Kapitel 8

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„Ich schwöre es dir, ich war hier noch nie!", verteidigte ich mich und warf die Hände in die Luft, „Wenn ich es dir doch sage!" „Ich kann es einfach nicht glauben", Michelle rempelte mich leicht mit ihrer Schulter an und deutete nach rechts und links, „Wie kann man diese schöne Stadt nicht auf dem Schirm haben? Vor allem ist sie gar nicht weit von uns." „Ich weiß es nicht", ich lachte bereits aus tiefstem Herzen und spürte jeden Muskel in meinem Bauch, „Und jetzt hör auf, mich damit aufzuziehen. Ich werde auch noch eine Stadt finden, die du noch nicht besucht hast." „Die Wette gilt", schoss sie mir entgegen und beim Gehen streifte ihre Hand die meine. Wir nahmen wieder etwas Abstand zueinander und ich dachte an die Autofahrt hierher zurück.

„Ich kann auch fahren!", sagte ich bereits zum Dritten Mal, doch Michelle bugsierte mich bereits zu ihrem Auto, „Ich hätte misstrauisch werden sollen, als du dich bei einem Park & Ride Parkplatz mit mir treffen wolltest. Willst du mich entführen oder so?" Der Schalk glitzerte in den Augen meiner ehemaligen Lehrerin: „Würde ich es dir sagen, wenn es so wäre?" Das Lächeln auf ihrem Gesicht wirkte so ehrlich, so pur, es gehörte zu meinen Liebsten Arten ihres Lächelns. Ich hatte mittlerweile verschiedene Arten des Lächelns bei ihr entdeckt, kategorisiert nach Emotion und Moment. Dieses war eines der Schönsten. „Vermutlich nicht, was? Verrätst du mir wenigstens, wohin wir fahren?", hakte ich nach, doch sie schüttelte bereits den Kopf. „Dann wäre es keine Überraschung mehr", konterte sie und hielt mir die Beifahrertür ihres Minis auf, „Und jetzt rein mit dir, wir fahren gut eine Stunde." „Eine Stunde?", quiekte ich, da schloss sich bereits die Tür ihres Autos. Michelle plumpste neben mir auf ihren Sitz und machte sich an ihrem Gurt zu schaffen, ich machte es ihr nach und erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir noch nie auf so einem engen Raum miteinander Zeit verbracht hatten – und jetzt musste ich es gleich eine Stunde mit ihr aushalten. Ihr ganzes Auto roch nach ihr, der Duft setzte sich in meiner Nase fest und umklammerte jedes Erlebnis, das ich mit ihr geteilt hatte. Aus der Vergangenheit und Gegenwart, benetzt mit ihrem Geruch. „Bereit?", Michelle ließ den Motor an, warf mir einen verschwörerischen Blick zu und fuhr los Richtung Autobahn.

„Möchtest du lieber die Stadtroute, oder die naturverbundene Route ausprobieren?", Michelle blickte mich fragend an und ich zuckte mit den Achseln. „Wolltest du nicht zu einer bestimmten Location?", gab ich zurück, um mich vor einer Entscheidung zu drücken. „Beide Wege führen nach Rom", erwiderte sie grinsend und ich stöhnte gespielt auf. Nun grinste sie noch breiter, stieß mich wieder an und murmelte: „Na, nerve ich dich schon?" „Niemals", rutschte es mir raus und ich mied ihren Blick, aus Angst, was ich darin sehen würde. „Dann ist ja gut", ihre Stimme war eine Nuance tiefer geworden und bescherte mir einen wohligen Schauer, „Lass uns die Naturroute nehmen, ist bei dem Wetter angenehmer." Nickend folgte ich ihr und sog die Umgebung auf. Münster war eine schöne Stadt, das musste ich ihr lassen. Überall wimmelte es nur vor Cafés, Studenten und Fahrrädern. Trotzdem war es nicht zu viel Stadt, Natur durchzog die gefüllten Straßen und Parks tauchten immer da auf, wo ich nicht damit rechnete. Was ich jedoch eindeutig feststellen konnte, dass es hier nur so von Zweirädern wimmelte.
„Ein Wunder, dass wir hier mit dem Auto anreisen konnten", witzelte ich und Michelle zog eine Braue nach oben. „War das etwa ein Witz?", stichelte sie mich und nun war ich diejenige, die seicht gegen die Schulter meiner Begleitung stieß. „Machst du etwa Witze über mich?", ich schürzte gespielt beleidigt meine Unterlippe und der Blick von Michelle verfing sich an meinen Lippen. Ihre Augen verdunkelten sich für den Bruchteil einer Sekunde, doch bereits wenige Sekunden später war der Ausdruck verschwunden und ich fragte mich, ob ich es mir nur eingebildet hatte. „Das würde ich niemals tun", wiederholte sie meine Worte und deutete nach rechts, „Da entlang." Während wir die ersten fünf Minuten schweigend verbrachten, die Ruhe genossen, reichte sie mir nun einen Becher und holte einen Wein aus ihrem Rucksack hervor. „Ich habe Wein mit und ohne Alkohol dabei, was präferierst du?", fragte sie mich und ungläubig schaute ich in ihre Tasche. „Du hast die ganze Zeit die zwei Flaschen mit dir rumgeschleppt? Wir hätten uns abwechseln können!", beschwerte ich mich und deutete auf die Flasche mit Alkohol, „Lass uns hiermit starten." „Eine gute Wahl, Lea", lobte sie mich schmunzelnd und benetzte ihre Lippen mit der Zunge, „Du vergisst eins dabei, ich bin Sportlehrerin. Ich halte zwei Flaschen Wein auf dem Rücken aus." Fast erwartete ich, sie würde mir die Zunge rausstrecken, doch als es nicht geschah, machte ich eine Grimasse. „Das vergesse ich nicht", grummelte ich, da ihr schneller Schritt mir zu schaffen machte, „Wie könnte ich." Michelle Sander musterte mich eingehend, schüttete mir etwas Wein ein und stieß mit mir an: „Auf unsere kleine Tour! Aber Lea? Wenn ich Dinge sage, die dich verletzen oder aufwühlen, sagst du mir das, ja?" Sorgenfalten gruben sich in ihr Gesicht und es berührte mich, wie besorgt sie um mich war. „Na klar", ich nahm einen Schluck von dem Wein und blickte zurück nach vorne, ich wollte nicht über meine Gefühle reden. Weder über meine damaligen noch über das, was heute los war.

Wir waren seit einer Stunde unterwegs und machten endlich unsere erste Rast, Michelle hatte an alles gedacht und ein Rundum-Sorglospaket eingepackt. Gerade snackten wir einen Apfel, den sie frisch aufgeschnitten hatte, da vibrierte mein Handy zum wiederholten Male. „Es könnte dringend sein", sagte ich entschuldigend und warf einen Blick auf mein Handy. „Schon okay, dann checke ich auch kurz die Lage", sie holte ebenfalls ihr Handy hervor und für einige Minuten, verloren wir uns in der digitalen Welt.

Anni, 14:08 Uhr
Bitte verlier dich nicht in diesem Treffen. Ich weiß, du freust dich darauf, ich kenne dich. Aber sie ist und bleibt die Frau, die dir dein Herz herausgerissen hat.

Lea, 15:19 Uhr
Mach dir nicht immer so viele Sorgen, wir verbringen nur etwas Zeit miteinander...und als ob ich das jemals vergessen könnte.

Anni, 15:19 Uhr
Ich meine ja nur, ich will dich nicht wieder vom Boden auflesen.

Lea, 15:20 Uhr
Das wird nicht passieren, versprochen.

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Phillip, 13:29 Uhr
Viel Spaß dir, melde dich, wenn du angekommen bist.

14:11 Uhr
Hallo? Antwortest du mir auch noch. Geht es dir gut?
Lea?

14:30 Uhr
Das ist nicht witzig, Lea. Melde dich, sobald du das hier liest.

Lea, 15:15 Uhr
Es tut mir leid, ich habe erst jetzt aufs Handy geschaut. Mir geht es gut und wir sind in Münster angekommen. Hier müssen wir mal unbedingt gemeinsam hin.

Phillip, 15:20 Uhr
Ok

Lea, 15:20 Uhr
Es tut mir leid, Phil. Wirklich. Ich mache es wieder gut, versprochen.

Seufzend verstaute ich mein Handy im Rucksack, schon jetzt war mir nicht wohl bei dem Gedanken, später eine Diskussion mit Phillip führen zu müssen. Er machte sich berechtigterweise Sorgen, keine Frage, aber so war ich auch nicht bei ihm, wenn er mal unterwegs war. „Du wirkst angefressen, hast du keinen Spaß?", in Michelles Stimme schwang eine Unsicherheit mit, die mich jedes vorige Gespräch vergessen ließ. „Doch, es ist toll hier", erwiderte ich. „Aber?", Michelle stützte ihren Kopf auf ihrer Hand auf und betrachtete mich mit leuchtenden, grünen Augen. „Kein Aber, ich glaube nur, Phil ist sauer auf mich. Ich habe vergessen ihm zu schreiben, dass wir angekommen sind", erklärte ich und fühlte mich dabei wie ein kleines Kind. „Oh", entfuhr es ihr, „Aber ich meine, es ist ja alles in Ordnung, er muss sich keine Sorgen machen. Ich bin eine verantwortungsvolle Fahrerin und..." „Daran liegt es nicht, glaube ich zumindest", unterbrach ich sie, „Ich glaube, er ist einfach eifersüchtig." „Oooooh", Erkenntnis blitzte über ihr Gesicht und für eine Sekunde erfasste mich die Angst, sie könnte mich wieder aus ihren Gedanken ausschließen, „Das braucht er doch nicht sein." Sie versuchte es gut zu verschleiern, aber ich hörte die Frage in ihren Worten heraus und stimmte ihr zu. Ob es sie beruhigte oder genau das Gegenteil bewirkte, konnte ich nicht abschätzen, doch unser Gespräch das Phillip betraf, war an dieser Stelle beendet. „Wir sollten weiter", Michelle stemmte sich nach oben, schulterte ihren Rucksack und hielt mir ihre Hand entgegen, „Ich helfe dir." Zögerlich nahm ich ihr Angebot an, fühlte ihre weiche Haut unter meinen Fingern und griff fester zu. Mit einem Ruck zog sie mich nach oben und katapultierte mich regelrecht gegen sich. „Tschuldige", nuschelte sie verlegen und nahm Abstand. Ich brachte kein Wort heraus, denn der plötzliche und intensive Körperkontakt hatte mich komplett aus dem Konzept gebracht. Schweigend folgte ich Frau Sander, lauschte den Vögeln, dem Bach, der neben uns verlief und ab und an begegneten wir anderen Menschen, die ebenfalls die Natur genossen.


Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt