After Dark

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Harry hatte ganz vergessen gehabt, wie es war, sich die Seele aus dem Leib zu kotzen. Es war eine widerliche Angelegenheit und hatte einen furchtbaren Geschmack in seinem Mund zurückgelassen.
„Das war vielleicht keine so gute Idee", gestand er sich leise stöhnend ein, als er den Kopf hob und den Abzug der Toilette betätigte.
Mühsam schloss er den Deckel, stützte die Unterarme darauf ab und zog sich auf die Beine. Kraftlos ließ er sich auf dem Badewannenrand nieder und strich sich das schweißnasse Haar aus dem Gesicht.
„Nein, das war ganz sicher keine gute Idee. Zumindest nicht die Menge ..."
Es hatte hin und wieder eben auch keine Vorteile, sich in den Tiefen des Alkohols zu verlieren. Gerade hämmerte sein Herz wie wild und er war durchgeschwitzt.
Wenigstens hatte niemand der Erwachsenen seinen peinlichen Absturz gesehen.
Harry wagte sich kaum zu rühren. Er neigte den Kopf nach hinten und die Konturen des Badezimmers verschwammen. Ihm war noch immer schwindelig und er verlor das Gleichgewicht. Er landete auf dem kühlen Marmorboden und starrte benommen geradeaus. Erst jetzt bemerkte der Gryffindor, wie sehr er zitterte. Er zupfte an den Rand seines T-Shirts und stieß die Luft aus.
Stand er unter Schock?
„Oh Gott", hauchte Harry leise. Ein kurzer Gedanke an die bevorstehenden Wochen entfesselte die vergangenen Eindrücke, und die Stimme, die er immerzu hörte, stieß einen schrillen Ton aus.
Bunte Farben explodierten vor seinem Gesichtsfeld und Harry wusste nicht, wie ihm geschah.
Er wusste nicht, was er wollte und was er tun sollte. Alles hatte sich seiner Kontrolle entzogen.

– Was brauchst du? –

Das Brennen in seinen Augen wurde unerträglich, und bevor der Goldjunge wusste, wie ihm geschah, weinte er endlich. Ein gewaltiges, schmerzhaftes Schluchzen erschütterte den schmächtigen Leib. Die Tränen, die er so lange zurückgehalten hatte, rannen ihm endlich über das blasse Gesicht. Die Verzweiflung und die Wut, die er so lange heruntergeschluckt hatte, brach sich Bahnen und brannten unnachgiebig in seiner Brust. Er konnte kaum Atmen. Wann hatte es begonnen, alles schiefzugehen?
Harry schlang die Arme um die Beine, die er an die Brust gezogen hatte, und bettete den Kopf darauf.
Die Selbstbeherrschung, die er sonst an Tag legte, war ihm entglitten und die Maske zersplittert.
Irgendwer schrie wie ein Geisteskranker und eine unwirkliche Sekunde später dachte er, es sei noch jemand im Badezimmer.
Ein hektischer Blick verriet allerdings, dass er allein war. Der Goldjunge zuckte zusammen und biss sich auf die Lippen, um die Geräusche zu dämpfen.
Er war es gewesen, der den Schrei ausgestoßen hatte. Bebend krallte der Bursche die Fingernägel in den mitgenommenen Jeansstoff.
Er konnte nicht hier bleiben. Auf gar keinen Fall!
Nicht hier. Nicht hier. Nicht hier!
Die Erkenntnis, dass er bei seinen schlimmsten Feinden seine Zeit zubringen musste, betäubte Harry gerade nicht mehr.
Ja, der Gryffindor hatte sich Abwechslung gewünscht. Hatte gehofft, dass er seiner Verwandtschaft entkommen konnte. Doch das war nicht das, was er gewollt hatte. Er hatte sich einen Sommer bei Ron erhofft, nicht das.
Harry verdrehte die Augen und ließ sich dazu hinreißen, seinen Gefühlen Platz zu geben.
Ein abscheulicher Knall ertönte und der Spiegel über dem Waschbecken brach auseinander. Glassplitter regneten auf ihm herab und der Bursche spürte, wie ihm der Unterkiefer aufklappte.

-Scheiße!-

Losgelöst begriff Harry, dass er den Spiegel mit Magie demoliert hatte. Mit weit aufgerissenen Augen betrachtete er den Scherbenhaufen, der sich funkelnd vor ihm ausbreitete.

–Was brauchst du, Harry?–

Ja, was brauchte er? Das war eine gute Frage. Er beugte sich nach vorne. Matt schloss Harry die Hand um eine große Glasscherbe und betrachtete sie. Die Scherbe war scharfkantig und unregelmäßig gezackt.
Zuerst ließ er sie unschuldig hin und her wandern, dann drückte Harry zu und spürte, wie sie sich tief in seine Hand grub. Wenn er klug gewesen wäre, hätte er sie jetzt losgelassen. Doch er tat es nicht. Er drückte entschlossen zu. Der Schmerz, der aufblühte wie eine junge Knospe, begann die anderen Gefühle in den Hintergrund zu jagen.
Endlich kam der Goldjunge so weit zu sich, dass er einige Sekunden brauchte, um zu begreifen, was er tat.
„So weit ist es wohl schon gekommen ..."
Langsam und zitternd öffnete er die Handfläche und ließ die blutige Scherbe zu Boden fallen.
Er würde hier bei Malfoy nichts zu tun haben, außer elendig zu verrotten. Durch den Nebel nahm er seine Umgebung kaum noch wahr und eine bleierne Müdigkeit legte sich über ihm.

Three souls - one fate Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt