Kapitel 15

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Es verging nicht ein Tag, an dem ich nicht an Michelles Worte denken musste. An die Wahrheit dahinter. Die Lüge, mit der sie mich damals abgespeist hatte. Wohl zu meinem Besten. Ich versuchte mich abzulenken, nicht zu viel darüber nachzudenken. Über das „Was wäre, wenn".

Das letzte Rheinbeats des Jahres stand vor der Tür, es war Ende September und heute Abend brauchten wir definitiv eine dickere Jacke, die ich allerdings nicht fand. Der Sommer neigte sich seinem Ende zu und gegen Abend konnte es kühl werden. Ich schminkte gerade meine Lippen, als es an der Tür klingelte. Heute ging ich mit den Mädels hin, Marco und Phillip waren mit den Jungs woanders unterwegs. Zu meinem Glück – ihm noch einmal unter die Augen treten zu müssen, würde meine Wut nur anfachen.

„Ich muss dir was sagen", Anni knetete ihre Hände und schaffte es kaum mich anzusehen. „Was ist los? Hast du Streit mit Marco?", fragte ich besorgt und ergriff ihre Hände, damit sie aufhörte, sie zu malträtieren. „Nein, es hat nichts mit Marco zu tun", erklärte sie, „Sondern mit Phillip." „Okay?", irritiert blickte ich sie an und signalisierte ihr, dass wir uns auf den Balkon setzen sollten. Noch konnten wir das sommerliche Wetter ausnutzen und mittlerweile gefiel mir, wie sich alles verändert hatte. Es war wohnlicher geworden, persönlicher und mehr ich. Endlich hatte die Wohnung einen Charme, den ich mochte. Der Balkon war mein kleines Highlight. Ich hatte Holzdielen verlegt, das Gitter mit Bambus verkleidet, viele Pflanzen gekauft und Lichterketten aufgehangen, es war eine kleine Wohlfühloase. Wir ließen uns auf die Loungemöbel nieder und noch immer wirkte Anni, als hätte sie einen Geist gesehen. Sie hatte unangekündigt vor meiner Tür gestanden, aufgelöst und auch wütend. Bisher war kein Wort über ihre Lippen gekommen, bis sie mir gestand, etwas loswerden zu wollen. „Was ist denn los? Du wirkst ja ganz verstört", ich versuchte die Spannung aufzulockern, aber da es um Phillip ging, würde es vermutlich nicht gänzlich funktionieren. „Lea", setzte sie an und sammelte sich erneut, „Phillip war heute bei uns zu Besuch, er hat mit Marco irgendein dummes Spiel gezockt..." „Das ist doch nichts Neues", witzelte ich, aber ihre Miene blieb ernst. „Er hat dich wochenlang betrogen", purzelte es aus ihr heraus und mein Herz rutschte mir in die Hose. „Was hast du gesagt?", ich glaubte mich verhört zu haben, oder an einen miesen Streich meiner besten Freundin, „Niemals." Sie schluckte, senkte den Blick und wieder verknoteten sich ihre Finger: „Er hat es Marco gestanden, weil er ihm ein wenig auf den Zahn fühlen wollte. Er wollt es verstehen, sei ihm nicht böse. Marco konnte einfach nicht verstehen, warum er so mit dir umgesprungen ist... dich des Betrugs bezichtigt hat..." Nun ergriff sie meine Hand, vermutlich weil ich blass, wie ein Geist geworden war. Beruhigend drückte sie zu und erzählte weiter: „Phillip hat sich erst vor einer Antwort gedrückt und er hat nicht gemerkt, dass ich im Türrahmen stand... Vermutlich hätte er es dann nicht so unbedarft erzählt, aber es ist einfach aus ihm rausgesprudelt. Er war so zu dir, weil er dir fremdgegangen ist. Phillip hielt es für eine gute Idee, sein Vergehen auf dich zu übertragen, damit er Gründe für sein Verhalten hatte..." Ich sagte eine Weile nichts, dachte an all unsere Streitigkeiten zurück, seine merkwürdigen Verhaltensweisen. Seine Zurechtweisungen und Forderungen bezogen auf Michelle. Seine Eifersucht. War das alles kalkuliert gewesen? „Aber...", meine Kehle war trocken und meine Stimme schmerzte bei jedem Buchstaben, „Wieso würde er mich betrügen? Wir waren doch glücklich. Ich verstehe es nicht. Hat er gesagt seit wann?" Mein Blick suchte den meiner besten Freundin, Trauer spiegelte sich darin und ich kannte die ungefähre Antwort schon, bevor sie mir meine Frage beantwortete: „Seit fast einem Jahr." Er hatte mich ein Jahr lang betrogen, bereits lang bevor Michelle Sander wieder in mein Leben getreten war. Trotzdem hatte er den verletzten Freund gemimt, mir ein schlechtes Gewissen gemacht und mich zu Dingen bewegt, die ich nicht wollte. Phillip hat mich des Betrugs bezichtigt und war selbst der Übeltäter.

Wir wanderten die enge Straße hinab, die uns zu unserem Ziel führte. Vorbei an kleinen Bauernhöfen, Hühnern und Pferden, der ersten Securitykontrolle und schließlich zu den Pforten von Rheinbeats. Fünf Monate waren seitdem letzten Rheinbeats vergangen, fünf Monate voller Turbulenzen, Erkenntnissen und Geständnissen. Ich versuchte nicht darüber nachzudenken, wen ich hier beim letzten Mal wiedergetroffen hatte. Ich wollte mich nicht an den Gedanken klammern, ich könnte sie heute wiedertreffen. Ich war ihrer Bitte nachgekommen, schrieb ihr nicht, außer wenn sie mich kontaktierte und hielt so viel Abstand wie möglich. Doch mein Herz schrie nach ihr, lechzte nach mehr Antworten. Sie konnte nicht erwarten, dass ich nicht mehr wissen wollte, die ganze Wahrheit. Doch eins nach dem anderen.

Das Echo der Erinnerung (gxg)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt