Flucht ins Ungewisse

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„Achtung, Achtung, es herrscht eine ernste Lage auf dem Studiogelände. Bitte bewahren Sie Ruhe und verbarrikadieren Sie sich."

Diese Worte, die von einem Tonband immer und immer wieder abgespielt wurden, ließen mich noch schneller laufen. Ich griff an die erste Türklinke. Zu. Die zweite. Auch zu. Ich wurde panisch. Ich hörte einen zweiten Schuss. Wenn das nun eine Übung war, dann wäre ich wirklich wirklich sauer! Aber, wenn es denn keine Übung war, dann....nein! Es war eine Übung, bestimmt war es das! Ich versuchte mir selbst Mut zuzusprechen, aber Fakt war nunmal, dass ich inmitten das Studiogeländes umhereilte und bislang alle Türen geschlossen waren. Ich griff jetzt bestimmt schon an die zehnte Türklinke. Sie ging auf, ich stolperte in den Raum hinein. Ich hatte damit gerechnet, dass sie ebenfalls abgeschlossen war. Der Schlüssel steckte von innen, aber es war niemand hier. Ich schloss die Tür hinter mir ab und atmete schwer. Ich legte meine zitternde Hand auf meinen Mund und starrte die Tür an. Wie viel Glück hatte ich, dass in der Tür ein Schlüssel steckte?! Ich musste die Tür verbarrikadieren, wenn ich hier lebend rauskommen wollte. Ich drehte mich um, um nach schweren Dingen zu suchen, als die Türklinke plötzlich immer wieder runtergedrückt wurde.
„Scheiße!", hörte ich eine männliche Stimme von außen. Verstecken! Ganz schnell verstecken! Sofort. Ich sah mich um. Überall Kisten mit Technik-Kram. Ich konnte eine davon ausräumen und mich dort verstecken.
„Hallo? Ist da jemand?! Lasst mich rein!", hörte ich die Stimme von außen und nochmal wurde die Türklinke mehrfach runtergedrückt. Ich zitterte und weinte fast. Ich zwang mich ruhig zu atmen, aber dafür klopfte mein Herz viel zu doll. Dann hörte ich erneut einen Schuss. Er kam von viel weiter weg, es war unmöglich, dass es der Amokläufer war, der da vor meiner Tür stand. Oder waren es zwei?
„Fuck...", hörte ich die Stimme wieder. Ich ging zur Tür und tat etwas, was man niemals tun sollte. Ich hab zu erkennen, dass ich in diesem Raum war.
„Hallo?", fragte ich zitternd.
„Hier ist Tim, lass mich rein!", hörte ich die Stimme wieder. Und ja, die Stimme passte auf ihn. Ich drehte den Schlüssel um und Sekunden später stand der Lockenkopf im Technikraum. Hinter ihm schloss ich sofort wieder ab. Ja, ich wollte Tim wiedersehen. Aber wenn das bedeutete, dass wir nun erschossen wurden, dann war es das nicht wert. Niemals hätte ich mir diese Situation gewünscht. Dann hätte ich ihn lieber nie wieder gesehen.
„Hast du ihn gesehen?", fragte ich aufgeregt.
„Nein. Du?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich war so froh, nichtmehr alleine zu sein. Vielleicht konnten wir uns gegenseitig beruhigen. Oder beistehen. Naja, zumindest waren wir nun zu zweit.
„Komm, wir müssen die Tür verbarrikadieren!", sagte Tim und schob die erste Kiste vor die Tür.
„Shhh! Wir müssen leise sein!", ermahnte ich ihn. Er nickte. Gemeinsam schoben wir immer mehr Kisten gegen die Tür.
„Das sollte reichen!", beschloss er. Ich drehte mich um und baute eine zweite Barrikade auf. Dahinter wollte ich mich verstecken. Tim stieg wenig später mit ein und half mir bei meinem Turm. Dann hörten wir erneut einen Schuss. Ich zuckte zusammen.
„Er ist noch weit weg!", sagte Tim. War er wirklich so ruhig oder spielte er das nur? Ich tippte auf Zweiteres. Wer war schon ruhig in einer solchen Situation? Ich setzte mich hinter unseren Turm und zog die Beine an meinen Körper. Ich zitterte überall und konnte nur hoffen, schnell aus diesem Albtraum aufzuwachen. Tim setzte sich neben mich.
„Hast du Angst?", fragte ich.
„Ja. Und du?"
„Ja", antwortete ich. Er streckte mir seine Hand entgegnen, ich legte meine hinein. Die Angst in mir überschattete das Gribbeln auf meiner Haut, welches ich bei seiner Berührung erwartet hatte.
