Unausweichliche Gefühle

25 1 0
                                    

Julian

Es war derselbe Tag, an dem ich Kai nach so langer Zeit wieder gesehen hatte. Der Tag, an dem alles wieder aufgerissen wurde, was ich versucht hatte, monatelang zu verdrängen. Und jetzt saß ich hier, in meinem Wohnzimmer, und wartete auf das, was als nächstes kommen würde.

Es war unser Plan gewesen. Im Stadion hatte Kai vorgeschlagen, dass wir reden müssten, und obwohl ich zögerte, hatte ich zugestimmt. Was blieb mir auch anderes übrig? Zu viel war unausgesprochen geblieben zwischen uns, zu viel war in den letzten Monaten passiert. Aber jetzt, wo ich wusste, dass er gleich hier sein würde, fühlte sich alles plötzlich noch schwerer an.

Ich saß auf meinem Sofa, den Blick auf die Tür gerichtet, und wartete. Mein Herz schlug schneller, als es sollte, und in meinem Magen hatte sich ein Knoten gebildet, der sich nicht lösen wollte. Es war absurd, wie viel Angst mir dieses Treffen machte. Es war Kai. Mein bester Freund – zumindest war er das einmal gewesen. Doch jetzt war alles anders.

Als es schließlich klingelte, zuckte ich leicht zusammen. Ich wusste, dass er kommen würde, aber trotzdem traf mich der Moment, als er wirklich vor meiner Tür stand, wie ein Schlag. Langsam stand ich auf und ging zur Tür, öffnete sie und da war er – Kai. Genau wie er es gesagt hatte.

Er stand im Türrahmen, sah müde aus, als hätte der Tag ihm mehr abverlangt, als er zugeben wollte. In seinen Augen lag eine tiefe Unsicherheit, aber auch etwas Entschlossenes, das ich nicht deuten konnte.

„Hey", sagte ich leise und trat einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen.

„Hey", antwortete er, und seine Stimme war rau. Ohne ein weiteres Wort trat er ein und wir gingen ins Wohnzimmer. Ich konnte fühlen, wie die Spannung in der Luft förmlich greifbar war. Es war, als ob uns beide eine unsichtbare Last drückte, die wir nicht loswerden konnten.

Kai setzte sich auf das Sofa, und ich folgte ihm, setzte mich ihm gegenüber. Für einen Moment herrschte eine schwere Stille, und ich konnte spüren, wie sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich wusste, dass er hier war, um zu reden, aber ich hatte keine Ahnung, wie dieses Gespräch verlaufen würde.

Kai schien sich genauso unsicher zu fühlen wie ich. Er spielte nervös mit seinen Händen und vermied es, mir direkt in die Augen zu sehen. Schließlich atmete er tief ein und sprach: „Julian... ich weiß, dass ich derjenige bin, der gesagt hat, wir sollten reden. Und das sollten wir auch. Aber ich..." Er zögerte, als würden ihm die Worte schwerfallen. „Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll."

Seine Unsicherheit machte es mir nicht leichter. Ich wollte, dass er es einfach sagte, dass er alles aussprach, was zwischen uns unausgesprochen geblieben war. Aber gleichzeitig hatte ich auch Angst vor dem, was er sagen könnte. Also blieb ich still und wartete.

„Ich weiß, dass ich dich verletzt habe", fuhr er schließlich fort, und seine Stimme war leiser, weicher. „Ich hab dich im Stich gelassen, als du mich am meisten gebraucht hast. Und... ich weiß, dass ich das nicht wiedergutmachen kann. Aber ich... ich wusste einfach nicht, wie ich mit all dem umgehen soll."

„Du hast mich allein gelassen, Kai", sagte ich, meine Stimme fester, als ich es beabsichtigt hatte. „Nicht nur einmal. Du hast mich immer wieder zurückgestoßen, als es schwierig wurde."

Er sah mich endlich an, und in seinen Augen lag Schmerz. „Ich weiß. Und es tut mir leid. Ich habe versucht, alles zu verdrängen – was ich fühle, was du fühlst, was zwischen uns passiert ist. Aber es funktioniert nicht. Nichts funktioniert."

Für einen Moment war alles still. Seine Worte hingen in der Luft, und ich spürte, wie sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Es war das, was ich gehofft hatte, was ich aber auch gefürchtet hatte – er hatte Gefühle. Aber warum hatte er es dann so weit kommen lassen? Warum war er weggerannt?

„Warum hast du dann nicht gekämpft?" fragte ich schließlich, und meine Stimme war brüchig. „Warum hast du mich einfach so zurückgelassen?"

Kai schloss für einen Moment die Augen, als ob ihm die Antwort schwerfiel. „Weil ich Angst hatte, Julian. Weil ich nicht wusste, wie ich mit diesen Gefühlen umgehen soll. Ich bin verheiratet. Ich... ich hatte das Gefühl, dass ich alles falsch mache, egal was ich tue."

Seine Worte trafen mich tief, aber gleichzeitig spürte ich auch Wut in mir aufsteigen. „Und du dachtest, der beste Weg ist, einfach zu verschwinden? Mich zu ignorieren?"

„Ich weiß, dass es falsch war", sagte er schnell, und ich konnte sehen, wie seine Hände leicht zitterten. „Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich hatte solche Angst, alles zu verlieren."

Meine Brust zog sich zusammen, als ich seine Worte hörte. Angst. Er war also genauso verwirrt und verletzt wie ich. Aber das machte es nicht besser. Es machte nichts von dem, was passiert war, besser.

„Kai, ich..." Ich wollte etwas sagen, wollte ihm sagen, wie sehr mich das alles verletzt hatte, aber die Worte blieben mir im Hals stecken. Es war zu viel, zu schwer. „Ich weiß nicht, ob wir das je wieder..."

Doch bevor ich den Satz beenden konnte, stand Kai plötzlich auf, ging auf mich zu und zog mich mit einer schnellen Bewegung zu sich. Seine Hände fanden mein Gesicht, und bevor ich überhaupt realisieren konnte, was passierte, spürte ich seine Lippen auf meinen.

Der Kuss kam so plötzlich, so intensiv, dass es mir den Atem raubte. Alles, was ich sagen wollte, alles, was ich gefühlt hatte, schien in diesem Moment in sich zusammenzufallen. Es war, als hätte Kai all die unterdrückten Gefühle, all die Verzweiflung und das Verlangen, das er so lange verleugnet hatte, in diesen einen Moment gelegt.

Ich zögerte keine Sekunde. Meine Hände fanden ihren Weg zu seinem Rücken, und ich zog ihn näher an mich, unfähig, mich von ihm zu lösen. Der Kuss war wild, fordernd, fast verzweifelt, als ob wir beide wussten, dass dieser Moment alles veränderte. Meine Brust verkrampfte sich, und ich spürte, wie Tränen in meine Augen stiegen – nicht nur wegen des Kusses, sondern wegen allem. Wegen der Monate der Trennung, des Schmerzes, der verlorenen Zeit.

Kai hielt mich fest, und ich konnte spüren, wie seine Hände leicht zitterten, als er mich näher an sich zog. Es war, als wäre dieser Kuss das Einzige, was uns beide noch zusammenhielt – als wäre es das Einzige, was in all dem Chaos noch Sinn ergab.

Als wir uns schließlich voneinander lösten, standen wir beide schwer atmend da. Unsere Stirnen lehnten aneinander, und ich spürte, wie eine einzelne Träne meine Wange hinunterlief.

„Es tut mir leid", flüsterte Kai, und ich konnte die Aufrichtigkeit in seiner Stimme hören. „Es tut mir so leid, Julian. Ich hätte dich nie allein lassen dürfen."

Ich antwortete nicht sofort. Ich war zu überwältigt von all dem, was passiert war, zu überwältigt von den Gefühlen, die dieser eine Kuss in mir ausgelöst hatte. Aber ich wusste eines – wir konnten nicht mehr zurückgehen.

The last Match- Jule & KaiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt