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In der letzten Nacht war Alastor wie über den Wolken gewesen und hatte sich unglaublich befreit gefühlt. Die Nacht war lang gewesen und er hatte noch einige Höhepunkte mit Zestial erlebt. Doch dieses Gefühl war nicht von Dauer gewesen. Er war aus den Höhen gestürzt und der Aufprall in der Realität schmerzte nur umso mehr.
Fast wäre er über die Klippe gerollt. Es war als würde er an der Kante des Abgrund hängen und in die tiefe Schwärze hinabblicken. Sie streckte ihre Arme nach ihm aus und versuchte ihn hinab zu ziehen. Und sein Widerstand wurde immer schwächer. Er hatte keine Kraft mehr sich dagegen zu wehren. Keine Kraft mehr sich festzuhalten.
Selbstverständlich vergaß er nicht zu lächeln, doch es wurde anstrengender und sein Lächeln sah nun etwas dünnlippiger aus.

Wieder verbrachte Alastor den Tag im Hotel. Diesmal konnte er jedoch nicht bis spätabends bleiben, weil Charlie sie alle früher nach Hause schickte. Sie meinte sie hätte noch eine Verabredung am Nachmittag und wolle, dass sie alle mal ein bisschen mehr Zeit für sich hätten. Sie erwähnte nicht mit wem, aber Alastor fragte nicht, es interessierte ihn schlicht nicht. Er ging zurück zum Anwesen und war auf dem Weg in sein Zimmer, um schlafen zu gehen, da er nicht wusste, was er sonst machen sollte. Doch auf seinem Weg durch die dunklen Flure hörte er plötzlich Stimmen. Erst war er misstrauisch. Es könnten irgendwelche Sünder sein, die sich aus Spaß hineingschlichen hatten. Doch als Alastor dem Zimmer näher kam, erkannte er Lucifers und Charlies Stimmen. Also doch alles gut. Hoffentlich hatte Lucifer Spaß und freute sich seine Tochter wiederzusehen. Er ging weiter und als er schon fast außer Hörweite war, wurden die Stimmen panischer und schriller. Es hörte sich an als würde jemand laut schluchzen. Aus der Entfernung konnte er nicht erkennen, wer von den beiden es war, aber Alastor drehte sofort um und falls Charlie Lucifer zum Weinen brachte, warum auch immer, würde er sie eigenhändig hinausschleifen und ihr Schmerzen zufügen, wie sie sie noch nie gekannt hatte. Er würde nicht zulassen, dass sie seinem Lucy weh tat.
Dass Charlie Lucifers Tochter war und keinen Grund hatte ihm weh zu tun war aus Alastors Kopf wie weggeblasen.
Vor der Tür blieb er stehen und zu seiner Erleichterung erkannte er, dass es Charlie war, die in Tränen aufgelöst mit schriller Stimme sprach. Die Erleichterung hielt aber nicht lange an. Wenn es Charlie nicht gut ging, würde das auch Lucifer belasten.
Fast wäre Alastor in das Zimmer gestürmt, aber was hätte er schon machen können? Er sollte Lucifer nichteinmal ansehen, wahrscheinlich würde er die Situation nur verschlimmern. Doch gehen wollte er auch nicht, also blieb Alastor unschlüssig im Flur stehen und lauschte den Stimmen. "Es-Oh, es tut mir so leid, Dad! Hätte ich das nur gewusst, Das ist alles meine Schuld! Jetzt hast du ihn am Hals und er kann dir wehtun und es ist alles meine Schuld-" Charlies Stimme war schrill und ihre Worte kamen mit unglaublicher Geschwindigkeit aus ihrem Mund. "Charlie! Beruhige dich! Dieses Arschloch hat dich erpresst, okay? Du kannst nichts dafür. Außerdem tut er mir nicht... nicht wirklich weh, okay? Mir geht's gut. Ich mache mir viel mehr Sorgen um dich."redete Lucifer beruhigend auf sie ein. "Es tut mir einfach nur so leid, Dad." Charlies Stimme war nun erschöpft und so leise, dass Alastor sich anstrengen musste sie zu verstehen.
Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie über ihn sprachen. Lucifer hatte gesagt, dass Alastor ihm nicht wirklich weh tat. Das klang nicht gut. Hatte er irgendetwas getan, dass ihn verletzt haben könnte? Er würde ihn am liebsten fragen, denn er wollte es definitiv nicht nocheinmal tun.
Das Schweigen hinter der Tür irritierte Alastor. Was machten sie gerade? Wenn sie herauskommen würden, stände er genau vor ihnen. Schnell wich er zurück in die Schatten. Zu seinem Glück, denn schon schwang die Tür auf. Lucifer hatte einen Arm um Charlie gelegt und führte sie durch den Flur. Er sprach weiter beruhigend auf sie ein und glücklicherweise bemerkten sie Alastor nicht. Er folgte ihnen mit leisen Schritten und einigen Metern Entfernung. Lucifer geleitete Charlie zur Tür und fragte, ob sie es denn alleine zurück schaffe.
Alastor wollte, dass sie endlich verschwand. Dass Lucifer wieder allein war, nur da für ihn, niemand anders da, der ihn sehen könnte.
Die Tür schloss sich mit einem Klacken und Lucifer blieb still davor stehen.
Plötzlich sprossen aus Lucifers Haarschopf zwei große Hörner. Flügel wuchsen aus seinem Rücken und seine Aura änderte sich schlagartig. Er wirkte bedrohlicher. Vollkommen verdutzt über den Sinneswandel stand Alastor reglos da und reagierte zu spät, als Lucifer sich mit rot-glühenden Augen umdrehte. Er wollte in die Schatten zurückweichen, doch Lucifer hatte ihn schon gesehen. "DU!"schrie er wutentbrannt. "Hast du das gesehen?!"er deutete auf die verschlossene Tür hinter sich. "Hast du gesehen, was du ihr angetan hast?! Hast du gesehen, wie sehr du sie verletzt hast?!" Alastor starrte ihn immernoch nur verdattert an.
"Hat's dir die Sprache verschlagen oder was?! ANTWORTE!" Lucifer schwebte nun einen Meter in der Luft mit ausgebreiteten Flügeln. Da er schwebte, war er größer als Alastor und starrte mit lodernden Blick auf diesen herab. "Bist du taub?! Die ganze Zeit beobachtest du mich und folgst mir, gehst mir aber trotzdem aus dem Weg. Du hast mein Bild gestohlen. Du machst mir Frühstück. Warum tust du das?! Und wie zur unheiligen Hölle soll ich damit leben, dass jemand, der meine Tochter verletzt hat, mit mir zusammen in meinem Anwesen wohnt?! HÖRST DU SCHLECHT? JETZT ANTWORTE ENDLICH!" Lucifer stieß herab auf Alastor zu, wollte ihn angreifen, aber dieser stoppte ihn mit seinen Schattenarmen. Normalerweise wären sie kein Problem für Lucifer, aber da Alastor seine Seele besaß konnte er nicht gegen sie kämpfen. "Nicht, Lucy. Du verletzt dich noch." Alastor sprach leise. Er war kurz davor Lucifer wieder loszulassen und ihn einfach machen zulassen. Wenn er so sauer auf ihn war, hatte Alastor es vielleicht verdient. Er wusste nicht, was er Lucifer antworten sollte. Die Wahrheit konnte er ihm schließlich nicht auftischen.
Vorerst wurde ihm seine Antwort jedoch erspart, denn Lucifer starrte ihn plötzlich verdattert an. Oder wohl eher seine Halsbeuge. Kurz verschwand der lodernde Blick und fragend schaute er Alastor an. "Was hast du da?" Alastor warf einen kurzen Blick auf die Stelle auf die Lucifer gestarrt hatte und richtete erschrocken seinen Kragen. Die dunklen Male, die Zestial ihm verpasst hatte, waren auf seiner blassen Haut nur allzu deutlich zu sehen.
"Das geht dich nichts an, Lucy." Kurz flammte ein Hauch von Verletztheit in Lucifers Augen auf, doch dann begannen sie wieder rot zu glühen. "Es geht mich nichts an? Es geht mich nichts an?! Natürlich geht's mich was an! Weißt du überhaupt, was du mit mir machst?!" Alastor drehte sich weg. Er ging mit zügigen Schritten durch den Gang, weg von Lucifer. "HEY! Lass mich hier nicht hängen!" "Geh schlafen, Lucy." Alastor schnippste und die Schattenarme verschwanden so schnell, wie sie zuvor aufgetaucht waren. Da er in Befehlsform gesprochen hatte, musste Lucifer genau das tun, was er ihm befohlen hatte. Alastor drehte sich nicht nocheinmal um.

In seinem Bett starrte er wieder an die Decke. Die brennenden Blicke Lucifers raubten ihm den Schlaf. Wahrscheinlich war es besser, dass Lucifer ihn hasste. So war er sicher. Aber es schmerzte Alastor so sehr. Lucifer war das einzige, das ihn noch davon abhielt in den Abgrund zu stürzen. Doch dieser kalte und sogleich brennende Hass von ihm auf Alastor drohte ihn nur noch kräftiger in den Abgrund zu stoßen.

Hazbin Hotel || RadioappleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt