Kapitel 8

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Felix POV

In dieser Nacht habe ich einen Alptraum. Eigentlich beginnt er nicht schlecht, denn in meinem Traum sehe ich Mabel. Wir sind gemeinsam wieder in der Tischlerei ihres Vaters und sie trägt ein leichtes, weißes Kleid. Damit tanzt sie lachend und mit wehenden Haaren zwischen den neuen Möbeln umher, begleitet von glitzerndem Holzstaub, der in goldenem Abendlicht schwebt. Die ganze Kulisse scheint nur für sie geschaffen worden zu sein und es erfüllt mich mit Freude sie so gelöst und glücklich zu sehen. Mabel schreitet auf mich zu, so als wolle sie mich küssen. Doch anstatt dies zu tun, zieht sie auf einmal wütend die Augenbrauen zusammen und beginnt mir Vorwürfe zu machen: „Was stehst du da so faul herum, Felix?! Fang an zu arbeiten! Du musst härter arbeiten, sonst wird nie etwas aus dir! Hörst du Felix? Niemals. Schau mich nicht so verdattert an, sondern tu endlich was. Oder bist du so ein Nichtsnutz wie deine Mutter? Felix..". So geht es immer weiter und anstatt etwas dagegen zu tun, senke ich nur den Blick und lasse es über mich ergehen. Mabel hatte schon immer hohe Erwartungen an mich, dass ich eine bessere Version ihres Vaters werde und ich habe ihr nie einen Vorwurf daraus gemacht, wollte ich doch selbst ein besseres Leben. Aber, dass sie jetzt so gemein ist... Es fühlt sich an, als würde ich in mich zusammenfallen.

Dann jedoch ändert sich die Szenerie: Das Licht wird auf einmal kühler und die zuvor friedlich fliegenden Holzpartikel sausen nun auf meine Liebste zu. Sie schreit, während sich das Holz auf ihrer Haut, ihren Haaren, ihrer Kleidung fest setzt und sie langsam aber sicher bewegungsunfähig macht. Holzstaub fliegt auch in ihren noch immer zum Schrei verzerrten Mund und lässt Mabel husten und röcheln. Und ich kann nichts tun. Zwar landet kein Holz auf mir, aber ich kann mich dennoch nicht bewegen, egal wie sehr ich mich anstrenge. Tatenlos muss ich zusehen wie Mabel in eine Statue aus Holz verwandelt wird. Dann plötzlich öffnet sich die Tür zum angrenzenden Lager und meine Mutter kommt herein. Mit einem fiesen Grinsen auf ihrem ausgemergelten Gesicht nähert sie sich Mabel und berührt ihr Gesicht. „Ohne dich wäre sie besser dran gewesen", wendet sich meine Mutter nun an mich, der ich nur schweigend verharren kann. Dann entzündet sie ein Streichholz und setzt es an eine von Mabels in der Bewegung verholzten Haarsträhnen an. Langsam frisst sich die Flamme zu ihrem übrigen Haar, über ihre Stirn und weiter zu ihren Augen. Tränen fließen aus den meinen und ich wünschte ich könnte die Flammen damit ertränken. Doch kurz bevor die Flammen auch Mabels Mund verzehren können, verzerrt sich dieser und spricht: „Du hattest mich sowieso nie verdient!" Und das ist der Moment, in dem alles schwarz wird.

Mein Herz schlägt wild in meiner Brust, als ich aufwache. Schweißtropfen haben sich auf meiner Stirn gebildet. Für einen Moment weiß ich nicht wo ich bin. Aufgeregt tasten meine Hände in der Dunkelheit umher und ich fühle die Rinde eines Baumes neben mir, weichen Stoff unter mir. Kühle Nachtluft streift mein Gesicht. Ich bin in Neverland, immer noch in Neverland. Kerzengerade sitze ich auf einer Matratze, die mir Pan gegeben hat, und versuche mich zu beruhigen. Es war nur ein Traum, nur ein Traum. Dennoch hat er ein bleibendes Gefühl der Angst in mir hinterlassen. Und ein winziges, bitteres Gefühl von Verrat. Dabei war die Traum-Mabel gar nicht echt. Nur ein Traum, Felix, nur ein Traum. Keine Ahnung wie lange ich mich an diesen Satz klammere, aber nach einer Zeit findet mein Herz langsam seinen normalen Rhythmus wieder und sind die Tränen, die ich anscheinend tatsächlich während des Traums geweint habe, getrocknet. Mit einem Stöhnen lasse ich mich wieder auf die Matratze sinken. Nachdem ich nach einiger Zeit wieder eingeschlafen bin, verläuft die Nacht zum Glück ruhig.

X

Als ich am Morgen wieder aufwache, ist Pan wieder nicht da. Ich bin allein in seinem Lager, aber das ist mir eigentlich ganz recht, denn ich bin noch nicht bereit für Gespräche, deren Inhalt ich vermutlich sowieso nicht ganz verstehen kann.

Auf einmal trifft mich ein Wassertropfen mitten auf die Nase. Verwundert schaue ich nach oben. Ein zweiter Tropfen landet knapp unter meinem Auge. Über mir prasselt Regen auf die Blätter der riesigen Bäume, durch die ich hier unten noch ganz gut geschützt bin. Das Geräusch wirkt beruhigend auf mich und für einen Moment schließe ich die Augen. Ich würde es gerne leugnen, aber ein wenig tut Neverland mir auch gut. Zwar vermisse ich Mabel unglaublich und mache mir schon Sorgen um meine Mutter, doch hier wird zunächst einmal nichts von mir erwartet. Für das erste reicht es, dass ich einfach nur da bin. Anders als in meiner Welt, in der ich streng meinem Alltag folgen musste. Auch die Natur in Neverland wirkt wohltuend auf mich. Es ist so ganz anders als die dreckigen, bedrückenden Gassen in meiner Welt. Hier sind auch nicht viele Menschen, nur Peter und ich. Aber der wichtigste Punkt für mich ist: Ich bin hier sicher. Mir passiert nichts. Ich werde von meiner Mutter nicht geschlagen oder angeschrien. Es ist gut hier, nur Mabel fehlt. Mein Herz zieht sich bei dem Gedanken an sie zusammen. Wie es ihr wohl geht?

Felix - The second shadow of Peter PanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt