Kapitel 13

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Einen Monat nach unserer Trennung, ging ich endlich wieder aus. Die Tränen waren getrocknet und ich war es leid, im Selbstmitleid zu ertrinken. Gemeinsam mit Anni, Yvi und Elena machten wir das Nachtleben unserer Stadt unsicher. „Kommt, lasst uns doch mal in eine andere Bar gehen!", schlug Anni vor und wackelte mit den Augenbrauen, „Ich kann das 365 nicht mehr sehen." „Ich bin dabei, hast du einen Vorschlag, wohin es anstatt hingehen soll?", fragte Yvi, die am liebsten jeden Tag eine andere Location ausprobierte. Ob ich wollte oder nicht, dachte ich unweigerlich an den Tag mit Michelle in Münster zurück. Die Location würde mir jetzt am meisten zusagen, aber vermutlich auch mit ihr als Begleitung. Seufzend blickte ich auf mein Handy, welches seit Wochen unheimlich still geworden war. Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, Michelle zu schreiben, aus Angst, was es mit mir machen könnte. Zudem war ich mir sicher, sie würde sauer sein, wenn ich sie nach Wochen der Ignoranz, einfach wieder anschreiben würde. Trotzdem schwebte mein Finger über unseren Chat, der immerhin nicht mehr unter den archivierten Chats schlummerte, doch ich sperrte meinen Bildschirm, ohne ihr zu schreiben. „Klingt das Caesar's auch gut für dich?", hakte Elena nach, die mich immer noch behutsam behandelte. „Klar, ich habe von Mira nur Gutes über die Bar gehört", stimmte ich zu und wir bogen rechts ab, anstatt die linke Abzweigung zu nehmen.

Ich spürte den Alkohol bereits durch meine Adern pumpen und hakte mich bei Anni unter. Keine zehn Minuten später kehrten wir im Caesar's ein, hier traf moderne Einrichtung auf abgerockte Vintage-Möbel, was der Bar einen ganz eigenen Vibe verlieh. Rote Loungemöbel aus Leder umrandeten in jeder Ecke einen alten Holztisch, dessen Tischplatte aus Vinylplatten bestand. Die anderen Tische waren mit Zeitungen beklebt, während die Sitzflächen der Holzstühle mit rotem Leder bezogen waren. Das ganze Konzept war stimmig und ich fühlte mich direkt wohl. Mein Blick glitt hinüber zur Bar, die von oben bis unten mit Knallbunten Flaschen ausgeschmückt war. In manchen leuchteten LEDs auf, die ein schummriges Licht auf die umwerfenden Flaschen warfen. Die Barkeeperin war voll mit Tattoos, ihre schwarzen, langen Haare trug sie zum Dutt und gerade, als ich sie beobachtete, vollführte sie kunstvolle Drehungen mit Flaschen und Gläsern. Über ihr hingen ebenfalls Schallplatten, mal in klein und mal in groß, alles Platten aus dem Genre Rock, Metal und Pop. Die meisten Tische waren besetzt, ich entdeckte nur noch drei freie Tische, auf die ich deutete: „Da hinten sieht es gut aus."
Gemeinsam bahnten wir uns einen Weg durch die Bar, wurden unterwegs von einem Kellner begrüßt, der uns bereits zusagte, gleich zu uns zu kommen. Ich ließ mich auf die Lederlounge fallen, die meinen Körper auf und ab federte, bis ich zum Stillstand kam. Ich rückte durch, damit auch Anni auf der Bank Platz nehmen konnte. An den Wänden hingen alte Poster in Bilderrahmen und generell war es sehr dunkel in der Bar, da die Wände schwarz gestrichen waren. „Der Stil gefällt mir total", raunte Yvi, die mir aus der Seele sprach. „Ich kann dir nur zustimmen", erwiderte ich und bestaunte das weitere Interieur. Wir hatten uns gerade von unseren Jacken und Taschen befreit, da erhielten wir bereits die Getränkekarten, wo wir schnell fündig wurden. Ich bestellte mir einen Gin&Roll – denn heute wollte ich nicht mehr über irgendetwas nachdenken.

„Wenn ich es dir doch sage!", lachte Anni, die Elenas Ratlosigkeit zum Lachen fand, „Frag Lea, sie war dabei!" „Jep", sagte ich nur und nippte an meinem zweiten Getränk. „Unglaublich, das hätte ich Marco gar nicht zugetraut!", sagte Elena und ich fischte mein Handy hervor, da ich gerade nicht weiter über den bevorstehenden Umzug von Marco und Anni nachdenken wollte, bei dem ich ganz sicher auch auf Phillip treffen würde. Wieder scrollte ich durch mein Handy, keine Nachricht von irgendwem, keine Benachrichtigung von Instagram - enttäuscht landete ich wieder im Chat mit Michelle. Meine Wangen glühten von der Wärme in der Bar und auch der Alkohol befeuerte meine innere Hitze, sie hielt mich aber nicht davon ab, die ersten Worte seit Wochen an Michelle zu tippen.

Lea, 21:19 Uhr:
Es tut mir leid. Einfach alles.

Bevor ich mir überlegen konnte, die Nachricht wieder zu löschen, steckte ich das Handy in meine Handtasche und konzentrierte mich wieder auf das Gespräch vor meiner Nase. Yvi war meine Ablenkung allerdings nicht entgangen, sie lehnte sie zu mir und fragte: „Wem hast du geschrieben?" „Niemanden", flüsterte ich ihr zu, „Und jetzt frag mich bitte nicht weiter." „Oh", ihre Augenbrauen wanderten nach oben, „Verstehe." Ein wissendes Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie drückte kurz meine Hand, dann klinkte sie sich ebenfalls wieder ins Gespräch ein. „Also sucht ihr jetzt nach Wohnungen auf der Hälfte der Strecke?", fragte Elena und innerlich verdrehte ich die Augen. Das Thema wurde bereits seit einer Stunde ausgiebig diskutiert und ich gönnte es meiner besten Freundin, aber gerade wollte ich Spaß haben, abschalten und nicht über den bevorstehenden Umzug nachdenken. Ich würde sie weniger sehen und unweigerlich öfters auf Phillip treffen, von dem ich seit über einem Monat nichts mehr gehört hatte. Von Anni und Marco wusste ich, wo er untergekommen war, mehr allerdings nicht. Phillip kapselte sich laut Marco vollkommen ab, was ihm nicht ähnlichsah. Ich exte mein Glas, als es um die Umzugshelfer ging und spürte meine Kehle brennen. Ich brauchte frische Luft, ein Wasser, einen Szenenwechsel. „Ich hole mir kurz ein Wasser. Braucht ihr noch was?", fragte ich eilig und erhob mich bereits. „Wir können doch einfach den Kellner rufen?", irritiert sah Anni auf, aber als sie meinen Blick auffing, fügte sie hinzu, „Nein, danke. Soll ich mitkommen?" Ich schüttelte den Kopf und bewegte mich bereits Richtung Bar, die gerade ziemlich leer war. Die schwarzhaarige Kellnerin kam zu mir, sortierte lässig die Gläser in das oberste Fach ein und wandte sich dann mir zu: „Was kann ich dir bringen?" Sie schenkte mir ein herzliches Lächeln und ich bestellte ein einfaches Wasser ohne Kohlensäure. Keine Minute später war ich mit dem Getränk meiner Wahl draußen und kauerte mich auf den Bordstein. Das Glas stellte ich neben mir ab, holte mein Handy hervor und starrte auf den leeren Chat mit Michelle. Mein Magen machte Saltos und Tränen bahnten sich hervor, wie war mein Leben so chaotisch geworden? In mir tobten alte und neue Gefühle, Wut über die Trennung, Verzweiflung über den von mir abgebrochenen Kontakt mit Michelle. Wenn ich jetzt ehrlich zu mir war, regte mich der Punkt mit Michelle mehr auf als die Trennung. Ich hatte den Kontakt mit ihr abgebrochen, weil mein damaliger Freund es so von mir verlangte, obwohl ich es nicht wollte. Heute ärgerte ich mich über meine Naivität, dass ich ihm aufs Wort gehorcht hatte und Michelle von mir fortstieß. Ich konnte es nicht mehr rückgängig machen, nicht zeigen, wie viel Rückgrat ich eigentlich besaß, das nagte an mir. Ich stellte mir oft dieselben Fragen: was hat Michelle wohl gedacht, als sie nichts mehr von mir hörte? Gefühlt? Hatte der Kontaktabbruch meinen Ex-Freund besänftigt, oder war es der reine Narzissmus, der aus ihm gesprochen hatte?

Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt