Scharf durch die Nase ein- und ausatmend schloss sie die Augen und wartete, bis ihr Magen sich beruhigt hatte. Verfluchter Snape! Hätte er sie nicht warnen können? Auf der anderen Seite hätte es ihr klar sein müssen, dass es keinen Grund gegeben hatte, noch länger zu warten, als ihre Hand auf seinem Arm gelegen hatte.
Sie atmete tief durch und richtete sich auf. Der Anblick, der sich ihr bot, war wunderschön. Sie standen an einer schroffen Felsküste, die steil zum Meer abfiel und sahen in die schier endlos erscheinende Weite. Ein Blick hinter sich enthüllte ein altes Cottage, welches, aus grobem Stein gehauen und mit Efeu berankt, urig und wehrhaft zugleich wirkte. Es schien den Gezeiten und dem Wetter auch schon eine ganze Weile zu trotzen, wenn sie das Alter richtig einschätzte.
Doch was Avessa besonders auffiel, war die Einsamkeit, in der es stand. Um sie herum waren nur die weite Küste, das Meer und in einiger Entfernung ein karges Waldstück. Doch nirgends entdeckte die Gryffindor ein Zeichen auf Zivilisation. Ein Lächeln legte sich auf ihre Züge und sie genoss die Ruhe des Ortes.
Die Sonne versank gerade am Horizont und bescherte ihnen einen unglaublichen letzten Blick auf einen brennenden Himmel. Viel zu schnell schwand dieser und machte der Dämmerung Platz, in der immer mehr Sterne zu funkeln begannen, je dunkler es wurde.
„Miss Carrow", erklang plötzlich die Stimme ihres Professors und sie sah zu ihm, fast überrascht, dass er da war. Und, dass er sie so lange hatte den Ort auf sich wirken lassen, ohne wütend zu werden. Auch wirkte er jetzt nicht verärgert. Ganz im Gegenteil schien auch er die Ruhe des Ortes zu genießen. Sie trat zu ihm und er sah auf sie hinab. „Schließen Sie die Augen." Was?
Sie blinzelte etwas unsicher, schloss dann aber fügsam die Augen. „Was riechen Sie?", raunte seine sonore Stimme und sie atmete langsam tief ein. Der Duft nach Kräutern und verbrannten Harzen stieg ihr in die Nase und sie lächelte sanft. Sie mochte den Duft, der auch meist in den Laboren herrschte.
Dann wurde ihr bewusst, dass der Professor sicher nicht diesen Geruch gemeint hatte – und, dass dieser Geruch, den sie so genoss, wohl von ihm selbst ausging. Ihre Wangen brannten und sie lugte zu ihm auf, begegnete seinem Blick, der sacht amüsiert zu sein schien. Die Gryffindor schluckte und befeuchtete ihre Lippen, bevor sie erneut versuchte, den Geruch auszumachen, den ihr Professor wohl gemeint hatte.
Da. Der Wind hatte einen Schwall süßlichen Duftes mitgebracht, den sie sonst eher mit dem Frühling verband und sie machte verblüfft die Augen auf, sah zu der Küste, von der er auszugehen schien. „Ich rieche...Hyazinthe?" Sie sah zu ihm auf und sah zu ihrer Freude ein zufriedenes Nicken von ihm. „Richtig. Natürlich sind es keine Hyazinthen, da diese..." „...nur im März und April blühen", unterbrach ihn Avessa, was ihr einen sehr viel weniger zufriedenen Blick einbrachte.
Doch statt sie zu maßregeln, nickte der Zaubertrankmeister nur und deutete in fast einladender Geste auf einen kleinen Pfad, der am Hand entlang zu dem Waldstück führte. „Es ist Leimkraut. Dieses blüht eigentlich auch nicht mitten im Winter, was diese Art besonders wertvoll macht für die Zaubertrankkunde." Avessa sah fasziniert den Weg entlang und versuchte, sich an alles zu erinnern, was sie über Leimkraut wusste.
„Ich nehme an, man muss die Pflanze weit unten abtrennen, da der obere Teil klebrig behaart ist, Sir?", fragte sie dann und erneut sah sie ihn nicht unzufrieden nicken. „Seitlich vom Cottage finden Sie einige Körbe. Wenn wir Glück haben, werden wir knapp zwei von ihnen gefüllt bekommen."
Sie hatten Glück. Die Blumen waren unter den anderen Gräsern und Kräutern nicht leicht zu entdecken, doch verströmten sie einen derart intensiven Duft, dass man sie kaum verfehlen konnte. Wie der Professor ihr erklärte, öffnete das Leimkraut erst am Abend seine Blüten, um die nachtaktiven Insekten anzulocken.
Nach drei Stunden waren ihre Körbe gefüllt, auf die der Hauslehrer der Slytherins einen Stasiszauber gelegt hatte, der nicht nur das Kraut frisch, sondern auch den Duft im Korb hielt, da man sonst sicher keine andere Pflanze durch ‚Immer der Nase nach' gefunden hätte. Auch jetzt hatte Avessa den Eindruck, für jegliche andere Düfte immun geworden zu sein. Ihre Nase fühlte sich regelrecht taub an.
Dennoch strahlte sie zufrieden. Ihr hatte die ruhige Tätigkeit weitab von den oftmals so lauten Emotionen der anderen gutgetan. Und die Nähe deines Professors... Unwillig presste sie die Lippen aufeinander und ging mit ihrem Korb auf das Cottage zu. Ihre innere Stimme hatte zwar recht, doch gefiel ihr der Unterton nicht, in dem sie es sagte.
Ja, sie schätzte meist die Gegenwart des Tränkemeisters. Klar, irritierte es sie, die es gewohnt war, jeden auch auf der empathischen Ebene wahrzunehmen, dass sie es hier nicht konnte, doch hatte sie sich bei Professor Snape daran gewöhnt. Und sie hatte bemerkt, dass sie durch diese Erfahrung auch viel mehr auf Mimik und Gestik eines Menschen schaute. Insbesondere natürlich bei ihm selbst.
Auch jetzt studierte sie seine Züge, als er ihren Korb inspizierte in der Hoffnung, ein wenig Einblick zu bekommen, was er von ihrer Arbeit hielt, doch blieb seine Miene wie sooft ausdruckslos. Er war darin echt gut. „Bringen Sie das Kraut hinein. Ich werde mich um die Zauber kümmern, da Sie ja nicht außerhalb der Schule zaubern dürfen."
Er sagte dies fast etwas vorwurfsvoll und so betrat sie ein wenig eingeschnappt das Cottage. Wärme schlug ihr entgegen und sie sah sich neugierig um. Doch konnte sie niemanden entdecken und so ging sie davon aus, dass der Professor ein paar Zauber gewirkt hatte, damit das Feuer bereits brannte und die Lampen im Haus glühten.
Es war ein einladendes Häuschen, das Avessa auf Anhieb mehr als nur gefiel und so stellte sie die Körbe auf die Theke, die die kleine Küche vom Wohnraum trennte, um sich ihres Mantels zu entledigen. Der Professor verschloss die Tür hinter ihnen mittels eines Zaubers, was Avessa zu einem leichten Schmunzeln veranlasste.
Was dachte er, wer hier in der Einsamkeit auftauchen würde? Sie ging zu dem Kamin, in dem das Feuer ruhig vor sich hin flackerte und eine herrliche Wärme von sich gab. Die Hände in Richtung der Flammen haltend, gab Avessa einen genießenden Laut von sich und schloss die Augen.
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𝒜𝒞 - Im Zeichen der Schlange
Fanfic𝐁𝐀𝐍𝐃 𝟐 Avessa Carrow. Jüngster Spross einer der ältesten reinblütigen Familien. Eine der unantastbaren Achtundzwanzig. Das vierte Schuljahr hat noch nicht mal begonnen, da fangen die Schwierigkeiten schon an: Sie soll ihre Familie zur Quidditch...