Kapitel 9

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Als Raven die Treppe hinunterlief, hörte er die Stimmen von Alexian und seinem Bruder Samael.

Er hielt inne, atmete tief durch. Wie würden die beiden auf ihn reagieren? Würden sie ihn möglicherweise anders ansehen, als zuvor? War es möglich, dass sie sich sogar vor ihm fürchteten, nachdem sich irgendetwas in ihm verändert hatte? Jonael sagte ihm zwar, dass weder er noch ein anderer ihn deswegen ablehnten, doch die Sorge blieb?

Hier war doch nun sein Zuhause und er wollte dieses nicht wieder verlieren. Vor allem wollte er nicht, dass sein Gefährte oder die Freunde, die er bis jetzt fand, sich von ihm abwenden würden. Oh man, Gefühle zu haben war das eine, doch sie zuzulassen und mit ihnen fertig zu werden, eine ganz andere. Raven wusste, dass er etwas, das so lange Zeit kein Teil seines Lebens sein durfte, nicht von heute auf morgen verstehen und handhaben konnte, egal wie sehr er es auch wollte.

Zögerlich setzte er einen Schritt vor den anderen und betrat kurz darauf den Küchenbereich, in dem sein Bruder und sein Schwager saßen und sich gerade leidenschaftlich küssten.

Grinsend stand er eine ganze Weile da, bis Samael den Kuss löste, den Kopf hob und ihn mit vollkommen verzücktem Gesichtsausdruck ansah.

»Guten Morgen, ihr beiden«, stieß er amüsiert hervor und ließ sich auf einem Stuhl nieder, der den beiden gegenüberstand.

»Dir auch einen guten Morgen, kleiner Bruder.«

Ravens Blick wanderte zu Alexian, musterte ihn, um zu sehen, ob es ihm tatsächlich gut ging.

»Wie...wie fühlst du dich?«, fragte er leise.

»Ich fühle mich ausgezeichnet. Es ist, als wäre nie etwas gewesen. Wie die Heilerin sagte, ich bin kerngesund. Dank dir.« Das Lächeln, das Alexian ihm nun schenkte, war ehrlich, spiegelte die Dankbarkeit wider, die der Engelskrieger empfand.

»Das ist gut. Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie ich das bewerkstelligen konnte.« Seufzend sah er auf seine Hände. »Es macht mir Angst, ich will mich nicht verändern, ich möchte doch nur ich selbst sein. Jonael sagt, dass er in mir nichts Schlechtes wahrnehmen kann, doch was ist, wenn es doch ins Negative abdriftet, wenn ich für euch, für alle hier, eine Bedrohung werde?«

Samael, der zuvor auf dem Schoß seines Gefährten gesessen hatte, stand auf, kam um den Tisch zu ihm herum und kniete sich dann vor ihn. Sanft nahm er Ravens Hände in seine, sah ihn in der durchdringenden Art und Weise an, wie er es seit jeher tat, wenn er ihm etwas mitteilte, das ihm wichtig war.

»Hab Vertrauen in dich selbst und die Leute um dich herum. Jonaels Urteil kannst du vertrauen. Wenn er sagt, dass von dir nichts Böses ausgeht, dass du keine Gefahr bist, dann glaube ich ihm das ohne Zweifel. Wie könntest du auch mehr Schlechtes in dir haben, als jeder einzelne Engel hier?! Du hast das Leben zweier Kinder gerettet und nun das meines Gefährten. Nicht eine Sekunde hast du darüber nachgedacht, hast gehandelt, weil du helfen wolltest. Wie genau das alles passiert, das werden wir herausfinden, aber ich glaube nicht, dass du dir Sorgen machen musst. Für mich bist und bleibst du mein kleiner Bruder, den ich liebe und dem ich diese Zuneigung jetzt auch zeigen kann. Egal was auch kommt, niemand wird an meinen Gefühlen für dich etwas ändern.« Er zog Raven eng an sich, schloss ihn in eine Umarmung, die ihm fast den Atem raubte. Ohne zu zögern, schmiegte er sich an den Mann vor sich. Schon immer war dieser derjenige, dem Raven bedingungslos vertraute. Egal wie schwach er sich ihm gegenüber auch zeigte, nicht einmal machte er es ihm zum Vorwurf oder gab diese Information an ihren Erzeuger weiter, der ihn dafür bestraft hätte.

»Ich kann deinem Bruder nur recht geben. Du und Samael habt zwar einen Vater, der für all das Schlechte steht, der über euch und vielen anderen unermessliches Leid brachte, aber ihr seid nicht wie er. Eure Herzen sind gut, ihr wisst, was richtig und was falsch ist. Du hast gelitten und somit jedes Recht zu hassen, doch das tust du nicht, zumindest niemand anderen als Leviathan, der diesen Hass auch mehr als verdient hat. Anstatt so zu werden wie der, der Samael und dich zeugte, bist du das genaue Gegenteil und das ist etwas, das mich mit großer Freude erfüllt. Jonael hat jemanden wie dich verdient. Raven, du bist eine Bereicherung für Malaikat und alle, die dich kennenlernen.«

The Tyrasar Chronicles II - HerzensruneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt