Kasbah

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Ein kleiner Rundgang

Eine Kasbah ist eigentlich ein Familienwohnsitz. Sie besteht aus kleineren Gebäuden und zwei bis vier Türmen. Zentral gelegen ist meist eine Wasserstelle; oft in einer Art Innenhof. Wenn eine Familie wächst, entstehen nach und nach neue Gebäude, bis es ein enges Dorf mit schmalen Gassen ist. Die Kasbah wird somit auch zu einer Art befestigter Wohnanlage, ähnlich wie wir es aus Europa von den Burgen kennen.

Die Handelsstation schmiegt sich an einen wenige hundert Meter hohen Hügel, an dessen Fuß eine Wasserader quirlt, als zaghafter Fluss in einem viel zu großen Bett, mäandrierend, wie eine lebensspendende Schlange. Mächtige Türme wachen darüber, welch fremder Mensch sich den Toren naht. Gleichzeitig weisen sie den Karawanen von weither die Richtung; empfangen sie zur Rast, bevor der beschwerliche Weg über den Atlas beginnt.

Traditionellerweise wird gegen außen kein Reichtum gezeigt. Die Mauern sind schlicht, die Fenster klein und die Türen aus massivem Holz geschnitzt. Im Innern sieht es anders aus. Der Reichtum zeigt sich mit den Teppichen, den Kissen und den Mosaikverzierungen. Die Räume sind oftmals hoch, damit die Wärme nach oben steigen kann und die Temperatur im Wohnbereich angenehm bleibt. Natürliche Wärmeregulierung.

Klimatisch ideal ist auch das Baumaterial. Aus der Erde werden mit Stroh und Wasser Lehmziegel geformt und getrocknet. Diese "Steine" werden dann aufgeschichtet und wiederum mit Erd-Lehm verputzt. Die traditionelle Bauweise hält die Häuser im Sommer kühl und im Winter warm. Mit Backstein oder gar mit Beton zu bauen wäre falsch - die Wohnungen würden viel zu heiß und müssten gekühlt werden.

Ich schlendere durch die Gassen der Kasbah, steige enge Treppen hoch und folge kleinen Tunnels. Einem Künstler sehe ich beim Malen seiner Bilder zu; es riecht nach Farbe und Leinwand. Etwas weiter bergan werden Teppiche geknüpft, die Wolle riecht noch frisch, gefärbte Wolle hängt zum Trocken an Stangen. Auf einmal bittet mich ein freundlich lächelnder Mann in den Innenhof zum Tee. Wir setzen uns auf die bequemen Kissen. Die Kanne steht auf dem Teppich, er gießt den stark gesüßten Pfefferminztee in bunte Gläser.

Dass er dabei mit der Kanne sehr hoch fährt und den Tee trotzdem in das Glas fließt, ist nicht etwa nur Show - es bedeutet "Willkommen". Würde er den Tee einfach nur so eingießen, wie wir das aus Europa kennen, wäre das für mich ein Zeichen, nicht willkommen zu sein. Es sind kleine Details, charmant und bedeutsam.

Die Mauern um uns herum erzählen Geschichten. Zusammenhalt in harten Zeiten; Ausgelassenheit in guten Zeiten; Familienfreude und Streit liegen nebeneinander und klingen durch die Gassen. Schritte, Wehklagen und Freudengesang mit Tanz ergänzen die Bilder, welche zu leben beginnen. In das gespeicherte und verwahrte Leben vermischen sich die Bilder und Klänge der emsigen Filmtätigkeit. Mehr als zwanzig weltberühmte Filme fanden hier eine passende Kulisse - die Kasbah ist Hauptsitz der Mudschaheddin in Afghanistan, sie ist Austragungsort blutiger Gladiatorenkämpfe im alten Rom oder beherbergt eine gefährlich schöne Drachenmutter, lange nachdem Lawrence von Arabien oder Jesus von Nazareth weitergezogen sind.

Das verheerende Erdbeben in Marokko hat auch hier Spuren hinterlassen. Erstaunlicherweise nicht in den engen Gassen, sondern auf dem Hügel, dort, wo der Wehrturm einst stand. Er ist eingefallen, darf nicht mehr betreten werden. Die Überreste sollen nun schrittweise restauriert und wieder aufgebaut werden, erklärt unser einheimischer Führer. Die Bewohner der Kasbah haben sich an die vielen Touristen gewöhnt. Es ist eine neue Art Leben, die hier eingekehrt ist. Dennoch achten die Einheimischen darauf, dass die fremden Menschen keine Spuren hinterlassen. Die Stadt wirkt aufgeräumt und gepflegt. Für mein Auge ist es dennoch etwas fragwürdig, leicht bekleidete Touristinnen durch die Gassen schlendern zu sehen. Ein Fremdkörper, der so gar nicht in diese Welt passen will.

Plötzlich kommt bei meinem Besuch etwas Hektik auf. Es ist Sonnenuntergang - die Bewohner möchten möglichst schnell zu ihren Familien, denn nun wird gegessen und gebetet. Respektvoll verlasse ich die Kasbah und trotte über die Brücke zum modernen Stadtteil zurück.

 Respektvoll verlasse ich die Kasbah und trotte über die Brücke zum modernen Stadtteil zurück

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Zeit für einen Tee; © Bruno Heter, 2024

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