1.1: Erinnerung....

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Berivan spürte beim Betreten des Flughafens, wie eine Schwere auf ihr Herz drückte. Sie schaute ein letztes Mal zurück, als sie die Sicherheitskontrolle passierten, und versuchte, die vertrauten Gesichter der Menschen, die sie in den letzten Wochen so sehr ins Herz geschlossen hatte, in ihrem Gedächtnis festzuhalten.

Die Zeit in dem Dorf war wie ein Traum gewesen, ein Ausbruch aus dem hektischen Leben in Deutschland in eine Welt voller Einfachheit und purer Freude. Sie dachte an die warmen, sonnigen Tage, an denen sie über die Hügel rannte, an das fröhliche Lachen und die endlosen Gespräche mit den Nachbarn, an das leise Knacken des Feuers, während sie und ihre Oma Brot buken, und an die flüchtigen, verwirrenden Begegnungen mit dem braunhaarigen Jungen. Was war das für ein Gefühl gewesen, das sie immer dann durchströmte, wenn sie in seiner Nähe war? War es das erste Aufkeimen einer Liebe oder einfach nur ein jugendliches Verlangen nach Nähe und Verständnis?

Berivan wusste es nicht genau, aber sie wusste, dass diese Momente sie verändert hatten. Der Abschied von ihrer Oma, die ihr so viel von der Tradition und dem Leben im Dorf beigebracht hatte, war schwer.

Im Flugzeug schaute Berivan aus dem Fenster, während die Maschine abhob. Unter ihr verschwand das Dorf, und sie sah, wie die Landschaft sich veränderte – von den weiten, sanften Hügeln und Feldern hin zu den schroffen Gebirgen und schließlich in die Wolken, die alles verdeckten.

Nach einer Weile schloss Berivan die Augen und ließ die Erlebnisse der vergangenen Wochen noch einmal Revue passieren. Sie wusste, dass sie bald in ihr altes Leben in Deutschland zurückkehren würde, aber ein Teil von ihr würde immer in diesem kleinen Dorf bleiben, wo sie ihre Wurzeln, die Liebe und eine unerklärliche Sehnsucht gefunden hatte.

Als das Flugzeug zur Landung ansetzte und die Lichter der Stadt unter ihnen auftauchten, fühlte Berivan ein seltsames Gefühl von Frieden. Sie wusste, dass sie diese Erfahrungen und Erinnerungen immer bei sich tragen würde, egal wo sie war. Und sie wusste auch, dass dies nicht das letzte Mal sein würde, dass sie die Reise in das Dorf ihrer Vorfahren antreten würde. Es war eine Reise, die sie immer wieder machen würde
nicht nur in die Türkei, sondern auch zu sich selbst.

Nach der Landung in Deutschland spürte Berivan die vertraute Kühle der Luft, die sie auf eine ganz andere Art und Weise begrüßte als die heiße Sonne des Dorfes. Sie zog tief die frische, klare Luft ein und schaute sich um. Ihre Eltern warteten bereits .

Die Fahrt zurück nach Hause war still. Berivan sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die vertrauten Straßen und Häuser der Stadt an ihr vorbeizogen. Alles schien genauso zu sein, wie sie es verlassen hatte, und doch fühlte sich etwas in ihr anders an. Sie konnte nicht anders, als darüber nachzudenken, wie anders das Leben im Dorf war – langsamer, enger, aber auch voller Wärme und Gemeinschaft.

Zurück in ihrem Zimmer ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Die Wände waren geschmückt mit Bildern von Freunden, von ihrer Schule und von Urlauben, die sie zuvor gemacht hatte. Aber keines dieser Bilder konnte die Gefühle und Eindrücke einfangen, die sie in den letzten Wochen erlebt hatte. Sie griff nach ihrem Notizbuch und begann zu schreiben. Seite um Seite füllte sich mit ihren Gedanken, ihren Erinnerungen und den Gefühlen, die sie für das Dorf und seine Menschen hegte.

Tage vergingen, und langsam kehrte der Alltag in ihr Leben zurück. Die Schule begann wieder, und sie traf ihre Freunde, aber sie fühlte sich nicht ganz wie früher. Berivan merkte, dass sie verändert war. Sie hatte das Gefühl, dass sie mit einer neuen Tiefe auf die Welt schaute, als ob sie plötzlich ein Geheimnis kannte, das andere nicht kannten.

Eines Tages beschloss sie, einen Brief an ihre Oma zu schreiben. Sie erzählte ihr von der Schule, von den Dingen, die sie tat, und wie sehr sie die Zeit im Dorf vermisste. "Ich habe viel nachgedacht, seit ich zurück bin", schrieb sie. "Ich denke oft an die Tage, die wir zusammen verbracht haben, an die Einfachheit und die Schönheit des Lebens dort. Ich fühle mich irgendwie verloren hier, als ob ich nicht ganz dazugehöre. Aber wenn ich an das Dorf denke, fühle ich mich zu Hause."

Der Taubenjunge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt