Kapitel 8

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Draußen, vor dem Fenster, saß eine tiefschwarze Krähe auf dem Sims. Es schien, als würde sie Jonael beobachten. Die dunklen Federn erinnerten ihn an Raven, an dessen wundervolle Schwingen. Bei diesem Gedanken begann er zu grinsen. Egal, was er tat, wo er auch war, mit wem er sich gerade unterhielt, nur eine Kleinigkeit, die ihn an seinen Gefährten erinnerte, reichte aus, um ihn abzulenken und sofort war sein ganzes Sein wieder auf Raven gerichtet.

Unglaublich, wie weit sie schon gekommen waren. Als er sich an ihr gemeinsames Bad zurückerinnerte, breitete sich auf seinem ganzen Körper eine wohlige Gänsehaut aus. Es war ihm schwer gefallen, ruhig zu bleiben, nicht mehr zu fordern, doch er spürte viel zu deutlich, wie viel Unsicherheit und tiefsitzende Ängste seinen Mann noch immer quälten und das wollte er unter keinen Umständen dadurch noch verschlimmern, das er sich nicht unter Kontrolle hatte und ihm zu nahe trat. Es war schon ein riesiger Schritt für Raven, von sich aus den Wunsch zu äußern, mit ihm zusammen zu baden, da sie in diesem Moment beide nackt wären und doch tat er es.

Jonael wusste, dass auch Raven sich nach mehr sehnte, dass ihn dieselben Sehnsüchte plagten wie ihn selbst, doch wenn sie es überstürzten, würden sie alles zerstören, was sich an Vertrauen zwischen ihnen schon aufgebaut hatte.

Darum würde er warten, die Führung voll und ganz Raven überlassen. Am Ende würde sich seine Geduld auszahlen, denn für Jonael gab es nichts Schöneres, als sich seine gemeinsame Zukunft mit Raven vorzustellen.

»Jonael, mein Junge, hörst du mir überhaupt zu?« Die belustigt klingende Stimme seiner Mutter holte ihn aus seinen Grübeleien ins Hier und Jetzt zurück.

Die Wärme stieg ihm ins Gesicht, als er sich ihr wieder zuwandte.

Über den Tisch hinweg sah sie an. Zwischen ihnen standen Gebäck und zwei dampfende Tassen mit fruchtigem Tee.

Weil Raven an diesem Nachmittag etwas mit seinem Bruder unternahm, beschloss er, seiner Mutter einen Besuch abzustatten.

»Ich...ja...ich meine...«, stammelte er schief grinsend.

Sofort erklang das glockenklare Lachen, das er von ihr kannte und liebte. Es berührte einen tief, brachte einem selbst in der dunkelsten Stunde ein wenig Freude.

»Schon gut, ich kann mir denken und es spüren, was dich so ablenkt oder besser gesagt, wer. Es ist so schön, dich so verliebt zu sehen. Deine Liebesenergie ist nun noch kraftvoller, noch reiner, als sie zuvor schon war. Geht es Raven denn ebenso?«

Lächelnd trank er einen Schluck des warmen Getränks und nickte.

»Ja, ich denke schon. In ihm sind so viele Mauern, die er bewusst und unbewusst im Laufe seines Lebens hochzog, um sich und seine Seele zu schützen. Diese tragen sich nur langsam ab. Er vertraut mir schon mehr, als ich es mir zu Beginn vorstellen konnte, doch bis er sich ganz öffnen kann, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Aber er liebt mich, das nehme ich ganz deutlich wahr.« Ein Gedanke drängte sich in seinem Verstand nach vorne, fast so, als wolle er, dass sich Jonael damit beschäftigte. »Aber es gibt etwas, das mich beschäftigt... .« Er ließ den Satz unvollendet, sah auf seine Hände.

»Du kannst mit mir über alles sprechen, das weißt du doch«, sagte sie liebevoll. Ja, das wusste er, doch das machte es für ihn nicht einfacher.

»Es geht um das Muttermal, das Zeichen, das zeigt, dass wir wahre Gefährten sind. Weder er noch ich besitzen dieses Merkmal. Ich weiß, dass wir trotzdem diese tiefe Verbindung haben können, zueinander gehören, doch ich dachte, weil die Anziehung, die Raven auf mich hat, so stark ist und die intensiven Gefühle, die er in mir auslöst, all das übertreffen, was ich jemals zuvor empfand, dass es mehr sein würde. So wie bei Alexian und Samael. Oder empfinde ich es nur so, weil ich durch das, was ich bin, alles, was mit Liebe zu tun hat, so deutlich spüre?«

The Tyrasar Chronicles II - HerzensruneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt