23. Stahlgrau
Ich schreie. Und schreie, und schreie, und schreie.
Und ich höre nicht auf. Selbst dann nicht, als irgendjemand meine Hände von Dracos Gesicht löst und sich zwischen mich und seinen reglosen Körper schiebt.
Ich taumele zurück, lande auf meinem Hintern und verfalle in eine Art Schockstarre. Wie gelähmt sehe ich Harry dabei zu, wie er seinen Rückkehr-Portschlüssel hervorzieht, eine Hand um Dracos Oberarm legt und mit ihm verschwindet. Als könnte er ihn retten. Als würde er keine Leiche zurück ins Hauptquartier bringen.
Erst als sich die bislang bewegungslos in der Luft schwebende Aschewolke verflüchtigt, versagt auch meine Stimme. Ich klappe den Mund zu und atme scharf durch die Nase ein.
Leere.
Das ist alles, was ich jetzt noch fühle. Verschwunden ist nicht nur die Wärme, sondern auch die Wut, die Trauer, die Resignation. Da ist einfach gar nichts mehr. Genauso wie er nicht mehr ist.
Ich habe mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass nur einer von uns beiden sein Leben lassen würde; dass ich diejenige sein würde, die übrig bleibt; dass er mich zurücklassen könnte.
„So ein Jammer", gackert eine der wenigen Stimmen auf dieser Welt, die ich aus vollstem Herzen verabscheue, auch wenn sie dabei nicht ganz so ekelhaft frohlockend klingt wie sonst. „Zwei der bedeutendsten Blutlinien unserer Zeit, ausgelöscht wegen eines Schlammbluts. Unsere Ahnen werden sich in ihren Gräbern herumdrehen."
Wie in Zeitlupe wende ich den Kopf und starre zu Bellatrix hinüber.Sie kniet auf dem Boden — direkt vor dem immer noch blubbernden Kessel auf dem Couchtisch, zwischen den leblosen Körpern ihres Ehemannes und ihres Schwagers und mit der Spitze eines mir nur allzu bekannten Zauberstabs an der Kehle.
Ron steht schweratmend hinter ihr, macht aber trotz seines ramponierten Äußeren einen stabilen Eindruck. Seine Augen sind klar und sein ernster Blick ruht abwartend auf mir. Zwar tropft Blut von seiner Schläfe auf sein Schulterholster, aber die dafür verantwortliche Platzwunde wirkt nicht lebensbedrohlich. Ich frage mich unwillkürlich, wie lange er schon wach ist; wie lange er sich bewusstlos gestellt und auf den richtigen Moment gewartet hat. Mir kommt der Gedanke, dass er Dracos Tod vielleicht hätte verhindern können, aber ich warte vergeblich auf das Aufflammen des Zorns, der mir in den letzten Jahren so vertraut geworden ist.
Nein, da ist gar nichts. Nur diese Leere.
Langsam rappele ich mich auf, schüttele den Tremor, den ich dem Cruciatus zu verdanken habe, aus meinen Gliedern und stapfe entschlossen auf Rodolphus zu. Mit einem saftigen Tritt sorge ich dafür, dass er auf den Rücken rollt, dann gehe ich in die Hocke und taste ihn ab, bis ich das vertraute Holz meines Zauberstabs unter meinen Fingerspitzen spüre. Ich ziehe ihn aus der Innentasche von Rodolphus' Umhang, richte mich auf und trete vor Bellatrix.
„Falsch", sage ich emotionslos, bevor ich den Stab direkt auf ihre Stirn richte.
Ihre dunklen Augen huschen wild zwischen meinen hin und her. Ich meine, so etwas wie Angst in ihnen flackern zu sehen, doch auch bei diesem Anblick verspüre ich nichts. Nicht einmal Triumph. Nur diese alles verzehrende Leere.
„Teddy Lupin lebt", erinnere ich sie. „Er wächst wohlbehalten an einem sicheren Ort auf und wird sehr geliebt. Die Blutlinie der Blacks wird fortbestehen und gleich, in nur wenigen Sekunden, wird sie zum allerersten Mal wirklich rein sein."
Bei meinen letzten Worten bediene ich mich einer Fratze, die ich nicht einmal ansatzweise fühle, indem ich mein tränenüberströmtes Gesicht zu einem gehässigen Grinsen zwinge.

DU LIEST GERADE
REBEL
Fiksyen Peminatᴅʀᴀᴍɪᴏɴᴇ • Hermine ist eine Rebellin. Niemand weiß besser als sie, dass der Grat zwischen Gut und Böse schmal ist. Dieser schmale Grat ist grau. Wie Malfoys Augen. Jetzt ist er hier, im Hauptquartier, zu gleichen Teilen die personifizierte Provokati...