Kapitel 2

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Eilig quetschte ich mich zwischen Phillip und Mara, die in sicherer Entfernung zur Theke auf uns gewartet hatten. Annika gesellte sich zu ihrem Freund und stand mir gegenüber. Ich versuchte mich auf die Gespräche der anderen zu konzentrieren, aber diese Frau aus meinen Gedanken zu verjagen, gestaltete sich noch genauso schwer, wie damals zu Schulzeiten. Was tat sie hier? „Willst du auch mitkommen?", riss Marco mich aus meinen Gedanken und ich blickte ihn entschuldigend an. „Was hast du gefragt?", kleinlaut trank ich etwas von meinem Getränk, dennoch entging mir nicht, wie Annika mich scharf musterte. Ich sah die Frage in ihrem Gesicht prangen, den Tadel darin. Meine Fingernägel kratzten unsanft über die Innenseite meines Unterarms, um mich abzulenken und zu erden. Genau wie früher. „Willst du auch mit zu dem Konzert von Bene?", ach, der besagte Kollege aus seinem Studiengang, der mit seiner Band die ersten größeren Konzerte gab. Ich wandte mich meinem Freund zu, der leicht nickte – ohne ihn würde ich dort sicherlich nicht hingehen. Ich kannte diese Art von Konzerten, Moshpits gehörten genauso dazu wie Bierduschen, allein kriegte mich dort niemand hin. „Na klar, wir sind dabei", sagte ich also und Marco nickte zufrieden. „Sehr cool, da wird er sich freuen. Das Konzert ist jetzt in Osnabrück, sie haben die Location hochgestuft", erzählte er und das Gespräch steuerte wieder sanftere Gefilde an. Krampfhaft versuchte ich dem Gespräch zu folgen, meine Konzentration von der Person abzulenken, die Jahrelang meine Gedanken eingenommen hatte. Jahrelang hatte ich von morgens bis abends an niemand anderes als Frau Sander gedacht. Zu wissen, dass sie hier irgendwo auf dem Gelände rumlief, machte mich nervös. Ich hatte sie hier noch nie zuvor gesehen, auch wenn ich wusste, sie wohnte nicht allzu weit von hier entfernt. Falls dem noch so war. „Wir können zusammenfahren", Phillips Stimme drängte sich in mein Bewusstsein und ich ergriff seinen Arm, um mich bei ihm anzulehnen. Lächelnd betrachtete er mich und hauchte einen Kuss auf meinen Kopf, sein Dreitagebart kratzte dabei leicht über meine Haut, hinterließ ein angenehmes Kribbeln und brachte die nötige Ablenkung mit sich, die ich so sehr brauchte.

Wenig später tanzte ich mir jegliches Gefühl aus dem Leib, fegte meinen Kopf frei von allem, was ihn bis eben noch eingenommen hatte. Ich schmettere jeden Versuch von Annika ab, über Frau Sander zu reden. Ich wollte nicht über sie reden. Nicht an sie denken. Das hatte ich viel zu lange, mit ungesunden Tendenzen inklusive. Wie konnte sie jetzt hier auftauchen, wo ich endlich angekommen war? Grummelnd bewegte ich mich zum Beat, ließ die Musik meinen Körper kontrollieren, schwang meine Hüften und beobachtete, wie Phillip gemeinsam mit Marco weiter nach vorne ging. Diese Bassjunkies. Grinsend ergriff Annika meine Hände, drehte sich in meinen Armen und jubelte als der DJ die Melodie von „Gimme Gimme Gimme" in sein Set einfließen ließ. Nun wurde auch ich ausgelassener, schloss die Augen und verlor mich im Hier und Jetzt. Hauchfeiner, weißer Nebel wurde aus den Nebelmaschinen gepresst, ließ die Lichtkegel endlich ihre Form annehmen und hauchte der Veranstaltung ein Stück mehr Magie ein. Elena und Mara warfen ihre Hände in die Luft und Annika bewegte sich auf die Jungs zu, die im Nebel fast vollständig verschwunden waren. Ich stieß gegen jemanden, entschuldigte mich und blickte kurz darauf in grasgrüne Augen. Michelle Sander lächelte mich an, tanzte neben und hinter mir, als wäre es nicht absurd, dass sie ausgerechnet neben mir das Tanzbein schwang. 10 Jahre später und sie wusste noch immer, wie sie mich zur Weißglut treiben konnte. Ich brachte keinen Ton heraus, doch auch sie machte keine Anstalten das Wort an mich zu richten. Trotzdem kam ich nicht umher, ihre Gruppe zu begutachten, die aus vier Leuten bestand. Eine Frau mit blondem, welligem Haar tanzte mit einem Mann, der bereits eine Glatze bekam, während der andere Mann, sportlich und gutaussehend, seine Hände an Frau Sanders Hüfte legte. Kurz glaubte ich etwas in ihrem Gesicht lesen zu können, etwas wie Besorgnis und Reue, doch es verschwand genauso schnell, wie es gekommen war. Ich schluckte jede Emotion in mir herunter, drehte mich wieder um und spürte, wie sich ihr Rücken gegen meinen schmiegte. Wut knabberte an mir, erhitzte mein Innerstes und brachte ein ungutes Gefühl mit sich, welches ich zuletzt auf meinem Abiball verspürt hatte. Ich versuchte mich von ihr zu entfernen, kämpfte gegen den Drang an, ihr nah sein zu wollen, das Gespräch mit ihr zu suchen. Ein Kloß nistete sich in meinem Hals ein, nahm mir fast die Luft zum Atmen und ich wusste genau, dass ich sofort hier wegmusste. Ich fühlte mich wieder wie 18 – jung, dumm und hoffnungslos verliebt. Ich sah weder Annika noch den Rest der Truppe, weshalb ich von der Tanzfläche stürmte, ziellos Richtung Waldrand, fort aus den Fängen dieser Frau.

Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt