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"Hey." Alastor hielt inne. Das war nicht gut. Er ging weiter auf die Tür zu, sich nicht umdrehend. "Hey!" Das war ganz und gar nicht gut. Er beschleunigte seine Schritte. Gleich wäre er bei der Tür. "Alastor." Er erstarrte nur noch einen halben Meter von der Tür entfernt. "Geh jetzt nicht." Sehr langsam drehte Alastor sich zu Lucifer um. Er hatte wie immer das Frühstück auf den Nachttisch neben den schlafenden Lucifer gestellt. Nur schien dieser dieses Mal gar nicht geschlafen zu haben. "Wie hast du mich gerade genannt?" "Ich wollte doch nur, dass du stehen bleibst. Geh jetzt bitte nicht." Lucifers Stimme zitterte leicht. Ganz anders als noch am Tag zuvor. Nichtmehr zornig. Eher bittend. Fast flehend. "Sag ihn noch ein Mal. Nenn mich noch ein Mal bei meinem Namen." "Bleibst du dann und redest mit mir?" Ein unwirsches Nicken. "Alastor." So wunderschön. Alastor hätte alles dafür gegeben, Lucifer nur immer wieder seinen Namen sagen zu hören. Er würde nicht behaupten, dass er seinen Namen sehr mochte. Es war für ihn einfach ein Name, er war nicht schön oder unschön. Doch wenn er aus Lucifers Mund kam, gab es nichts besseres. Noch nie hatte Alastor einen so schönen Klang vernommen. Kurz waren alle seine Sorgen wie weggefegt.
Nur um dann mit einen Schlag wieder zukommen. Er war hier. Bei Lucifer. Jederzeit könnte seine Blutlust hervorkommen. Jederzeit könnte der Wahnsinn ihn übermannen und er könnte Lucifer angreifen. Ihn ernsthaft verletzen. Und Alastor hatte, in seinem Rausch, dass Lucifer ihn beim Namen genannt hatte, auch noch zugestimmt da zu bleiben und zu reden. Er könnte jetzt nicht gehen. Auch wenn er wollte. Er hatte Lucifer sein Wort gegeben und er würde es nicht brechen. Er konnte nicht zulassen, dass Lucifer ihn nochmehr verabscheute.
"Also, Lucy. Worüber willst du mit mir reden?" "Das hab ich dir schon gestern gesagt. Aber da hast du mich ja ignoriert und mir gar keine Antworten gegeben." Alastor wurde nervös. Er, der Radiodämon, wurde nervös.
"Wo ist mein Bild?" Lucifer starrte ihn eindringlich an. "Welches Bild?" Alastor versuchte unwissend zu wirken. Das schien aber nicht wirklich zu funktionieren. "Du weißt genau welches Bild. Nach dem Abend, an dem du das letzte Mal mit mir geredet hast, ist es verschwunden. Also, wo ist es? Was hast du damit gemacht? Und warum?" Alastors Gedanken rasten. Was sollte er antworten? Was wäre glaubwürdig? Er brauchte schnell eine Antwort. Lucifer schaute ihn schon abwartend an. "Das Bild gibt es nicht mehr. Ich hab es nicht irgendwo versteckt." Alastor versuchte sich etwas Zeit zu verschaffen. "Das Bild gibt es nicht mehr? Was hast du damit gemacht?" Lucifers Blick stresste Alastor. "Ich- ich habe es zerstört." "Du hast es zerstört?! Warum?!" Der geschockte Blick brannte auf Alastors Haut. "Ich mochte es nicht. Es hat mich...genervt." "Du hast mein Bild zerstört, weil es dich genervt hat?! Was gab es denn an dem Bild auszusetzen!?" Schweiß rann seinen Rücken hinab. Alastor atmete langsam aus, um sich zu beruhigen. "Ich kann Lilith nicht ausstehen. Sie hat mich unhöflich angestarrt aus deinem Bild. Außerdem hast du auch nicht sonderlich erfreut dein Bild betrachtet, Lucy. Es hat dir keine Freude gebracht, also was ist so schlimm daran, dass es jetzt weg ist?" Alastor betete, dass Lucifer sich mit diesem Grund zufrieden geben würde. Er entsprach ja sogar halbwegs der Wahrheit. "Und das soll ich dir glauben?" Anscheinend nicht. Er hätte abstreiten sollen überhaupt etwas von dem Bild zu wissen. "Du meinst, du hast das Bild nur zerstört, weil-" Lucifer stockte. "-weil Lilith dich blöd angeschaut hat? Das war ein Bild. Sie hat dich nicht wirklich angeschaut." Alastors Muskeln spannten sich unmerklich an. Er mochte es nicht, Lucifer Liliths Namen sagen zu hören. Sein eigener war der einzige, den er je wieder von ihm hören wollte."Ja, das meine ich, Lucy. Willst du noch etwas anderes fragen?" Lucifer warf ihm noch einen misstrauischen Blick zu, bevor er zur nächsten Frage überging. "Warum machst du mir Frühstück?" Alastor wusste es nicht. Er hatte es sich irgendwie angewöhnt, es war zu seiner Routine geworden. "Gefällt es dir nicht, Lucy? Wenn du es nicht magst, kann ich damit aufhören."wich er aus.
Alastor war stolz auf sich, dass er bis jetzt noch nicht durchgedreht war, weil er mit Lucifer sprach. Er hatte noch nicht mal den Gedanken gehabt, das Blut des gefallenen Engels zu schmecken. Er wurde etwas selbstsicherer. Wenn er es bis jetzt geschafft hatte, würde er es vielleicht auch noch bis zum Ende des Gespräches schaffen seinen Blutdurst zu unterdrücken. "Beantworte meine Frage." "Ich habe einmal damit angefangen und dann ist es zu meiner Routine geworden. Es gibt keinen speziellen Grund."versuchte Alastor es mit der Wahrheit. Doch wieder schien der Blonde ihm nicht glauben zu wollen. "Ah ja. Kannst du meine Fragen vielleicht mal ehrlich beantworten?" "Das tue ich, Lucy. Es ist nicht meine Schuld, wenn du mir nicht glaubst." Lucifer seufzte resigniert. Alastor wünschte sich, die Fragen würden endlich aufhören. "Dann noch ein was. Warum hast du erst viel Zeit mit mir verbracht, nur um mich dann tagelang komplett zu ignorieren?" "Ist das so wichtig?" "Das ist das Wichtigste. Ich verstehe einfach nicht aus welchem Grund du dir erst Mühe machst mich 'kennenzulernen' und dann so tust, als würde ich gar nicht existieren. Du kannst mir nicht erst falsche Hoffnungen machen, dass wir... dass wir vielleicht so etwas wie Freunde werden könnten und mir dann das Gefühl geben mich zu hassen. Ich kann das nicht. Also entscheide dich. Entweder du hasst mich oder ... wir könnten vielleicht miteinander klarkommen. Beides kann ich jedenfalls nicht."
Alastors Eingeweide zogen sich zusammen. Er hatte Lucifer nicht das Gefühl geben wollen, ihn zu hassen. Das war keinesfalls seine Absicht gewesen.
Doch...Lucifer hatte gesagt, dass sie fast hätten Freunde werden können. Das hieß, er hatte immerhin ein bisschen Spaß gehabt und mindestens ein bisschen Sympathie für Alastor empfunden. Vielleicht könnten sie ja wirklich Freunde werden. Vorstellungen, wie Lucifer und er lachten und zusammen Sachen unternahmen strömten durch Alastors Gedanken.
Aber nein. Er durfte nicht so viel Zeit mit ihm verbringen. Alastor würde ihn nur unnötig in Gefahr bringen. Das wollte er nicht zu lassen.
Aber wie könnte Alastor Lucifer von jetzt an vollends ignorieren? Ihn bestenfalls niewieder sehen? Er wusste nicht, wie er das bewerkstelligen sollte. Was sollte er dann machen? Was für einen Wert hatte dann noch sein Dasein in der Hölle? Alastor wollte einfach nichts so recht einfallen, was er machen sollte, wenn er Lucifer komplett ignorieren und sich von ihm fernhalten würde. Er hatte Macht. Er könnte irgendwelche Sünder quälen, foltern und zerfleischen. Aber das erschien Alastor nicht mehr so lustig wie früher. Diese Sünder hatten alle dreckiges Blut. Beschmutzt und unrein. Nur Lucifer, der gerade vor ihm saß, besaß reines Blut. Fast bildete er sich ein es heiß durch die Adern des Anderen pulsieren zu hören. Fast konnte er es riechen. "Also? Wie lautet deine Antwort?" Lucifers Stimme riss Alastor aus seinen Gedanken. Fast zu spät. Er spürte schon wie das Verlangen nach diesem reinen Blut seine Gedanken vernebelte. "Ich werde dich nicht mehr ignorieren, Lucy." Ich kann nicht, fügte Alastor in Gedanken hinzu. "Wenn du etwas mit mir machen willst, dann sag es einfach. Dann werde ich es auch nicht ablehnen." Anders gesagt, er würde alles tun, was Lucifer von ihm verlangte. Am liebsten hätte Alastor sich ins Gesicht geschlagen. Wie bescheuert konnte man eigentlich sein? Gerade noch wäre er Lucifer schon wieder fast an die Gurgel gegangen und jetzt hatte er auch noch zugestimmt so viel Zeit, wie Lucifer es wollte, mit ihm zu verbringen. Das war viel mehr Zeit, in der er Lucifer verletzen könnte. Ein unglaublich hohes Risiko. "Dann kannst du jetzt erstmal gehen." Es war beschämend, wie schnell Alastor Lucifers Befehl folgte. Würde sein Ich vor noch ein paar Wochen ihn jetzt so sehen, würde es sich schämen. Wie schnell nur hatte Lucifer es geschafft den Spieß umzudrehen? Warum befolgte jetzt Alastor Lucifers Wünsche und nicht andersherum? Er besaß doch seine Seele, wie konnte es nur sein, dass er jetzt schon so verweichlicht war? Was war nur passiert?

Hazbin Hotel || RadioappleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt