Kapitel 17

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Aufgeregt strich ich mein rotes Kleid glatt, warf einen prüfenden Blick in den Spiegel und drehte mich einmal um die eigene Achse. Meine Clutch lag noch auf der Kommode und als es klingelte, schnappte ich mir diese, eine Jacke und drückte auf den Buzzer. Ich hörte Schritte im Treppenhaus, die nicht die Lautstärke meines pochenden Herzens übertönen konnten und Nervosität ergriff mich. Gleich würde ich ihr wieder gegenüberstehen und hatte erneut keine Ahnung, wohin es ging. Ich sollte mich schick anziehen und um 18 Uhr bereit sein – das war ich, bereits seit einer Stunde. Die Schritte verhallten und ich öffnete langsam die Tür. Der Anblick, der sich mir bot, drehte mir den Magen um, die Schmetterlinge in meinem Bauch stoben nach oben und ich hatte Mühe mich auf den Beinen zu halten. Michelles braune Haaren lockten sich über ihren Brüsten, umspielten neckend ihr Gesicht. Dunkler Lippenstift färbte ihre Lippen, leichte Röte ihre Wangen. Ich erkannte grün schimmernden Lidschatten, der die Farbe ihrer Augen umso mehr betonte. Sie trug ein schwarzes, bodentiefes Kleid, das sich eng an ihren durchtrainierten Körper schmiegte, dazu hohe Schuhe. Michelle überragte mich sowieso schon, aber jetzt war sie noch größer und ich bereute meine Schuhwahl. Ich hätte doch die hohen Pfennigabsätze anziehen sollen, doch jetzt gerade wollte ich nichts mehr an meinem Outfit ändern. „Wow", purzelte es mir über die Lippen und ich scannte sie von oben bis unten, „Gut siehst du aus." Noch nie zuvor hatte ich Michelle erröten sehen, sie schaute sogar leicht verlegen drein. „Das kann ich nur zurückgeben", raunte sie mir zu und machte einen Schritt auf mich zu, „Bezaubernd ist wohl das richtige Wort." Ihre Hand glitt an meinem Arm hinab, Unsicherheit machte sich zwischen uns breit, da wir seit Rheinbeats weder gesprochen noch uns gesehen hatten. Es waren zwar erst vier Tage vergangen, hatten sich dennoch wie eine Ewigkeit angefühlt. Vor allem weil niemand genau wusste, woran er wirklich war. Ich hatte es einfach genießen wollen, dieses unglaubliche Gefühl, allerdings hatte ich mich trotzdem gefragt, ob sie nicht mehr mit Ben zusammen war. „Übertreib mal nicht", flüsterte ich und meine Hand griff wie selbstverständlich nach ihrer. Ihr Kehlkopf hüpfte auf und ab, dann lächelte sie verwegen: „Es ist nur die Wahrheit." Ein sanfter Laut entwich mir und Michelles Hand umgriff mich ein wenig fester: „Bist du bereit?" „Bereit", bejahte ich ihre Frage, „Und du verrätst mir wieder nicht, wohin es geht?" „Nope", das P ließ sie durch ihre vollen Lippen poppen, „Das wird eine Überraschung." Sie hielt meine Hand fest, als ob ich sie jemals loslassen würde. Wir stiegen in ein Taxi und die Fahrt ging los.

„Liebe Abiturienten, Liebe Abiturientinnen, endlich ist es so weit. Die Zeugnisse halten Sie bereits in Ihren Händen, nun folgt ein hoffentlich rauschendes Fest, um Ihren Abschluss zu besiegeln. Das Buffet ist eröffnet!" Unsere Direktorin verließ das Rednerpult und machte der hungrigen Meute Platz, die Richtung Buffet stromerte. Anni und ich gingen gerade die Treppen hinab, da kamen uns bereits die ersten Gäste mit voll bepackten Tellern entgegen. „Wie haben die das nur so schnell geschafft?", fragte mich Anni und ich schüttelte überfragt den Kopf. „Vielleicht haben sie schon vor dem Buffet gelauert", lachte ich und zog sie um die Ecke, wo uns eine lange Schlange erwartete, „Oh Mann, dabei habe ich so einen Hunger." „Da sagst du was. Ich habe den ganzen Tag vor Aufregung nichts gegessen", meckerte Anni und strich über ihr blaues Kleid, „Nur damit ich in diesem verdammten Kleid gut aussehe." „Ich glaube kaum, dass das nötig gewesen wäre", erklärte ich und ließ meinen Blick über die Schlange schleifen, „Obwohl, vielleicht passt dafür gleich umso mehr in deinen Magen." „Oder auch nicht", zweifelte Anni ihre Aktion an, „Vielleicht kriege ich auch nichts runter, oder mir wird schlecht vor lauter Essen." „Hoffen wir mal nicht", sagte ich und entdeckte Frau Sander neben unserem Biologielehrer. Sie trug ein schwarzes, knielanges Kleid, ihre Haare lockten sich bis über ihre Schulter hinweg und die Adern an ihren Unterarmen waren mehr als deutlich zu sehen. Ob sie kurz vorher noch Sport gemacht hatte? Sie lachte über etwas, was Herr Meier gerade erzählte und ich spürte einen kleinen Stich in meinem Herzen. Ich hasste es, so zu empfinden und konnte doch nichts dagegen tun. „Erde an Lea", meine beste Freundin wedelte vor meinem Gesicht umher und folgte meinem Blick, „Oh, sie hat dich also so abgelenkt. Sie hat sich aufgebrezelt, nicht wahr?" „Hm", murmelte ich und wandte den Blick von ihr ab, „Das hat sie."

Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt