Die Rückkehr

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Julian

Das sanfte Surren der Flutlichter über dem Trainingsplatz wurde von den kräftigen Schritten und dem dumpfen Klopfen des Balls übertönt. Ich war voll im Training. Jeder Muskel meines Körpers arbeitete, das Adrenalin pumpte durch meine Adern, und meine Konzentration lag einzig und allein darauf, den nächsten Pass perfekt zu spielen.

„Brandti!", rief mir Mats Hummels zu, als er den Ball in meine Richtung spielte.

Ich nahm den Ball mit der Brust an und leitete ihn sofort weiter. Die Leichtigkeit, die ich in den letzten Monaten im Training und auf dem Platz verspürte, war mir vertraut, aber gleichzeitig auch ein bisschen neu. Es war, als hätte ich mich selbst wiedergefunden. Die letzten Jahre waren nicht einfach gewesen. Es hatte Phasen gegeben, in denen ich nicht sicher war, ob ich jemals wieder auf mein altes Niveau kommen würde. Doch hier stand ich – fit, fokussiert und bereit, alles zu geben.

Das Training zog sich über die üblichen zwei Stunden hin, und als der Schlusspfiff ertönte, wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und atmete tief durch. Ich war zufrieden mit meiner Leistung. Die letzten Wochen hatten gut für mich ausgesehen, nicht nur bei Borussia Dortmund, sondern auch in meinem Kopf. Ich war wieder an einem guten Ort.

„Gutes Training heute", murmelte Marco Reus, als er neben mir das Feld verließ. Ich nickte und klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter. Die Kameradschaft hier war wichtig, aber manchmal konnte selbst die Nähe der Mannschaft diese eine Leere in mir nicht füllen.

Ich griff nach meinem Handy, das ich in meiner Tasche gelassen hatte, und bemerkte, dass eine Nachricht hereingekommen war. Eine Nachricht vom Bundestrainer? Meine Augen weiteten sich, als ich den Namen las: Julian Nagelsmann.

Mein Herz setzte für einen Moment aus. Was... was wollte er von mir? Ich hatte seit einer ganzen Weile nichts mehr mit der Nationalmannschaft zu tun gehabt. Eigentlich hatte ich fast schon die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder für das DFB-Team zu spielen. Die letzten Monate hatte ich mich einfach darauf konzentriert, bei Dortmund zu performen, ohne den Gedanken an das große Ganze, die Nationalmannschaft, ständig mit mir herumzutragen.

Ich entsperrte das Handy und öffnete die Nachricht:

„Hi Julian, ich hoffe, dir geht's gut. Ich wollte dir nur persönlich mitteilen, dass du für den nächsten Länderspiel-Kader nominiert bist. Deine Leistungen in den letzten Wochen waren herausragend, und ich freue mich darauf, dich wieder im Team zu sehen. Herzliche Grüße, Julian."

Ich starrte auf das Display. Mein Herz schlug plötzlich so laut, dass ich dachte, es würde mir aus der Brust springen. War das ein Scherz? Hatte ich das gerade richtig gelesen? Ich war... ich war nominiert?

Für einen Moment stand ich einfach nur da, als hätte mich der Blitz getroffen. Die Worte auf dem Bildschirm verschwammen vor meinen Augen, als das Adrenalin, das gerade noch durch das Training gepumpt war, durch reine Freude ersetzt wurde.

„Julian!", rief Marco, der schon einige Meter weiter war, und drehte sich zu mir um. „Kommst du?"

Ich konnte nicht antworten. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Die Aufregung, die mich plötzlich überkam, ließ mich in der Bewegung innehalten. Nach so langer Zeit. Ich war zurück. Ich war wieder dabei.

Mit zitternden Fingern schrieb ich eine schnelle Antwort zurück: „Danke, Coach. Ich freue mich riesig." Es waren simple Worte, aber sie fingen nicht einmal annähernd das ein, was ich gerade fühlte.

Die Nationalmannschaft. Ich war wieder nominiert. Der Gedanke daran ließ mein Herz rasen. All die Zweifel, die ich in den letzten Jahren gehabt hatte – all die Momente, in denen ich dachte, dass ich vielleicht nie wieder dieses Trikot tragen würde – schienen plötzlich nichtig. Ich hatte es geschafft.

Doch kaum war die erste Welle der Freude abgeklungen, kam das nächste Gefühl. Angst.

Ich würde Kai wiedersehen.

Mein Herz schlug noch schneller, als ich den Gedanken wirklich zuließ. Kai Havertz. Der Name allein brachte so viele Erinnerungen zurück. Wir hatten früher so viel gemeinsam durchgemacht. Als wir beide in Leverkusen waren, waren wir praktisch unzertrennlich. Wir haben uns auf dem Platz blind verstanden, haben Stunden miteinander verbracht – nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch außerhalb davon. Es gab eine Zeit, in der ich dachte, wir wären... naja, füreinander gemacht.

Aber in den letzten Jahren hatten wir uns voneinander entfernt. Kai war zu Chelsea gegangen, und ich hatte mich auf meine Karriere bei Dortmund konzentriert. Es hatte Momente gegeben, in denen ich ihn vermisst hatte. Aber auch Momente, in denen ich einfach versucht hatte, ihn zu vergessen.

Unsere Freundschaft war auf dem Papier nie wirklich zerbrochen – wir hatten uns einfach auseinandergelebt. Aber der Gedanke, ihn jetzt wiederzusehen, war... erschreckend.

Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Das würde schon klappen. Es war nicht so, als wäre ich dem ersten Länderspiel jemals nervös begegnet, und ich würde es auch diesmal nicht sein. Aber das Wissen, dass Kai da sein würde – dass wir wieder im selben Team stehen würden, auf dem selben Feld – ließ meine Nerven blank liegen.

Ich griff nach meiner Sporttasche und schulterte sie, während ich mich langsam Richtung Umkleide bewegte. Die anderen Jungs waren schon fast fertig, das übliche Geplänkel und die lauten Stimmen, die nach einem guten Training immer zu hören waren, schallten durch den Raum. Doch ich hörte sie kaum.

Kai und ich hatten uns früher alles erzählt. Es gab kaum etwas, was er nicht über mich wusste, und umgekehrt war es genauso gewesen. Aber das war Jahre her. Was war dazwischen passiert? Wann genau hatten wir uns verloren? War es mit seinem Wechsel zu Chelsea passiert, oder schon davor? Es war schwer zu sagen. Es gab keinen bestimmten Moment, an den ich mich erinnern konnte, aber die Distanz war einfach da gewesen, und irgendwann hatten wir aufgehört, uns zu bemühen.

Die anderen Jungs in der Umkleide bemerkten meine Abwesenheit nicht wirklich – was auch gut so war. Ich brauchte diesen Moment, um den Schock zu verarbeiten. Die Rückkehr zur Nationalmannschaft. Und das Wiedersehen mit Kai.

„Alles okay, Brandti?", fragte Mats Hummels, der gerade sein Shirt über den Kopf zog. Sein Blick war neugierig, aber auch entspannt. Er war immer gut darin, die Stimmung der anderen aufzufangen.

„Ja, alles gut", log ich und zwang mich zu einem Lächeln. „Nur etwas überrascht."

„Überrascht?" Er sah mich mit einem schiefen Grinsen an. „Du hast doch heute trainiert wie ein Tier. Was überrascht dich da noch?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts Großes. Nur... Neuigkeiten."

„Aha", murmelte er, bevor er sich wieder seinem Schrank zuwandte. Zum Glück drängte er nicht weiter. Mats war jemand, der wusste, wann er nachhaken musste und wann er es einfach auf sich beruhen ließ.

Ich wünschte, ich könnte selbst so entspannt sein. Doch tief in mir tobte ein Sturm. Das Wiedersehen mit Kai. Was, wenn es unangenehm wurde? Was, wenn wir merkten, dass wir uns zu sehr verändert hatten, um wieder miteinander klarzukommen? Was, wenn er mich nicht mehr brauchte?

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken loszuwerden. Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um sich verrückt zu machen. Ich hatte es zurück in die Nationalmannschaft geschafft. Das war der wichtigste Teil. Und was Kai betraf – nun ja, das würde ich dann sehen, wenn es soweit war.

Als ich schließlich fertig umgezogen war und meine Tasche gepackt hatte, verließ ich die Umkleide und machte mich auf den Weg zu meinem Auto. Der frische Wind schlug mir ins Gesicht, als ich die Tür nach draußen öffnete. Es war spät geworden, und die Lichter des Trainingsplatzes flimmerten schwach in der Dunkelheit.

Ich atmete tief durch. Der nächste Schritt würde nicht einfach werden, aber ich hatte keine andere Wahl, als ihn zu gehen. Die Nationalmannschaft rief – und ich würde Kai wiedersehen.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt