Kapitel 19

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Raven öffnete die Augen und blinzelte gegen die Helligkeit an, die ihn umgab. Immer deutlicher wurden die Umrisse, bis er erkannte, dass er sich in einem Zimmer innerhalb der Heileinrichtung befand.

Erinnerungen an das erste Mal, als er hier erwachte, stahlen sich in seinen Verstand.

Anders als damals fühlte er sich soweit gut, hatte keine Schmerzen, aber irgendwas stimmte trotzdem nicht, sonst wäre er nicht hier.

Neben ihm auf einem Stuhl zusammengesunken saß Jonael und schlief. Seine Hand umklammerte Ravens linke Hand und er spürte einen kontinuierlichen, wenn auch schwachen, Strom an reiner positiver Energie, die in ihn strömte. Selbst wenn er schlief, half er ihm, war für ihn da. Nach all den Jahren, in denen niemand außer Samael für ihn da war, fühlte sich diese Tatsache fast überwältigend an.

Während er seinen Gefährten betrachtete, kamen noch weitere Erinnerungen zurück. Er wusste wieder, was geschehen war.

Ein Nachhall dieser schier unermesslichen Kraft, die in ihm getobt hatte, konnte er noch immer wahrnehmen.

Dieses Mal war es anders als zu dem Zeitpunkt, als er die angreifenden Dämonen tötete. Er wollte beschützen, nicht töten, war erfüllt gewesen von diesem Gedanken, nichts anderes schien mehr einen Platz in seinem Verstand zu haben.

Raven wusste nicht, wieso er so handelte, konnte sich nicht erklären, weshalb es ihm so wichtig war, alle zu schützen, nicht nur die Engel, mit denen er unterwegs gewesen war.

Jonael bewegte sich etwas, schlief aber noch weiter.

Wenigstens war er in Sicherheit, wurde, wie es aussah, nicht verletzt. Ob es auch Samael und Alexian gut ging? Und Cebrail?

Sorge um die, die ihm so nahe waren, flutete ihn regelrecht. Er fühlte sich überfordert, konnte kaum damit umgehen und fühlte sich fast so hilflos wie zu seiner Anfangszeit in Malaikat, als ihn vieles recht schnell aus der Bahn werfen konnte.

Bevor er sich jedoch in diesen Empfindungen verlieren konnte, spürte er, wie sich etwas um seine Seele legte. Es war Jonael, der ihn abschirmte, nicht zuließ, dass er sich an seine Panik verlor.

Als er zu seinem Gefährten sah, schlug dieser gerade die Augen auf und blickte ihn unter halb geöffneten Lidern an.

»Hey...«, stieß er rau hervor.

»Hey...«, erwiderte Raven, schenkte seinem Liebsten ein Lächeln.

»Du hast mich ganz schön erschreckt. Für einen schrecklichen Moment dachte ich, dass du mir entgleitest, denn da war wieder das Gefühl, dass mich etwas von dir auf der gefühlsmäßigen Ebene trennen würde, was aber schneller wieder verschwand.« Er richtete sich auf und griff nach Ravens Hand, die auf der weißen Bettdecke lag. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie unglaublich glücklich ich bin, dass du wieder wach bist und es dir gut geht.« Langsam hob er ihre miteinander verbundenen Hände an und hauchte einen Kuss auf Ravens Handrücken.

»Doch, ich nehme es wahr. Ich verstehe deine Sorge, mir würde es nicht anders ergehen, wenn es sich um dich handelte. Aber du sollst nicht ständig in Angst leben. Ich bin hier, bei dir, das ist der einzige Ort, an dem ich sein möchte.« Er drückte Jonaels Hand. »Ich werde alles geben, euch bei der Suche, so gut wie ich es vermag, unterstützen, denn das, was mit mir geschieht, nimmt Ausmaße an, die so überwältigend sind, dass ich beginne, an mir, meiner Herkunft, einfach an allem außer dir zu zweifeln. Das fühlt sich nicht gut an.«

Sein Gefährte erhob sich und setzte sich neben ihn aufs Bett, legte den Arm um ihn.

»Wir werden sicher bald herausfinden, weshalb all das geschieht. Seit sie dich hierher brachten, sind Cebrail und meine Mutter in der großen Bibliothek. Du weißt ja, dass auch dort viele Schriften stehen, die nur meiner Mutter und einigen wenigen anderen zugänglich sind.« Sanft hauchte Jonael ihm einen Kuss auf die Schläfe. »Seit ich denken kann, war meine Mutter noch nie so besorgt. Shekinah liebt dich fast ebenso sehr wie ich und hat Angst um dich. Die beiden werden Berge versetzen, wenn es nötig ist. Sie sind, wie alle hier, dankbar, dass dein Schild nun dieses Reich vollkommen schützt, nur Engel es ohne Probleme passieren können, mit Ausnahme von Samael, der hat es versucht und gelangte ohne Schwierigkeiten hinaus und wieder hinein, was wohl damit zusammenhängt, das ihr Brüder seid und das Schild ihn erkennt, aber sie wollen dir ebenso sehr helfen wie ich, denn du bist Teil dieser Familie, das wird sich niemals ändern.«

The Tyrasar Chronicles II - HerzensruneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt