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Als Berivan auf ihr Handy schaute, bemerkte sie durch das Fenster, das zur Terrasse zeigte, dass ein Haufen Besuch auf dem Weg war.

Berivan war komplett fertig und wollte einfach nur ausruhen. Sie hatte jetzt keine Geduld für Besuch, aber es war so üblich, und man musste da einfach durch. Dabei war auch der braunhaarige Junge, und seine Eltern. Sie hätte sich wahrscheinlich gefreut aber heute war einfach nicht der richtige Tag für Gesellschaft. Dennoch zwang sie sich, freundlich zu bleiben. Die Familie lächelte, während sie näherkamen, doch in Berivan regte sich der Wunsch, sich einfach zurückzuziehen.

Alle saßen jetzt im Wohnzimmer, auf den Boden gelehnt auf Kissen. Es waren bestimmt über zehn Leute da, und wir tranken Tee und aßen Sonnenblumenkerne oder Pistazien. Ich warf einen Blick zu meiner Mutter, die genauso wenig verstand wie ich. Der Raum füllte sich mit türkischen Gesprächen, und wir verstanden kein Wort. Wir lächelten höflich, nickten ab und zu, aber das Gefühl, fehl am Platz zu sein, war nicht zu übersehen. Es fühlte sich an, als wären wir in unserer eigenen kleinen Welt, während um uns herum eine andere existierte.

Während die Gespräche immer lauter wurden, spürte ich, wie die Unruhe in mir wuchs. Ich beobachtete, wie die anderen lachten und sich lebhaft unterhielten, aber für mich und meine Mutter war es, als wären wir stumme Zuschauer in einem Film ohne Untertitel.

Ab und zu begegnete ich dem Blick des braunhaarigen Jungen, der kurz zu mir rüberschaute, dann aber schnell wieder in das Gespräch mit seinen Eltern vertieft war. Es war seltsam, wie sehr sich die Nähe von so vielen Menschen dennoch wie Einsamkeit anfühlen konnte.

Meine Mutter nahm einen tiefen Schluck Tee und seufzte leise. Ich wusste, dass sie genauso erschöpft war wie ich, aber es gab keine Möglichkeit, sich zurückzuziehen, ohne unhöflich zu wirken. So saßen wir da, nickten und lächelten, während wir heimlich auf die Uhr schielten und hofften, dass der Abend bald ein Ende finden würde.
Wie gesagt wir waren sehr erschöpft deswegen .

Mit der Zeit wurden die Gespräche allmählich leiser, und die ersten Gäste begannen, sich zu verabschieden. Ein paar Umarmungen, ein herzliches „Gute Nacht" auf Türkisch, und nach und nach leerte sich das Wohnzimmer. Meine Mutter und ich beobachteten, wie einer nach dem anderen die Tür hinter sich schloss. Die angespannte Höflichkeit, die den Raum die ganze Zeit erfüllt hatte, begann langsam abzufallen, und ich spürte, wie eine tiefe Erleichterung in mir aufstieg.

Der braunhaarige Junge war einer der Letzten, der ging. Er warf mir noch einen letzten Blick zu, bevor er mit seinen Eltern die Tür hinausging. Es war ein kurzer Moment, aber irgendwie beruhigend – ein unausgesprochener Dank dafür, dass er uns bemerkt hatte, ohne große Worte darüber zu verlieren.

Als die letzte Familie schließlich gegangen war, ließ meine Mutter sich auf das Sofa fallen und atmete tief aus. „Endlich," murmelte sie erschöpft und schloss kurz die Augen.

„Ja," antwortete ich leise und ließ mich neben ihr nieder. Die Stille fühlte sich ungewohnt, aber willkommen an. Keine fremden Gespräche mehr, keine gestellte Höflichkeit. Nur noch wir beide, in unserem Zuhause, das sich plötzlich wieder ruhig und vertraut anfühlte.

„Ich hoffe, der nächste Besuch lässt etwas auf sich warten," sagte meine Mutter mit einem kleinen Lächeln, und ich musste unweigerlich lachen. Es war vorbei – zumindest für heute.

Nachdem alle Gäste gegangen waren und das Wohnzimmer endlich leer war, setzten wir uns noch kurz mit meiner Oma und meinem Stiefvater zusammen. Sie unterhielten sich leise, während wir die letzten Reste des Tees tranken und die Sonnenblumenkerne zur Seite stellten. Die Luft war schwer von der Müdigkeit, die sich in jedem von uns breit machte, doch es fühlte sich gut an, diese ruhigen Momente nach dem Trubel zu teilen.

Nach einer Weile sagte meine Mutter: „Es ist spät, lasst uns ins Bett gehen." Wir nickten alle zustimmend. Wie immer machten wir uns bettfertig, räumten noch schnell die letzten Kleinigkeiten weg und stiegen dann die knarrende Metall treppe hinauf aufs Dach. Dort oben, unter dem weiten Sternenhimmel, waren unsere Schlafplätze. Die Nachtluft war angenehm kühl, und die Geräusche der Stadt in der Ferne wirkten beruhigend.

Ich legte mich auf meine Matratze, die wie immer direkt neben der meiner Schwester lag. Der leichte Wind streifte über mein Gesicht, und ich blickte noch eine Weile zu den funkelnden Sternen hinauf, bevor die Müdigkeit mich übermannte. Es war ein langer Tag gewesen, doch jetzt, hier oben auf dem Dach, fühlte ich mich endlich ruhig und in Frieden.

Der leichte Wind spielte mit den Vorhängen, die sich sanft über unseren Schlafplätzen bewegten. Das Dach bot einen klaren Blick auf den Sternenhimmel, der in dieser Nacht besonders hell war. Die Geräusche der Stadt wurden leiser, und nur das gelegentliche Hundegebell oder das ferne Summen eines Motorrads erinnerte daran, dass das Leben unten weiterging.

Ich drehte mich auf die Seite und sah meiner Schwester , die schon fast eingeschlafen war. Ihre Atmung war ruhig und gleichmäßig, und es beruhigte mich zu wissen, dass auch sie endlich etwas Ruhe fand. Neben uns lag meine Oma, die noch leise vor sich hin murmelte, während mein Stiefvater sich schon längst in seine Decke eingerollt hatte.

Die Nacht hier oben war immer besonders – die klare Luft, der weite Himmel und das Gefühl, dem Alltag für einen Moment entkommen zu können. Obwohl der Tag anstrengend gewesen war, spürte ich nun, wie eine tiefe Zufriedenheit in mir aufstieg.

Langsam schloss ich die Augen, ließ die letzten Gedanken an den Besuch und die Gespräche verblassen und konzentrierte mich auf die Ruhe. Der Wind, der über das Dach zog, trug den Duft von Jasminblüten mit sich, und ich fiel schließlich in einen tiefen, friedlichen Schlaf.

Der Taubenjunge Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt