5. Kapitel

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Luke P.o.V.

Ich wusste nicht, warum ich ihn geküsst hatte, es hatte mich einfach so überkommen. Ich bereute es nicht, schließlich bedeutete dieser Kuss nichts, dass wussten wir beide. Trotzdem, ich kam nicht umhin festzustellen, dass er verdammt gut küssen konnte und seine Lippen, so weich und so.... Das Klingeln meines Handys riss mich aus meiner Schwärmerei. Als ich aufs Display sah und die Nummer meiner Tante erkannte, versteifte ich mich sofort. Wenn sie anrief, konnte das nur eines bedeuten, irgendetwas ist mit meiner Mutter. Ich lief ans andere Ende der Küche, damit Zack nicht mithören konnte und nahm ab.

"Was ist passiert?" fragte ich sofort.

„Luke, Gott sei danke gehst du dran! Ich weiß nicht was ich machen soll! Sie ... Ich wollte nur... aber die...! Und dann..." stotterte sie aufgelöst ins Telefon. Augenblicklich verkrampfte ich mich noch ein wenig mehr.

„Beruhige dich! Alles wird gut. Erzähl mir jetzt nochmal langsam was genau passiert ist." redete ich sanft auf sie ein. Ich wusste, dass sie keinen klaren Satz zusammen bekommen würde, wenn sie sich nicht beruhigen würde. Ich hörte wie sie einmal tief Luft holte um sie dann mit einem verzweifelten Seufzer wieder rauszulassen.

„Mein Chef hat gerade angerufen. Mein Termin wurde vor verlegt und ich muss schon in zwei Stunden nach München losfliegen. Aber ich kann Sarah doch nicht allein lassen. Aber mein Chef..." Weiter kam sie nicht, denn ich unterbrach sie: „Das ist doch gar kein Problem. Ich bin schon unterwegs. In zehn Minuten bin ich da."

„Aber Luke deine Party..."

„Keine Wiederrede! Bis gleich" Mit diesen Worten legte ich auf, bevor sie noch einmal auf die Idee kam zu wiedersprechen. Ich seufzte einmal und schob mein Handy wieder in meine Hosentasche. Ich spürte Zacks Blicke, die sich in meinen Rücken bohrten und konnte mir seinen fragenden Gesichtsausdruck schon vorstellen. „Was ist denn los?" fragte er, die deutliche Neugierde die in der Frage mitschwang war kaum zu überhören.

Ich drehte mich zu ihm um, bevor ich antwortete. „Ach nur meine Mam. Ich muss Nachhause kommen weil meine kleine Schwester krank ist und meine Mutter Nachtdienst im Krankenhaus hat. Sie arbeitet als Krankenschwester." Das letzte stimmte sogar, bis zu ihrer Diagnose hatte meine Mutter im St. Andreas Krankenhaus hier in der Stadt gearbeitet. Sie war einer der besten Krankenschwestern gewesen und sowohl ihre Kollegen, als auch die Patienten hatten sie vergöttert.

„Ich muss dann jetzt gehen. Tut mir Leid, aber wir sehen und dann ja am Montag in der Schule. Sag den anderen bitte, dass ich nachhause musste. Danke und Tschau." rief ich ihm beim Rausgehen zu bevor ich aus dem Haus und in die kühle Nachtluft trat. Mit zügigen Schritten lief ich nachhause.

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Als ich unsere kleine Wohnung betrat sah ich schon meine Tante Nora auf ihrem Koffer im Flur sitzen. Nervös knetete sie ihre Finger und starrte Löcher in die Luft. „Hey, wie geht es ihr?" waren die ersten Worte, die ich an sie richtete. Sie stand von ihrem Koffer auf und sah mich an, als sie zu mir sprach. „Ich weiß nicht recht. Sie sagte ihr wäre schlecht, weshalb ich ihr einen Eimer geholt habe. Ich konnte nicht länger im Raum bleiben sonst hätte ich neben sie gebrochen." Als Pflegerin war meine Tante wirklich ziemlich ungeeignet. War wohl besser, dass sie im Managementbereich einer Finanzfirma arbeitete, was genau sie dort machte wusste ich allerdings nicht. Ich konnte es ihr aber auch nicht zum Vorwurf machen, schließlich war es nicht leicht jemanden zu pflegen, ich selbst hatte auch einige Zeit gebracht bis ich den Dreh raushatte und jetzt war es trauriger Alltag meiner Mutter bei alltäglichen Sachen zu unterstützen. Das schrecklichste daran war, meine Mutter so hilflos zu sehen. Aus der einst so wunderschönen, freundlichen, aufgeschlossenen und immer fröhlichen Frau, die nur so vor Lebensfreude sprühte, war durch den Krebs und die Chemo eine kranke, bleiche und zerbrechliches Abbild ihrer Selbst geworden, doch trotzdem schaffte sie es noch zu lächeln, auch wenn es nur war um uns zu beruhigen. Und dafür bewunderte ich sie so, sie war die stärkste Frau die ich kannte.

„Okay dann schau ich mal nach ihr. Ich nehme an dein Taxi kommt gleich?"

„Ja es müsste jeden..." durch das Geräusch eines anhaltenden Wagens wurde sie unterbrochen. „Da ist es auch schon." lächele sie mich an „Dann muss ich wohl. Auf Wiedersehn, Luke. Richte deinen Schwestern und deiner Mutter Grüße aus und sag ihnen, dass es mir Leid tut, das ich einfach so mitten in der Nacht verschwinden musste." Zum Abschied drückte sie mich nochmal fest.

„Mach's gut, Tante Nora." lächelte ich. Sie winkte noch einmal kurz bevor sie die Haustür hinter sich schloss. Ich konnte hören wie ihr der Taxifahrer ihr half die Koffer zu verstauen, wie sie die Auto Türen schlossen und der Taxifahrer davonbrauste.

Ich atmete einmal tief durch und betrat das Zimmer meiner Mutter. Sie lag dort in ihrem unordentlichen Bett mit dem Eimer in der Hand, ihre Augen nur halb geöffnet. Ihr Tuch, das ihren haarlosen Kopf bedeckte, war Schweiß getränkt. Total entkräftet vom vielen erbrechen. Ihr Gesicht war blass und ihr Blick leer. Es brach mir das Herz sie so leiden zu sehen. Im Zimmer hing der säuerliche Geruch von Erbrochenem, doch dieser machte mir schon lange nichts mehr aus. Seitdem die Chemotherapie begonnen hat verging kein Tag an dem sie sich nicht übergeben musste.

Bevor ich zu ihr ging, öffnete ich eines der Fenster um den Gestank zu verjagen. Ich trat an ihr Bett und ging in die Hocke damit ich mit ihr auf Augenhöhe war. Ich strich ihr sanft über die Wange. „Luke?" krächzte sie, doch ich stoppte sie bevor sie weiterreden konnte, „Pscht... Alles ist gut. Ich weiß, dass ich dir versprochen habe mich heute mal zu amüsieren, aber Tante Nora hat mich angerufen, weil ihr Termin verschoben wurde muss sie schon jetzt weiterfliegen. Aber keine Sorge ich hatte trotzdem Spaß auf der Party." Ich stand auf und nahm ihren Eimer mit ins Bad, dort entleerte ich ihn und spülte ihn aus, dann nahm ich einen Waschlappen und hielt ihn unter kaltes Wasser anschließend ging ich wieder in das Zimmer meiner Mutter. Den Eimer stelle ich auf ihren Nachtisch. Ich half ihr dabei sich im Bett ein wenig auf zu richten, anschließend setzte ich mich neben sie aufs Bett und tupfte ihr Gesicht mit dem nassen Lappen ab. Sie schloss die Augen und schluckte trocken, woraufhin ich ihr ein Glas mit Wasser brachte welches sie hastig austrank. Als sie mir das Glas wiederreichte lächelte sie mich dankbar an.

„Es tut mir so Leid mein Schatz. Ich hab dir den ganzen Abend ruiniert!" Ihr Stimme klang immer noch leicht kratzig, aber um Längen besser, als gerade eben noch.

„Nein, das hast du nicht. Mach dir keine Vorwürfe!"

„Wie war die Party? Irgendwelche netten Jungs?" versuchte sie ein Gespräch zu starten. Ich musste lächeln seit ich denken konnte versuchte meine Mam schon mich zu verkuppeln. Es gab nie ‚dieses eine klärende Gespräch' in dem ich ihr unter Tränen gestand, dass ich schwul war und sie mir sagte das sie mich trotzdem liebte. Nein, es war irgendwie seltsam gewesen. Sie hatte es gewusst, ohne dass ich ihr etwas hätte sagen müssen. Sie war nie davon ausgegangen, dass nur weil ich ein Junge war, ich auch automatisch nur Interesse an Mädchen haben würde.

„Um ehrlich zu sein gab es da wirklich Einen. Ein Kumpel von Robin, er ist erst vor kurzem hier her gezogen und ist ziemlich nett. Er heißt Zack." Ohne zu wissen warum, musste ich beim Gedanken an Zack lächeln.

„Erzähl mir mehr." forderte sie. Also begann ich ihr alles zu erzählen von der Wette mit Vanessa, dem Trinkspiel bis hin zum Kuss in der Küche. Als ich fertig war bemerkte ich, dass sie eingeschlafen war. Ich deckte sie richtig zu und schloss das Fenster bevor ich ihr Zimmer verließ.

Total fertig fiel ich in mein Bett, meine Kraft reichte gerade noch dazu aus, meine Hose auszuziehen und unter meine Bettdecke zu kriechen.

Was für ein Tag...

Liebe stirbt nicht! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt