21. Lichtgrau
„Dieser Gesichtsausdruck gefällt mir nicht", dröhnt eine Stimme über die Lichtung.
Ich muss nicht aufschauen, um zu wissen, dass es Ron ist, der kurz darauf zu mir herüber stapft. Bei jedem seiner ausladenden Schritte zerbröselt das gefrorene Laub, das die letzten Überbleibsel des vergangenen Herbstes darstellt, unter seinen schweren Kampfstiefeln. Gefühlt ist das dadurch entstehende Knirschen meilenweit das einzige Geräusch.
Es ist ein unwillkommenes Wunder, dass es tatsächlich jemanden gibt, dessen Nachtwache noch länger gedauert hat als meine. Ich habe darauf gebaut, hier eine Weile ungestört sein zu können.
Ron setzt sich mit einem Abstand von zwei guten Metern neben mich, lehnt sich mit dem Rücken an einen dicken Baumstamm und streckt seine langen Beine aus. Sobald er auf dem wurzeligen Boden eine bequeme Position gefunden hat, hebt er seinen Zauberstab und belegt erst mich und dann sich selbst mit einem starken Wärmezauber. Es ist aufmerksam, allerdings fehlt mir die Motivation, mich bei ihm zu bedanken.
„Was ist los?", will er wissen.
Mit einem tiefen Seufzen hebe ich den Kopf und sehe ihn an.
„Ich muss es ihm sagen", verkünde ich.
Er lüpft eine Augenbraue.
„Wir sprechen über Malfoy, nehme ich an?", kombiniert er.
Ich nicke lediglich. Einen Moment lang herrscht Stille, von der ich vermute, dass Ron sie dazu nutzt, sich zusammenzureimen, worauf ich anspiele.
„Lucius?", fragt er schließlich.
Normalerweise würde ich ihm jetzt zu seiner schnellen Auffassungsgabe gratulieren, woraufhin er höchstwahrscheinlich mit seinen Lieblingssatz „Immer dieser überraschte Unterton!" antworten würde. Auch dieser ist ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten; eine lieb gewonnene Tradition. Heute steht mir jedoch nicht der Sinn danach, mit ihm herumzualbern.
Meine Miene scheint Antwort genug zu sein.
„Aha. Und warum jetzt?"
Was soll ich dazu bitteschön sagen?
Weil ich es bisher wunderbar verdrängt habe, wie so ziemlich alles.
Weil meine rosarote Brille mich erfolgreich davon abgelenkt hat.
Weil ich nicht wollte, dass er wieder anfängt, mich zu hassen.
Weil ich scheinbar eine verdammte Egoistin bin, wenn es um ihn geht.Ich entscheide mich für eine vermeintlich vernünftigere Antwort.
„Nun, er hat das Recht, es zu erfahren, findest du nicht?", murmele ich erschöpft. „Die Entscheidung, ob er wirklich mit uns das Manor stürmen will, sollte er unter Einbezug aller Informationen treffen dürfen."
In einer Art unterbewussten Abwehrreaktion schlinge ich die Arme um meine angewinkelten Beine und lege das Kinn auf meinen Knien ab.
Ron runzelt die Stirn.
„Warum habe ich das Gefühl, dass es hier überhaupt nicht um die Mission geht?", fragt er mit argwöhnisch verengten Augen.
Rasch verlagere ich meinen Blick von seinem Gesicht auf die nebelverhangene Lichtung. Der Box Hill National Trust ist im Januar ein echt trostloser Ort, was ehrlicherweise der Grund ist, weshalb ich mich hierher zurückgezogen habe. Das ewige Grau in Grau passt ganz hervorragend zu meiner schlechten Laune. Und es ist still. Eigentlich.
Leider hält mein stoisches Schweigen Ron nicht davon ab, mir einen Vortrag zu halten.
„Pass mal auf, Hermine", sagt er ungewohnt ernst. „Ich weiß nur zu gut, wie es ist, nachts wach zu liegen, weil einen die Schuldgefühle plagen, glaub mir. Aber wir sprechen hier über Malfoy. Jemanden, der in den letzten Jahren mindestens genauso viele Menschen umgebracht hat wie du oder ich. Nur, dass es in seinem Fall meistens gute Menschen waren; unschuldige Menschen. Da wäre Fleur, um nur ein einziges Beispiel zu nennen. Und trotzdem haben wir ihn aufgenommen und ihm unser Vertrauen geschenkt."
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REBEL
Fanficᴅʀᴀᴍɪᴏɴᴇ • Hermine ist eine Rebellin. Niemand weiß besser als sie, dass der Grat zwischen Gut und Böse schmal ist. Dieser schmale Grat ist grau. Wie Malfoys Augen. Jetzt ist er hier, im Hauptquartier, zu gleichen Teilen die personifizierte Provokati...