38. Kapitel

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Luke's P.o.V.


Phase 5: Akzeptanz

Sonntag. Vor drei Tagen wurde meine Mutter eingeliefert. Seit drei Tagen saß ich auf einem dieser unbequem gepolsterten Stühle und wartete. Ich wartete und wartete, doch wusste nicht, worauf genau ich wartete. Es schien, als würde ich still stehen, während die Welt um mich herum im Eiltempo an mir vorbei rauschte. Alles war ständig im Wandel, im Krankhaus herrschte rege Betriebsamkeit, neue Krankenschwestern kamen und gingen, Mia konnte kaum ruhig sitzen andauert machten sie und Caro Spaziergänge durch die Station und gingen auf den Spielplatz vor dem Krankenhaus. Alle bewegten sich, nur ich stand still. Alles veränderte sich, nur ich blieb gleich. Saß Stunde um Stunde auf diesem Stuhl und beobachtete meine bewusstlose Mutter. Bei jedem Atemzug hoffte ich, dass es nicht ihr letzter wäre.

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Mia streichelte behutsam und sanft über die Hand unserer Mutter, leise flüsterte sie in ihr Ohr:
„Du stirbst erst, wenn du aufhörst zu atmen. Also darfst du einfach nur nicht damit aufhören."
Ich wünschte es wäre so einfach.

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Aus den Augenwinkeln erkannte ich, dass sich die Zimmertür öffnete. Der großgewachsene junge Mann der herantrat und mir einen langen mitfühlenden Blick schenkte, wirkte hier so fehl am Platz. Seine Haare schimmerten zu golden, seine Augen waren zu Blau und seine Klamotten zu bunt. Seine ganze Erscheinung setzte sich in einer solchen Intensität von den fahlen Farben des Krankhauszimmers ab, dass er fast unwirklich erschien. Ich sah ihn nicht an, dennoch war ich mir sicher, dass er wusste, dass ich wusste, dass er hier war.
Ich saß schon Stunden in der ewig gleichen Position da, hatte mich keinen Zentimeter bewegt. Bestimmt war mein Körper schon so eingerostete das ich ihn nicht mehr bewegen könnte ohne höllische Schmerzen zu haben, doch das war mir egal. Vielleicht würde ich es auch gar nicht spüren, so wie ich auch sonst nichts spürte. Ich war leer, einfach leer. Ich lebte in einer Seifenblase, sie schien mich vor dem Schmerz zu schützen doch ich wusste sie würde irgendwann platzen und alles würde plötzlich auf mich einstürzen. Ich wünschte ich würde... ach, ich wusste es ja selber nicht mal was ich mir wünschte.

Zack setzte sich auf den Stuhl zu meiner Linken, seine Präsens beunruhigte mich. Seine Anwesenheit berührte etwas tief in meinem Inneren, das hatte sie schon immer getan, doch gerade jetzt wo ich es nicht brauchte, spürte ich es umso mehr. Er griff nach meiner Hand und drückte sie. „Wie geht es ihr?" frage er leise. Ich zuckte bloß mit den Schultern, meine Hand löste ich von seiner und schob sie mir unter meinen Oberschenkel.
Ich wollte dass er ging. Er war wie die Nadel zu meiner Seifenblase. Ich wollte nicht dass sie platze, ich wollte mich weiter in ihrer trügerischen Sicherheit wiegen, auch wenn mir klar war es würde später umso mehr schmerzen. Er tat so als wäre nichts gewesen, als hätte ich nicht gerade meine Hand zurückgezogen und ihn abgewiesen.
„Ich hab dir etwas mitgebracht." Ich hörte Geraschel. „Ich hab Caro und Mia unten vorm Krankenhaus getroffen. Caro hat mich gebeten dir in der Cafeteria etwas zu essen zu holen." Wenn das Essen hier drin auch nur halb so scheußlich schmeckte wie der Kaffee dann verzichtete ich lieber. Die letzte feste Nahrung die ich zu mir genommen hatte war mein Geburtstagskuchen gewesen. Gott, es fühlte sich an als wären Jahre vergangen seit diesem Tag.
„Hab keinen Hunger." Erwiderte ich leise. Und das stimmte auch, ich hatte wirklich keinen Hunger und auch keinen Durst. Meine Menschlichen Bedürfnisse hatten sich auf eine Minimum gesenkt, naja das oder sie schafften es nicht durch die erstaunlich dicke Haut der Seifenblase zu mir durch zu dringen. Das Einzige das ich runter bekam war das scheußliche Gebräu das sie hier unter dem Namen Kaffee verkauften. Es war zu meinem Lebenselixier geworden, verhinderte sowohl das ich vollkommen austrocknete als auch das ich auf der Stelle umfiel und einschlief.
„Ich leg es dir hier hin. Vielleicht hast du später ja Hunger." Er beugte sich ein klein wenig über mich um die Papiertüte auf dem Nachttischen zu meiner Rechten zu legen, dabei stieg mir sein vertrauten Geruch in die Nase. Alles an ihm war mir so vertraut.

Liebe stirbt nicht! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt