Der letzte Abend

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Erst als alle anderen Talente fertig waren, wurden Vanessa und ich nochmal in den Probenraum gerufen. Mein Herz klopfte. Was würde Mark nun sagen? Er würde sicher sagen, dass er enttäuscht von uns ist. Er würde es sicher sagen, dass wir gleich hätten zu ihm kommen sollen. Oder vielleicht würde auch einfach gar nicht sagen? Nur ein kurzes ‚Es bleibt alles so, wie es ist'? Ich schüttelte die Gedanken von mir ab. Eine Kamera war auf uns gerichtet, die andere auf Mark. Er atmete einmal tief durch.
„Mädels", sagte er dann, „ich will, dass ihr euch wohlfühlt. Ich möchte nicht, dass ihr denkt, ihr werdet hier für irgendeinen Showkram missbraucht. Das war nicht meine Absicht, wenn das so rüber kam, tut es mir leid."
Ich kniff die Augen zusammen. Jetzt suchte Mark die Schuld bei sich? Er hat nichts falsch gemacht. Es war das Produktionsteam.
„Du hast uns kein schlechtes Gefühl gegeben, Mark! Wir werden den Song rocken! Auf unsere Weise!", antwortete ich.
„Ich hab ein neuen Song dabei", sagte Mark dann, „ich würde euch bitten, sowohl diesen hier, als auch den zuvor ausgewählten Song zu üben. Dann schauen wir in den Proben auf der Bühne, was besser passt. Was sagt ihr dazu?" Er gab uns den Text.
„Rise up", las Vanessa vor, „wow!"
Auch ich lächelte. Das war doch mal ein Song! Tolle Wahl! Und sicherlich hatte er sie diesmal getroffen.
„Wir sehen uns in ein paar Wochen wieder, bis dahin: üben, üben üben, okay?"
„Versprochen!", lächelte ich. Wir drückte ihn zum Abschied und wurden dann später als alle anderen auch zurück zum Hotel gefahren. Ein kurzes ‚Hallo' in die Runde, dann ging ich erstmal rauf aufs Zimmer. Erstmal? Nein, ich wollte einfach nur ins Bett. Ich wollte, dass der Tag schnell endet und ich schnell nach Hause konnte. Meine Zimmergenossin war bereits unten in der Lobby für den Jam, ich hatte also meine Ruhe und Platz, um mich auszubreiten und meinen Koffer zu packen. Wobei das recht schnell ging - ich lebte die letzten Tage mehr oder weniger daraus. Dann stellte ich mich unter die Dusche und ließ den verkorksten Tag Revue passieren. Hoffentlich wurde das alles vergessen. Aber konnte das alles überhaupt vergessen werden? Sicher nicht. Ich schminkte mich ab und trocknete gerade meine Haare, als es an der Zimmertür klopfte.
„Susi, hast du deine Zimmerkarte vergessen?!", rief ich ihr zu. Keine Antwort. Ich seufzte. Ich zog mir schnell eine kurze Jogginghose und ein Oberteil an und ging zur Tür.
„Susi, du kannst wirklich", doch dann stoppte ich. Nicht Susi stand vor der Tür. Sondern Kamrad. Mit einer Gitarre in der Hand.
„Hey!", lächelte er.
„Hi", sagte ich erschrocken.
„Ich hab dir gesagt, ich schleife dich persönlich zum Jam, wenn du nicht dort bist!"
„Ich hab das irgendwie nicht ernst genommen", hab ich zu.
„Na komm schon!", sagte er und wank mich mit einer Handbewegung aus dem Zimmer, ich schüttelte den Kopf.
„So kann ich doch nicht runtergehen!", widersprach ich. Jogginghose, Haare halbnass und ungekämmt, nicht geschminkt...
„Wieso nicht?"
„Sieh mich doch mal an!", lachte ich.
„Na und? Ich finde du siehst trotzdem gut aus! Jetzt komm!"
Was hatte er gerade gesagt? Hat er mir gerade ein Kompliment gegeben? Es brachte mich kurz zum Lächeln, bevor ich den Kopf leicht schüttelte.
„Na gut", seufzte er und ging an mir vorbei ins Zimmer, „dann machen wir hier unseren eigenen Jam!"
Er setzte sich auf mein Bett und klimperte auf der Gitarre herum.
„Nein! Geh ruhig runter zu den anderen!"
„Ich habe gerade meine Meinung geändert", antwortete er, „wenn ich dich nicht überzeugen kann, runter zu gehen, dann holen wir den Jam eben nach oben!"
Er klimperte weiter auf seiner Gitarre herum.
„Ich fang an!", sagte er dann und spielte die ersten Akkorde von seinem Song ‚I believe', bevor er zu singen begann. Es brachte mich zum Lächeln. Ich hörte ihm gerne zu. Ich lehnte mich an die Hotelzimmerwand und beobachtete ihn. Er war wirklich gut darin, Blickkontakt zu halten. Und mehr und mehr fiel mir auf, dass ich das gar nicht gut konnte. Trotzdem genoss ich mein kleines Privatkonzert und klatschte, als er fertig war.
„Jetzt du!", lächelte er. Ich ging auf das Bett zu und setzte mich rechts neben ihn, er hab mir seine Gitarre.
„Oh", machte ich, „ich äh...ich kann nicht spielen!"
„Das macht nichts", antwortete er und rutschte an mich heran. Er griff nach meiner linken Hand und ich spürte ein Kribbeln auf der Haut. Er setzte sie an den Hals der Gitarre.
„Die Finger müssen da hin!", erklärte er und setzte jeden einzelnen Finger auf.
„Das ist richtig umbequem!", lachte ich.
„Es wird leichter, wenn man übt!" Ich strich die Gitarrensaiten einmal runter und ein schiefer Akkord ertönte. Ich verzog das Gesicht und lachte. So wie er auch.
„Wir versuchen was einfaches!", lächelte er dann und setzte meine Finger um. Er rückte noch ein Stück näher, sodass sich die Seiten unserer Körper nun berührten. Er war sehr nah. Und irgendwie mochte ich das. Es fühlte sich gut an. Und dann fiel mir etwas ein. Etwas, was wir normalerweise schon längst hätten ansprechen sollen. Etwas, was wir beide ganz vergessen hatten.
„Ich bin übrigens Louisa", stellte ich mich ihm vor. Er runzelte die Stirn und sah mich irritiert an.
„Du denkst das weiß ich nicht?!", fragte er dann amüsiert und begann zu kichern. Wie unangenehm.
„Naja, ich dachte nun mal, du hast so viele Menschen in der Show kennengelernt, wie kannst du da alle Namen behalten?"
„Ich behalte nur die Wichtigen!", antwortete er lächelnd. Ich nickte.
„Ich nehme das als Kompliment", lächelte ich.
„So war's auch gemeint."
Wir lächelten uns an und genossen den Moment der Stille. Mir fiel auf, dass er wirklich schöne Augen hatte. Und ich wollte gar nicht mehr aufhören, hinein zu schauen.
„Ich bin Tim", stellte er sich dann ebenfalls nochmal vor. Kurz war es still, dann mussten wir beide lachen. Es war einfach sowas von die verkehrte Herangehensweise. Zuerst führten wir so viele Gespräche und erst dann stellten wir uns vor. Aber naja, es war nun mal überflüssig. Er kannte mich, was mich, nebenbei erwähnt, freute, und ich kannte ihn.
„Ich weiß", sagte ich dann.
„Bei so vielen Leuten, die du hier triffst wollte ich sichergehen!", antwortete er.
„Keine Sorge, die wichtigen Namen merkte ich mir!", wiederholte ich erneut, was er gesagt hatte. Und er lachte.
„Dein Humor gefällt mir!", stellte er fest. Ich lächelte wieder. Oder grinste schon fast. Und ich nutzte jeden Moment, um wieder in seine wunderschönen Augen zu schauen. Vielleicht verliebte mich mich gerade in einen Coach und Konkurrenten. Aber ich wollte diese Gedanken einfach nicht abschütteln.
Tim - welch Erleichterung, nicht immer seinen Nachnamen nennen zu müssen - griff mit seiner Hand wieder nach meiner, die auf dem Gitarrenhals lag und setzte meine Finger auf die richtige Position.
„Erst greifst du so", sagte er und setzte meine Finger um.
„Dann so", und wieder änderte er die Position meiner Finger, „und dann so!"
„Und was soll das sein?", fragte ich.
„Finde es raus!", forderte er mich lächelnd auf. Und so spielte ich den ersten Akkord, dann den zweiten und dann den dritten.
„Und jetzt?", lachte ich.
„Das geht einfach immer so weiter!"
„Na gut..." Sicherlich klang es noch etwas krumm und schief. Und ich traf die Saiten manchmal auch nicht richtig. Aber fürs erste Mal war ich ganz zufrieden. Nur den Song erkannte ich nicht. Dann musste Tim mir wieder helfen. Er begann zu singen.
„I can almost see it, that dream I'm dreaming, but", ich bekam eine Gänsehaut, als ich feststellte, dass er meinen Song aus den Blind Auditions sang. Und ich stieg mit ein.
„There a voice inside of my head saying ‚You'll never reach it'", sangen wir nicht nur zusammen, sondern auch zweistimmig. Und es harmonierte so gut, dass es mich fast erschreckte.
„Wow", lächelte Tim. Ich hörte instinktiv auf, Gitarre zu spielen. Und wir sahen uns wieder in die Augen. Lange. Und immer intensiver. Bis wir beide einfach nur lächelten. Wie gefesselt saßen wir auf meinem Bett. Ich spürte, wie Tim seinen Arm um meinen Rücken legte und seine Hand leicht meine Seite berührte. Und wieder bekam ich Gänsehaut, es schüttelte mich fast. Auch mein Herz klopfte schneller. Ich war nervös. Passierte nun das, was in all den Liebesfilmen immer passierte? War das der Moment, in dem ich mich Hals über Kopf in ihn verliebte? Es fiel mir so schwer, die Gedanken zu sortieren. Von kontrollieren konnte schon gar nicht mehr die Rede sein. Ich merkte, wie Tim plötzlich noch näher kam. Er schaute zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her. Wie ich auch. Seine Lippen zogen mich quasi schon an. Ich wollte sie unbedingt mit meinen berühren. Wie würde sich wohl ein Kuss mit ihm anfühlen? Aber nein stopp - er war Coach und du ein Talent aus dem gegnerischen Team. Wo sollte diese...Anbahnung wohl hingehen? Bestimmt zu nichts Gutem. Ich wurde aus den Gedanken gerissen, als Tim eine Haarsträhne hinter mein Ohr strich und nur noch wenige Zentimeter zwischen unseren Lippen lagen.
„Wir sollten runter gehen zu den anderen!", unterbrach ich diesen Moment. Ich erschrak. War es das Richtige? Hätte ich es einfach zulassen sollen? Zu spät. Tim entfernte sich und räusperte sich einmal.
„Entschuldige, ich", begann er.
„Nein! Mir tut's Leid!", unterbrach ich ihn, „aber das ist Falsch!"
„Okay...ja...ja wahrscheinlich hast du recht...dann äh...lass uns runter gehen", nickte er und stand vom Bett auf.
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Ihr Lieben! Ein neues Kapitel und ich bin so gespannt, was ihr dazu sagt! Ich würde mich sehr sehr dolle über Kommentare freuen! Danke!😊

Plan B - KAMRAD / The Voice of Germany FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt