20. Silbergrau - Zartgrau
Mir war klar, dass dieser Tag kommen würde. Dass er mich irgendwann fragen würde, weshalb ich zu Beginn dermaßen garstig zu ihm war. Warum ich jedes Mal, wenn es um ihn ging, ausgetickt bin. Weshalb ich mich so irrational verhalten habe.
Ebenso habe ich geahnt, dass er so clever sein würde, den Vergleich zwischen sich und den Überläufern, die nach ihm gekommen sind, zu ziehen. Parkinson, die Greengrass-Schwestern, Theodore. Mit jedem von ihnen habe ich eine mehr oder weniger angespannte Vergangenheit. Ich kann sogar mit Fug und Recht behaupten, dass keiner von ihnen jemals auch nur ansatzweise freundlich zu mir war. Und dennoch, obwohl ich genügend Gründe gehabt hätte, sie genauso zu behandeln wie Malfoy, bin ich ihnen gegenüber nicht übermäßig feindselig aufgetreten.
Also ja, ich habe fest damit gerechnet, dass das Thema eines Tages zur Sprache kommen würde. Aber muss es ausgerechnet heute sein?
Fast bereue ich, dass ich ihm erlaubt habe, mir während meiner Tagwache bei Hogsmeade Gesellschaft zu leisten. Denn jetzt führt kein Weg daran vorbei: ich werde mein größtes Geheimnis preisgeben müssen. Ein Geheimnis, das ich bis vor Kurzem wie meinen Augapfel gehütet habe; das ich jahrelang keiner Menschenseele, nicht einmal meinen engsten Freunden, anvertraut habe. Und falls es unangenehm werden sollte, kann ich nicht einmal die Flucht ergreifen, denn meine Schicht endet erst in ungefähr vier Stunden.
Ein resigniertes Lachen pufft über meine Lippen.
„Ich wusste, dass wir eines Tages darüber reden würden", sage ich kopfschüttelnd.
„Und?", fragt Malfoy verschmitzt. „Ist dieser Tag heute?"
Ich werfe einen prüfenden Blick in sein Gesicht; registriere das Zucken seiner Mundwinkel und das spitzbübische Glitzern in seinen grauen Augen, das seit Wochen für die Wärme in meiner Brust verantwortlich ist. Plötzlich bin ich wieder das sechzehnjährige Mädchen, das ihn durch die bunten Funken eines magischen Feuerwerks hinweg betrachtet und wehmütig feststellt hat, wie gut er doch aussieht.
Hitze schießt mir in die Wangen und bringt mich dazu, mich abzuwenden und in den Wald zu starren. Jep, das ist besser. Ich atme einmal tief durch.
„Na schön", murre ich und wähle die kurze und schmerzlose Variante. „Sagen wir mal, ich hatte zu Schulzeiten so etwas wie eine... Schwäche für dich."
Einen Atemzug lang herrscht vollkommene Stille.
„Schwachsinn", schnaubt Malfoy dann inbrünstig. „Hattest du nicht."
Am liebsten würde ich erneut auflachen, doch ich unterdrücke es. Wenn er nur wüsste. Naja, gleich wird er es wissen, schätze ich. Ich erschaudere.
„Oh, das hatte ich", beteuere ich, entscheide mich dann aber dafür, zunächst ein wenig Schadensbegrenzung zu betreiben, bevor ich es erkläre, denn was ich auf keinen Fall von ihm will, ist Mitleid. „Aber mach dir nicht gleich ins Hemd. Es folgt keine rührende Geschichte über eine unerwiderte erste große Liebe, falls es das ist, was du gerade denkst. Dafür warst du viel zu unfreundlich. Es war einfach eine dumme, kleine Schwärmerei. Ziemlich substanzlos. Auch nicht kontinuierlich, nur hin und wieder. Unter anderen Umständen wäre es nicht einmal der Rede wert."
Es ist nur halb gelogen. Das, was ich zu Hogwartszeiten für Malfoy empfunden habe, als 'erste große Liebe' zu bezeichnen, wäre definitiv übertrieben. Allerdings war es nicht so 'substanzlos' und unbedeutend, wie ich es nun darstelle. Damals waren eine Menge Gefühle im Spiel. Neben einer gewissen Anziehung, die mal mehr und mal weniger intensiv war, auf jeden Fall Hoffnung. Aber auch Verständnis, Besorgnis und ein (für unser Verhältnis) recht ausgeprägter Beschützerinstinkt meinerseits. Man muss kein Genie sein, um sich auszumalen, was für einen nachhaltigen Eindruck solch starke Emotionen auf ein Teenagergehirn haben können.

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REBEL
Fanfictionᴅʀᴀᴍɪᴏɴᴇ • Hermine ist eine Rebellin. Niemand weiß besser als sie, dass der Grat zwischen Gut und Böse schmal ist. Dieser schmale Grat ist grau. Wie Malfoys Augen. Jetzt ist er hier, im Hauptquartier, zu gleichen Teilen die personifizierte Provokati...