Dornige Rosen

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Harry hob das Kinn und versuchte, die Emotionen, die in den Augen der Anwesenden standen, so gut es ging, zu ignorieren, doch egal, wo er auch hinsah: Er konnte ihnen nicht entkommen.
Es war, als prasselte jede Emotion einzeln auf ihn ein.
Neugier, Schadenfreude, Verwirrung, Mitleid, Verachtung.
Die verschiedenen Gefühle schlugen den Burschen entgegen wie ein eisiger Schneesturm und nahmen ihm die Luft zum Atmen.
Er wusste, was die Leute sahen. Ein Gespenst, das er nie hätte werden wollen. Einen blassen Burschen kaum noch als solcher zu erkennen.

– Harry! Haben Sie einen Moment? Wollen Sie mit mir gemeinsam über die Tanzfläche schweben? –
– Nein, will ich nicht! –

Es war nichts, worüber man sich aufregen sollte – das wusste der Bursche. Allerdings hatten die Worte von Gilderoy eine Andeutung innegehabt, die dafür gesorgt hatte, dass ihm sämtliche Haare zu Berge standen.
Warme Nachtluft hieß ihn willkommen, hüllte ihn ein wie ein kuscheliger Mantel. Und dennoch fröstelte er und schlang die Arme um sich.
Harry blieb nicht stehen, sondern huschte weiter, immer tiefer und tiefer in die Dunkelheit hinein.
Das Castle, das sanfte Licht der Kerzen, das Streichorchester und die Stimmen der Gäste ließ er mit jedem Schritt weiter hinter sich.
Das hektische Atmen des Burschen und das Knirschen des Kieses durchbrachen die Stille. Wenn er innehielt und auf die Umgebung lauschte, konnte er Grillen und Zirpen hören.

– Wovor hast du Angst? –

Harry hielt inne und biss sich auf die Lippen. Das war eine Frage, die er nicht beantworten konnte. Wenn er an Gilderoy und an seine Zukunft im Unbekannten dachte, wusste er nicht, was ihn erwartete.
Er fühlte dabei die unterschiedlichsten Dinge auf einmal. Unbehagen, Unruhe.
Das Zirpen von Grillen war jetzt intensiver zu hören. Unter einem Baldachin aus Rosen blieb er schließlich stehen.
Seine Lunge brannte von der ungewohnten Anstrengung.
Mit zittrigen Beinen steuerte er eine verzierte Steinbank an, die von Ranken in Beschlag genommen worden war, und ließ sich darauf sinken.
Die kalte Oberfläche drang durch den Stoff seines Mantels und kühlte etwas seinen erhitzten Körper. Langsam beruhigte sich Harrys Herzschlag und er starrte beklommen auf die silbernen Metallstreben, an denen sich die Rosen nach oben wanden.
Er verfolgte die Windungen und Muster, zählte die Blüten, dann die Blätter. Nur um nicht an das, was soeben geschehen war, zu denken.
Hinter den Rosenranken befand sich ein kleiner Springbrunnen.
Aufgeregtes Schnattern und heftiges Flügelschlagen ließen ihn erschrocken aufsehen.
Lucius stand vor ihm und lächelte.
„Lockhart versucht, Sie in die Finger zu bekommen. Das sollten Sie vielleicht wissen", sagte der blonde Mann, und seine Stimme klang merkwürdig angespannt, als er sich zu ihm setzte.
Harry blinzelte und schürzte die Lippen leicht.
„Geht es Ihnen nicht gut?"
„Mir geht es Bestens, Harry."
„Sie klingen aber nicht so."
Malfoy tat seinen Einwand mit einer eleganten Handbewegung ab.
„Nun", kam er auf ihr Thema zurück, „ich vermute, dass er sich nicht so leicht geschlagen geben wird. Was bedeutet, dass ich seine Visage möglichst bald verschönern darf."
Der Bursche konnte es nicht fassen, lächelte aber.
„Nun ja ... ich würde nicht sagen, dass er es nicht verdient hätte."
Harry kniff die Lippen zusammen.
„Lachen Sie etwa?"
„Nein."
„Sie sehen aber so aus, als würden Sie lachen."
Malfoy schüttelte den Kopf.
„Nun", sagte der Bursche leise, offensichtlich etwas ungehaltener, „er hat mir die Schmerzen meines Lebens geschenkt. Es wäre nur fair, wenn jemand seine arrogante Visage auf gleich fräst."
Harry lehnte sich nach vorne und seufzte.
„Ich hasse es, so schwach zu sein."
Lucius beugte sich nach vorne und umfasste seine Hände, dann begann er über seine Finger zu streicheln.
„Harry. Sie sind nicht schwach. Sie haben eine Macht in sich, die alles Dagewesene in den Schatten stellen kann. Sie brauchen nur etwas Selbstvertrauen."
Malfoy beäugte ihn, als erwartete er, dass er jeden Moment abhauen und sich von einer Klippe stürzen würde. Der Bursche bemerkte, dass er zu keiner Sekunde aus den Augen gelassen wurde.
Ein ohrenbetäubender Knall ließ Harry zusammenzucken und er tauschte einen Blick mit Lucius.
Etwas zerbarst in einer sich wiederholenden Salve im Castle, und man hörte das Geschrei der Gäste.
Malfoy erhob sich und strich den schwarzen Frack glatt.
„Warten Sie hier. Ich bin gleich wieder da. Bewegen Sie sich nicht vom Fleck."
„In Ordnung."
Der Bursche war noch nicht alleine, als etwas über ihm explodierte und glühende Funken auf ihn herabfielen.
Verwirrt hob er den Kopf.
Ein Windstoß traf ihm im Rücken, als weitere Funken in seiner Nähe zerbarsten.
Der aufkommende Wind war so stark, dass die Gräser, Blätter und Blüten leise raschelten, und der Duft von Rosen stieg ihm in die Nase.
Wie gebannt steckte er die Hand nach einem Funken aus und zog zischend die Luft ein, als der Funke sich in seinem Mantel brannte.

Three souls - one fate Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt