Kapitel 10

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Marcos Plan entpuppte sich als nicht so grandios wie angekündigt. Er hatte gewissenhaft verschwiegen, dass er mehr Aktivitäten, die auf die Männer zugeschnitten waren, eingeplant hatte als für uns als Gruppe. Anni und Marco waren darüber in Streit geraten und als mein Freund unsere Wünsche für bescheuert erklärt hatte, war auch mir der Kragen geplatzt. Wütend stampfte ich fort von meinem Freund, der noch immer wild gestikulierte und die Diskussion fortführen wollte. Ich rieb mir nervös die Fingerknöchel, schob meine Hände kurze Zeit später in meine Bomberjacke und ignorierte die Rufe meines Freundes. „Lea, jetzt warte doch!", rief er erneut, doch ich hielt nicht an. Ich bog in den erstbesten Eingang zum Hyde Park ab, blickte mich suchend um und fixierte eine Parkbank in weiter Ferne. Ich brauchte Luft zum Atmen, Zeit für mich, es waren erst zwei Tage vergangen, trotzdem sehnte ich bereits das Ende dieses Trips herbei. „Lea!", wieder hallte mein Name durch den Park, fragende Gesichter schauten in die Richtung meines Freundes, aber ich blieb nicht stehen. Ich ließ mich auf die Parkbank fallen, holte mein Handy hervor und wollte Anni kontaktieren, damit zumindest wir beide uns eine schöne Zeit machen konnten. „Na, brauchst du wieder die Bestätigung deiner alten Lehrerin?", ertönte Phillips Stimme hinter mir, dessen Gesicht über meine Schulter auf mein Handy blickte, „Kannst du es kaum erwarten, ihr hiervon zu berichten?" Mit fragender Miene drehte ich mich zu ihm um: „Bitte was?" „Du weißt genau, was ich meine", er blickte mich wütend an und riss mir das Handy aus der Hand, „Du lechzt doch richtig nach ihrer Aufmerksamkeit, willst du ihr an die Wäsche? Oder durftest du schon?" Phillip scrollte auf meinem Handy herum, was mich nicht in Panik versetzte, da ich nichts vor ihm zu verbergen hatte. Allerdings stimmte es mich wütend, wie selbstverständlich er damit umging, in meinem Handy zu schnüffeln. Seine Unterstellungen machten mich fassungslos, obwohl ich mich fragen sollte, warum er so fühlte. „Habe ich dir etwa dieses Gefühl gegeben?", fragte ich ruhig und besonnen, „Das war nie meine Absicht, aber tatsächlich wollte ich Anni schreiben, ob wir ins Museum gehen, während ihr zu dieser albernen Wrestlingveranstaltung geht. Bekomme ich mein Handy jetzt wieder, oder willst du dir die Chats zur Bestätigung durchlesen?" Die Anspannung fiel von ihm ab und keine zwei Sekunden später blitzte Scham über seine Züge: „Tut mir leid."

Er setzte sich verlegen neben mich und nahm meine Hand: „Da ist es wieder mit mir durchgegangen, was? Mich beschäftigt das alles wohl doch mehr, als ich zugeben will... Sollte ich mir denn Sorgen machen müssen?" „Ich weiß nicht, ob du gerade in der Position bist, mir solche Fragen zu stellen. Nicht, wenn du mich mit deinen Worten so verletzt und indirekt des Betrugs bezichtigt hast", erwiderte ich und entzog ihm meine Hand, „Das war unfair und hatte nichts damit zu tun, was ihr für London geplant habt. Warum dieser ganze Streit überhaupt losgegangen ist. Wenn du ein Ventil brauchst, nutze bitte nicht mich dafür." Nun schnaubte Phillip spöttisch, was mich innerlich kochen ließ: „Wieso stellt ihr euch so an? Zwei Veranstaltungen, mehr sind das nicht. Wann ist man schon mal in London? Die Chance mussten wir nutzen." „Es wäre schön gewesen, wenn ihr uns zumindest gefragt hättet und nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Hier gibt es genug Beschäftigungsmöglichkeiten, wir beide wären auch ohne euch gut unterhalten gewesen", klärte ich ihn auf und forderte mit einer Handbewegung mein Handy zurück, „Und jetzt hätte ich gern mein Handy zurück." Wieder vernahm ich ein spöttisches Schnauben, was mich dazu brachte, ihm mein Handy aus der Hand zu nehmen. „Ich war noch nicht fertig", blaffte er mich an, „Ihr schreibt zu viel, ich will nicht, dass er ihr so viel Kontakt habt." Entsetzt blickte ich ihn an: „Du verbietest mir den Kontakt mit Michelle?" „Ahhh, jetzt sind wir schon bei Michelle angekommen?", verächtlich zog er einen Mundwinkel nach oben, „Gehst du mir mit ihr fremd?" Ich konnte nicht fassen, was hier gerade los war, aber jedes seiner Worte fühlte sich an wie ein Messerstich. Ich konnte nicht abstreiten, mit meinen Gedanken in der Vergangenheit festzuhängen, aber betrügen würde ich meinen Freund niemals. So war ich nicht und würde ich auch nie sein. Obwohl ich mir immer wieder die Frage stellte, ob meine Gedanken schon zu Betrug zählten. Meine Träume. Oder die unbewussten Gesten, die sich bei uns eingeschlichen hatten.

Ich versuchte mich zu beherrschen, stand auf, schüttelte den Kopf und antwortete: „Ich kann es nicht fassen, dass du mir das unterstellst. Ich würde dich nie betrügen, du kennst mich doch." „Da bin ich mir nicht mehr so sicher! Seit diese Frau wieder in deinem Leben ist, hast du dich verändert", konterte er und stand nun ebenfalls auf. „Liegt es daran, dass es eine Frau ist? Ist das, das eigentliche Problem?", ich presste die Lippen aufeinander und spürte mein Herz fast aus der Brust springen. „Ich glaube kaum, dass sie mir eine Konkurrenz wäre, aber...", setzte er an und umgriff mit seiner Hand mein Handgelenk, „Ich will einfach nicht, dass ihr Kontakt habt. Sie hat dich damals verletzt, verstehst du?" „So weht jetzt also der Wind? Es hat dich vorher doch auch nicht interessiert?", hakte ich nach und spürte, wie sein Griff immer stärker wurde. „Jetzt interessiert es mich aber. Kein Kontakt mehr, verstanden? Du löscht jetzt den Chat und ihre Nummer", befahl er mir und mir wich jegliche Farbe aus dem Gesicht. „Phillip", sein Name war kaum mehr als ein Wispern, wie sollte ich ihm klarmachen, dass ich das nicht konnte? Nicht wollte? Vielleicht sollte ich gerade deshalb seiner Anweisung folgen – denn irgendwas lag hier im Argen. Sein stahlharter Blick durchbohrte mich, ließ mich frösteln und mit den Tränen kämpfen. Vermutlich war es das Beste. Wenn ich meine jetzige Reaktion richtig analysierte, lag mir bereits zu viel an ihr.

„Die Location ist der Wahnsinn", murmelte ich und spürte, wie mein Gesicht bereits vom vielen Grinsen spannte, „Warst du schon des Öfteren hier?" „Tatsächlich habe ich diese Bar beim letzten Ausflug nach Münster entdeckt. Freunde von mir wohnen hier und gaben mir den Geheimtipp", erklärte Michelle, die gerade Zucker in ihren Kaffee fallen ließ, „Ich liebe einfach den Unterschied von hier zur Innenstadt, als wären wir in einer komplett anderen Stadt unterwegs." Ich trank einen Schluck von meinem Ginger Ale und beobachtete die Vögel, die aufgeregt zwischen den Tischen hin- und hersprangen: „Das stimmt, außer die Fahrräder, die sind hier genauso präsent, wie in der Stadt." Wir lachten über die Tatsache, dass sich die Fahrräder an der Wand des Gebäudes regelrecht stapelten und auch während der Wanderung hierher, waren uns einige Leute auf Rädern entgegengekommen. „Hier wird alles mit dem Rad erledigt", erwiderte Michelle und zuckte mit den Achseln, „Brauchst du auch noch Zucker?" „Ja, gerne", sagte ich und nahm den Zuckerstreuer entgegen. Unsere Finger berührten sich bei der Übergabe und anstatt den Zuckerstreuer loszulassen, hielt Michelle ihn eisern fest. Unsere Blicke trafen sich und erst als ich mich räusperte, gab sie den Zuckerstreuer frei. Ich spürte noch Stunden später das Kribbeln in meiner Hand.

Ich lockerte seinen Griff um mein Handgelenk, entsperrte mein Handy und löschte mit zitternden Fingern unseren Chat und ihre Nummer. Mein Herz zerbrach in tausend Teile, als ihr Name aus meinem Handy verschwand.


Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt