Chapter 4 - Sonne -

130 5 0
                                    

Juli 1994:

Ich schritt auf dem schmalen, staubigen Weg zwischen einer verbrannten Wiese und hinter Paul. Dicht gefolgt von Richard, meiner neuen Bekanntschaft. Er war arrogant, gut gebaut und eigentlich überhaupt nicht mein Typ. Doch irgendetwas hatte er an sich.

Als Paul die Tür zum Haus öffnete, empfing mich sofort ein brennender Schwal von kaltem Rauch. Die Luft war abgestanden und überall waren Kabel verlegt. Von der Küche hörte man Musik. Ich war wohl in der Höhle des Löwen angekommen. Heidemarie, Paul's Großmutter, würde das nicht gefallen. Gott sei Dank war sie noch gute drei Monate weg von daheim.

,,Die Luft ist aber echt nicht gut hier drinnen."
,,Dad vergeht wieder, wenn wir am Abend und in der Nacht die Fenster aufmache.", erklärt mein Vordermann mit einem Grinsen.
,,Das stimmt. Sei nicht so empfindlich. Hier leben sechs junge Männer, welche alle knappe 30 Jahre alt sind. Was erwartest du dir, Liebchen!", fragte Richard als er mich überholte um ins Wohnzimmer zu gehen. Liebchen? Wie weit wollte er es denn noch treiben?

,,PAUL! DU HUND!", schrie eine tiefe und doch sanfte, mir noch völlig unbekannte Männerstimme aus einem weiteren Raum des Hauses. Hinaus trat ein schlanker, normal großer Mann, mit Seitenscheitel und dunklem Haar. Die markanten Lippen und ein drei-Tage Bart brachten seine grünen Augen sehr gut zur Geltung. Er war hübsch, wenn er mir doch ein wenig grob und schroff erschien.
,,Ja, ik komm ja schon! Wad'n los, Mensch?"
,,Wir wollten doch jetzt Du riechst so gut aufnehmen und dann auf einmal warste weg."
,,Ik hab nur geguckt wad draußen los war. Scholle, hat ne neue Freundin gefunden." Scholle? Meinte er Richard?
,, Zuerst mal. Sie ist nich meine Freundin. Die stand einfach am Gartentor rum und wollte Paul sprechen. Ich kam ihm eben zuvor und hab mich nett mit ihr unterhalten.", antwortete er mit einem frechen Grinsen, welches seine kantigen Gesichtszüge weniger hart aussehen ließ. Seine Augen kniff er zusammen. Irgendwie gefiel er mir mit jeder Sekunde mehr, auch wenn ich seine arrogante Art verabscheute.

,,Alles klar, wir haben schon verstanden und morgen liegste mit ihr in der Kiste.", kam von einem großen, mir ebenfalls unbekannten Mann.
,,Ohhh Ollie! Bitte! Bitte nicht!", schrien die 3 restlichen.
,,Keine Sorge, dass wird bestimmt nicht passieren. Er ist nicht mein Typ. Außerdem ist er viel zu arrogant.", erwiderte ich. Von der „Scholle" selbst ernte ich große Augen. Damit hatte er sicher nicht gerechnet. Hab ich dich!

,,Ne, also Jungs! Dad is Amelie Menges. Wir sind Sandkastenfreunde seitdem wir klein sind, auch wenn ich ein wenig älter bin als sie. Haben früher jeden Sommer miteinander verbracht. Wir kennen den jeweils anderen besser als ihr dad vielleicht glaubt. Also, ik an eurer Stelle würde mich echt nicht mit ihr anlegen. Vorallem nich du, Rich."
Ich winkte im Raum umher, da sich nun noch ein weiterer, schlacksiger und ausgedürrter Mann zu uns gesellt hatte.

,,Also gut, Amelie. Dann ist es wohl an der Zeit, dass du alle anderen kennenlernst. Ich bin Till. Till Lindemann. Ich singe und schreibe die meisten Lieder der Band. Dort rechts neben dir stehen Ollie und Flake. Bass und Keyboard. Paul kennste ja schon. Er spielt die zweite Gitarre. Unten im Keller ist noch Christoph an den Drumms, wird von uns aber eigentlich nur bei seinem Nachnamen Schneider, genannt. Und ja unseren Gitarrengott haste ja schon kennengelernt." Ein flüchtiger und doch kurzer Blick zu Richard folgte.

,,Freut mich euch alle kennenzulernen. Ich bin eigentlich nur zu euch gekommen, da mir und meiner Mutter die Musik ein wenig zu laut geworden ist und ich fragen wollte, ob ihr die Lautstärke runter schrauben könntet. Daraufhin habe ich Richard kennengelernt."
Alle nickten und Ollie zündete sich neben mir eine Zigarette an. Ich verscheuchte den Rauch von meinem Gesicht. Ich mochte den Geruch von Zigaretten überhaupt nicht. Zu sehr schädigten sie die Gesundheit.

,,An den Rauch musst du dich wohl oder übel gewöhnen, Liebchen. Sonst überlebst du hier drinnen nicht." Wieder folgte ein flüchtiger Blick zum Leadgitarristen. Warum sah er mich die ganze Zeit an? Dieser Spitzname gefiel mir ebenfalls nicht. Er störte und verwunderte mich zur gleichen Zeit. Welch tödliche Kombination

,,Wir nehmen gerade unser erstes Album als Band auf und nächste Woche geht's dann auch das erste Mal ins Studio nach Berlin. Da hast du dann ein paar Tage Ruhe von uns. Wir könne die Musik nicht wirklich runter drehen, da sonst die Aufnahmen nichts taugen.", sprach der Sänger weiter.
,,Ja okay, dann werde ich wohl damit klarkommen müssen. Alles gut. Naja Paul, es hat mich wirklich gefreut dich wieder zu sehen. Wenn du mal nen Tag frei schaufeln könntest, wär das echt klasse. Dann können wir wieder runter zum See so wie früher."

Er nickte: ,,Ja gern! Allerdings glaub ik, dass das in nächster Zeit wohl eher nicht so der Fall sein wird. Wie gesagt, wir nehmen das Album auf und nächste Woche stehen die Studioaufnahmen am Programm. Im August folgen die ersten Auftritte. Ik werd schauen, was ich machen kann und komme bei Gelegenheit vielleicht mal rüber."

,,Okay.", die Antwort gefiel mir nicht, obwohl ich damit gerechnet hatte. Ich mochte es Zeit mit ihm zu verbringen, da er einer der unkompliziertesten und zugleich nettesten Menschen war, die ich jemals kennenlernen durfte. Mit einem kurzen Winken verabschiedete ich mich von den restlichen Männern und stolzierte mit gesenktem Kopf wieder Richtung Haustür. Geradewegs lief ich jemanden in die Arme.

,,Woow. Vorsicht!"
,,Verzeihung! Ich durfte dich nicht gesehen haben." Als ich den Blick hob, blickten mir ein Paar strahlende blaue Augen entgegen.
,,Kein Problem. Ich bin Christoph!"
,,Amelie. Ähm....Eine alte Freundin von Paul."
,,Freut mich! Hast du ihn besucht?"
Bevor ich ihm eine Antwort geben konnte, schritten die anderen Bandmitglieder ebenfalls zur Tür und kommentierte die peinliche Situation.

,,Heyy Schneider! Pass ja auf, dass du nicht mit ihr flirtest. Sie is schon für mich reserviert!", klang Richard's Stimme durch den Eingangsbereich.
Mit einem breiten Grinsen antwortete er: ,,Ne keine Sorge. Sie ist nur so schnell aus dem Haus raus, dass sie mich fast überrannt hat. Ich wollte nur helfen. Keine Sorge, ich nehm' sie dir nich weg!"

Während die übrigen Männer hinter mir lachten oder die Situation weiter kommentierten, wurde mir die Lage immer ungemütlicher. Ich musste weg. Schweiß tropfte von meinem Gesicht und als ich auch noch Richards ställernden Augen hinter Paul sah, welche sich ein weiteres Mal in meine Gedanken fraßen, hielt ich es nicht mehr aus.

,,Ähm ....Ja! Paul, es war schön dich wieder zu sehen. Wir sehen uns. Viel Spaß bei der Arbeit und viel Erfolg." Ohne auf seine Antwort zu warten, lief ich los. Ich rannte aus dem Garten hinaus, als würde mich jemand verfolgen. Meine Kehle schnürte sich bei jedem weiteren Schritt zu. Erst als ich daheim ankam, blieb ich stehen und holte tief Luft.

Warum sah er mich die ganze Zeit über an? Warum war er im Gegenzug dazu, am Anfang so arrogant? Ich wurde nicht schlau aus ihm. Das Bild, während er auf mich zu kam, brannte sich weiterhin in mein Hirn. Seine deutlich sichtbaren Muskeln, in Kombination mit dem kantigen Gesicht hatten etwas an sich, das mir gefiel. Er gefiel mir. So weh es doch tat es zu zugeben. Richard gefiel mir.

R A I N B O WWo Geschichten leben. Entdecke jetzt