„Wir kommen hier raus!", flüsterte er und drückte meine Hand. Gerade als ich nicken wollte, knallte es wieder. Es hörte sich weniger nach einem Schuss an, aber es brachte das gesamte Gebäude zum Beben. Ich schloss die Augen und konzentriere mich darauf, nicht vor Panik zu weinen. Nicht jetzt und nicht vor ihm. Auch er wurde sichtlich nervöser und sah sich kurz um, als gäbe es etwas zu sehen. Dann rückte er näher an mich heran und nahm mich in den Arm. Ich griff nach seinen Armen und hielt sie fest an meinem Körper. Wir bewegten uns keinen Millimeter mehr voneinander weg, wir verweilten Arm in Arm hinter unserer provisorischen Schutzmauer.
„Tim?", flüsterte ich, ohne mich jedoch von ihm zu lösen.
„Hm?"
„Wenn jemand reinkommt, dann"
„Dann wird es die Polizei sein, die Entwarnung gibt."
„Glaubst du das wirklich?", fragte ich und sah ihn kurz an. Er vermied den Blickkontakt zu mir und atmete einmal durch. Nein. Das war gelogen.
„Hast du ein Handy dabei?", fragte er stattdessen.
„Nein. Das liegt in der Garderobe..."
„Meins auch...scheiße...", fluchte er.
Dann war es erstmal wieder still. Wir warteten ab. Ich spürte sein Herz und wie schnell es pochte. Und meins schlug mindestens genau so schnell. In einer anderen Situation hätte ich mir das gewünscht. Aber jetzt? Jetzt wollte ich einfach nur weg von ihm, weil das eben bedeutete, in Sicherheit zu sein.
Tim löste einen Arm von mir und griff an seine hintere Hosentasche. Er zog den Sender seines Mikros heraus.
„Glaubst du, das Ding hat nen Peilsender?", fragte er und drehte es ein paar Mal um.
„Ich denke, wenn überhaupt würde man versuchen, dich mit der Technik, die wir als Barrikade nutzen, zu orten..."
Er stöhnte und schmiss das Ding in die Ecke. Er landete neben einem der vielen PC's.
„Meinst du wir können ne Email schreiben?", fragte ich. Tim löste sich von mir und stand auf. Er drückte auf einem der PCs herum und schüttelte dann den Kopf.
„Der muss doch Internet haben!", widersprach ich seinem Kopfschütteln. Egal ob es klappte oder nicht, wir hatten nun eine Aufgabe. Und die lenkte etwas ab. Wir fuhren Laptops hoch, versuchten Passwörter zu knacken und ich erwischte mich dabei, wie ich darüber nachdachte, wie falsch das hier alles war. Wir störten damit das Netz und somit auch die Arbeit der Polizei. Was wurde uns in der Schule beigebracht? Nur ein Handy pro Klasse! Und damit Hilfe holen. Ich öffnete den Mund und nahm Luft, um auszusprechen, wie blöd wir uns gerade anstellten, aber dann:
„Hier, ich hab's!", sagte Tim plötzlich. Er kam übers Internet in sein Mail-Konto hinein und tippte eine kurze Info an sein Management. Dann drückte er auf Senden.
„Hat das geklappt?", fragte ich aufgeregt und er nickte.
„Sie werden uns hier rausholen!", sagte er überzeugend. Ich vertraute darauf. Mir blieb auch nichts anderes übrig. Ich setzte mich wieder hinter die zweite Barrikade und zog die Beine an meinen Körper. Tim tigerte im Raum auf und ab. Ich beobachtete ihn, als würde ich zu ihm aufschauen. Vielleicht war ich doch froh, dass er bei mir war. Aber aktuell war ein persönliches Gespräch einfach nicht möglich. Falsche Zeitpunkt und falscher Ort. Und die Angst in mir ließ mich sowieso nicht klar denken.
„Du zitterst", stellte Tim fest, „ist dir kalt?"
Ich schüttelte den Kopf.
„Verstehe...", murmelte er und setzte sich neben mich. Er rückte so nah an mir heran, dass die Seiten unserer Körper sich berührten. Dann legte er wieder einen Arm um meine Schultern.
„Ich hab auch ne scheiß Angst vor dem, was da draußen gerade abgeht...", flüsterte er, „aber wir müssen positiv bleiben! Das müssen wir einfach! Das spart Ressourcen und schützt uns vor dummen Entscheidungen. Okay?"
Ich nickte.
„Okay also...was ist das Erste, was du machst, wenn wir hier raus sind?", fragte er. Ich würde meine Schwester anrufen, meine Koffer packen und nach Hause fahren. Es trieb mir die Tränen in die Augen, also konnte ich nicht antworten und schüttelte leicht den Kopf. Tim seufzte. Er legte seinen Kopf auf meinen und schwieg ebenfalls. Seine Finger streichelten beruhigend über meinen Arm, meine Atmung wurde etwas ruhiger. Mein Herz klopfte etwas langsamer, ich konnte wieder besser atmen. Aber von Durchatmen waren wir beide noch weit entfernt...

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Plan B - KAMRAD / The Voice of Germany FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt