immer.

,,Naja sein Kleidungsstil hat sich schon ein wenig verändert, aber das ist völlig egal. In seinem Gesicht sitzen immer noch die selben blau-grauen Augen wie damals und seinen Charme hat er ebenfalls nicht verloren."
,,Na siehste? War ja nicht so schlimm. Über was habt ihr geredet?"
,,Über vieles! Die Karriere, Familie, Kinder, das Leben. Es kam mir vor wie eine To-Do-Liste die wir abarbeiteten. Seine Antworten waren verschlossen, kühl und dann im Gegensatz dazu wieder aufbauend, charmant und.....mitfühlend? Ich suche gerade das richtige Wort dafür um zuzugeben." – Das war auch nicht gelogen. Kein anderer Mann verblüffte und erstaunte mich so sehr wie Richard. Immer wenn ich dachte, ich könnte schlau aus ihn werden, ihn lesen sozusagen, wurde ich enttäuscht. Als ich im Sommer 1994 dachte er gehöre ganz mir und wir werden für immer und ewig beisammen sein, wurde mein gesamter Körper mit voller Wucht nach unten gedrückt und der Treibsand der Liebe verschlang mich. Ich war blind.

,,Eine abzuarbeitende Liste meinst du? Vielleicht wollte er einfach langsam anfangen. Vergiss nicht, es waren immerhin 25 Jahre. Da kann viel passieren."
,,Ja ich weiß. Er hat auch gemeint, dass er mich für 5 Jahre gesucht hatte. Die restlichen 20 dachte er ich hätte kein Interesse mehr an ihm."
,,Sein Ernst? Amelie, sei ehrlich wie lange hast du Richard nachgeweint?"
,,Knappe 3 Jahre." – erwiderte ich leise, wohlbemerkt wie sich in meinen Augen wieder Tränen bildeten. Ich war ein emotionales Chaos.
,,Eben! Drei verdammte Jahre hättest du alles für ihn getan. Wir waren sogar einmal noch Live in Berlin dabei, weil du dachtest es würde deinen Kummer lösen. Du wolltest ihn auf der Bühne sehen und wolltest wissen was aus ihnen geworden ist. Diese ganzen Lieder der ersten CD beinhalten so viele Erinnerungen für dich, dass du ein Buch schreiben könntest. Und dann will er dir erklären, du hättest kein Interesse an ihm gehabt, nur weil du in die Stadt zurück gekommen bist?" – Ich hatte Annika noch nie so empört erlebt. Der Kloß in meiner Kehle wurde immer dicker und schwerer zu schlucken.
,,Ja......mag sein, aber du warst auch nicht in Eichwalde dabei. Du weißt nicht wie es war."
,,Stimmt ich war zwar nicht persönlich dabei, aber du hast mir alles bis in kleinste Detail erzählt. Schätzchen, ich will doch nur dass es dir gut geht und du keinen Kummer hast. Okay?"

Ich nickte und versuchte die Tränen erfolglos zurückzuhalten. Nur unter leisem Schluchzen brachte ich den nächsten Satz hervor:,, Er nannte mich sogar Liebchen! Wie damals!"
,,Ach mein Gott! Willst du wieder zurück zu ihm?"
,,Ich weiß es nicht, aber ich brauche auf jeden Fall mehr Antworten als er mir gegeben hat. Er meinte er wird sich melden."
,,Okay. Pass nur auf, dass es dir emotional nicht zu viel wird. Ich weiß wie labil du sein kannst. Er soll nicht mit dir spielen und außerdem denk an Jens und die Kinder.

Als ich antworten wollte, vibrierte mein Handy
RZK: Danke für das Gespräch. Tut mir Leid, falls es etwas unangenehm verlaufen ist. Vielleicht können wir es etwas weniger steif nochmals wiederholen?"

,,Ja ich verspreche es. Du wir schreiben später noch, okay? Es ist zwar noch nicht spät aber ich bin echt fertig vom Tag."
,,Klar! Falls er schreiben sollte, melde dich."
,,Werde ich machen. Danke und gute Nacht."
,,Gute Nacht."
Danach legte ich auf. Ich starrte auf mein Handy und las die SMS gefühlt 100x durch. Er hatte sich wirklich gemeldet. Wie sollte ich reagieren? Was sollte ich antworten?

Ich stellte mein Handy auf stumm und drehte es mit dem Bildschirm auf mein Nachtkästchen. Ich konnte ihm nicht gleich antworten. Ich brauchte Zeit. Annika hatte Recht. Drei Jahre Schmerz und Liebeskummer waren genug! Ich hatte eine Familie und einen liebenden Ehemann. Warum sollte ich mir mein Glück zerstören lassen? Natürlich brauchte ich Antworten auf meine Fragen und ich wusste, dass noch längst nicht alles gesagt wurde, doch ich brauchte Zeit.

Ich zog mich in meine Schlafklamotten um und lag mich in mein Bett. Zusammengekauert und mit der Decke im Arm, auf die Seite gedreht lag ich da. Ich vermisste ihn. Wollte den Geschmack seiner Lippen wieder auf meinen haben. Seine Zärtlichkeit, seine Wärme und seine Liebe wieder spüren. In Gedanken stellte ich ihn mir nochmals bildlich vor. Wie ein rot/schwarzer Blitz war er wieder in mein Leben gekracht. Nicht, dass es oft geregnet hätte, doch Sonne gab es auch nicht wirklich viel. Mein Entschluss stand fest, denn das Versteck-spiel war vorbei. Richard Z. Kruspe war wieder voll und ganz in meinem Leben.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt