Atlas 2

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Nach den herrlichen und verjüngenden Tagen in Zagora und in der Wüste, nach der Seelenreinigung, gilt es, den Atlas ein zweites Mal zu überqueren, mit Ziel Marrakech. Die Fahrt ist anders; wehmütiger, trauriger. Da ist nur noch wenig Vorfreude aber viel Zurücklassen. Ich werde wiederkommen; so viel ist sicher.

Der Zeitpunkt für die Fahrt ist eher unglücklich gewählt. Am Ende des Ramadan haben viele Menschen ihre Verwandten, ihre Familien besucht. Morgen müssen sie alle wieder arbeiten - und folgedessen gibt es unglaublich viel Verkehr am Pass. Okay, ich relativiere hier mal: Unglaublich viel bedeutet in Marokko, dass man tatsächlich ab und zu ein anderes Auto vor oder hinter sich sehen kann und furchteinflössende fünf oder sogar sechs Autos in der Minute kreuzt! Rush Hour vom Schrecklichsten; Stress pur!

Dann - total unerwartet aber befürchtet: Stau. Vor dem ersten Dorf auf der Westseite des Passes stauen sich die Autos. Kein Durchkommen mehr. Der Grund ist schnell ermittelt: Barbecue! Endlich darf man wieder essen. Grund genug, entlang der Straße Lämmchen zu grillen und den vorbeifahrenden Menschen zu verkaufen. Vor jedem Gebäude steht ein Grill - die Autos halten und die Menschen kaufen Fleisch. Man parkt und geht essen. Wer bloß schnöde und langweilig durchfahren will, soll gefälligst warten.

Ich denke an die Schweiz. Man stelle sich das vor: Ostern am Gotthard - alle fünfzig Meter steht eine Fondühütte oder ein Racletteofen. Man schmilzt Käse, schneidet Brot und verkauft es den wartenden und genervten Staustehertouristen - eine Marktlücke! Natürlich müsste man auch Weißwein verkaufen. Das müsste man wiederum mit der Polizei besprechen und die resultierenden Gewinne auf beiden Seiten könnte man gerecht verteilen. Ich höre auf zu schreiben und werde Gotthardstauwarteschlangenkäseschmelzer!

Doch zurück in den Atlas. Auf der Passhöhe denke ich tatsächlich teilweise ans Wallis. Die Hänge auf der Westseite werden wieder grüner, vorbei scheint die endlose Trockenheit. Auf den höchsten Gipfeln kann man noch etwas Schnee erkennen. Im Winter muss das ein gewaltiger Anblick sein: Aus der Wüste auf die Schneeberge blicken, vor wolkenlosem Blau.

Ein weiteres Mal werden wir Zeuge einer vernünftigen Polizeipolitik. Unser Fahrer überholt ein Auto, das vor jeder Kurve bremst; leider hat es an dieser Stelle eine durchgezogene Linie und die Polizei hat ihn aus der Ferne beim Manöver beobachtet. Er wird angehalten, steigt aus - wir warten. Kurz darauf kommt Hisham lächelnd zurück, fährt weiter. Er erklärt uns, warum er keine Busse erhalten habe. "Wenn ich dauernd auf der Bremse stehen muss, werden diese heiß und das kann zu gefährlichen Situationen oder gar zu einem Unfall führen. Ich habe an einer übersichtlichen Stelle überholt, ohne jemanden zu gefährden. Der Langsamfahrer hingegen gefährdet alle Verkehrsteilnehmer. - Die Polizei hat ihn auch angehalten und die Busse wird er kriegen. Zudem bin ich Berufsfahrer und auf mein Fahrzeug und dessen Sicherheit angewiesen." Das soll noch einer verstehen. Marokko tickt anders.

Je näher wir der Stadt kommen, desto dichter wird der Verkehr. Die letzten Kilometer vor der Stadt sind wieder flach. Es hat einige kleine Ortschaften, die Häuser stehen dichter. Dann und wann entdecke ich ein buntes, meist in der Grundfarbe pinkfarbenes Haus, das mit vielen Figuren und Mustern bemalt ist. Das seien die Schulhäuser, erklärt Hisham mir. Damit die Kinder fröhlich zur Schule gehen, sind alle Schulhäuser in fröhlichen Farben bemalt. Meistens hätten die Schülerinnen und Schüler gar dabei geholfen, ihr Haus anzumalen. Das finde ich einen sehr schönen Gedanken und ich vergleiche es mit unseren kalten Betonbauten, wo sich vor allem Architekten verwirklichen dürfen.

Die zweite Fahrt über den Atlas hat erneut viele Eindrücke hinterlassen und war ein spannendes Abenteuer - vor allem für jemanden wie mich, der die Straße liebt.

Die zweite Fahrt über den Atlas hat erneut viele Eindrücke hinterlassen und war ein spannendes Abenteuer - vor allem für jemanden wie mich, der die Straße liebt

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Ein Laden für Touristen am Straßenrand; irgendwo im Atlas; © Bruno Heter, 2024

Ein Laden für Touristen am Straßenrand; irgendwo im Atlas; © Bruno Heter, 2024

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Verkehrsstau wegen Barbecue; © Bruno Heter, 2024

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